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Demorecht nur für Neonazis

Magdeburg: Anwalt kritisiert Gesetzesverstöße der Polizei bei antifaschistischen Protesten am 18. Januar. Betroffene reichen Klage ein

Von Susan Bonath *

Rechte hofiert, Linke blockiert: Das Vorgehen der Polizei gegen Antifaschisten am 18. Januar in Magdeburg hat ein juristisches Nachspiel. Der Rechtsanwalt Paulo Dias hat Klage gegen die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord beim Verwaltungsgericht Magdeburg eingereicht, informierte er jW am Donnerstag. Die Polizei habe seinen Mandanten, wie Hunderte weitere Antifaschisten, daran gehindert, das Versammlungsrecht wahrzunehmen. Anderen Betroffenen rät Dias ebenfalls zu rechtlicher Gegenwehr. Dies sei nötig, »um der Polizei die Grenzen ihrer Befugnisse zu zeigen«, betonte er.

Am 18. Januar waren in Magdeburg 2500 Polizisten und knapp 900 Bundespolizisten im Einsatz. Während diese keine Mühe scheuten, knapp 1000 Neonazis einen braunen »Gedenkmarsch« zu sichern, endete der Weg für ihre Gegner oft an Sperrgittern. So hatte die Polizei für fast drei Stunden alle Brücken abgeriegelt trotz angemeldeter Mahnwachen auf der anderen Elbseite. Dazu kamen umfangreiche Straßensperren, die Aktionen in Hör- und Sichtweite der Rechten unmöglich machten.

Erst gar keine Chance auf Protest hatten offenbar jene, die die Polizei als »besonders links aussehend« einstufte. Das lassen Berichte vermuten, die Teilnehmer am Dienstag bei einer Auswertung des Bündnisses »Magdeburg nazifrei« vortrugen. Die Mitanmelderin einer Mahnwache kritisierte etwa »Ganzkörperkontrollen«. Diesen habe sich zeitweise jeder, der an ihrer Versammlung teilnehmen wollte, unterziehen müssen. Andere sprachen von »massenhaft präventiven Platzverweisen«. Und wo die einen nicht mehr hindurften, ließ die Polizei andere nicht mehr weg. Einen 21jährigen und dessen vier Freunde habe sie gezwungen, bis zum Abend auf der »Meile der Demokratie« auszuharren. Der Grund seien »schwarze Jacken mit Kapuzen« gewesen. »Es ist unzulässig, nach dem Äußeren zu selektieren und präventiv den Zugang zu offiziellen Veranstaltungen zu verwehren«, betonte Anwalt Dias.

Mehrere Augenzeugen berichteten zudem von Polizeigewalt. In einem Fall seien vermummte Beamte ohne ersichtlichen Anlaß auf Demonstranten »mit Kriegsgebrüll losgestürmt« und hätten »wie besessen auf sie eingeknüppelt«. Beobachtet worden sei auch, wie ein Polizist eine junge Frau mit der Faust zu Boden geschlagen und anschließend »an den Haaren fortgezogen« habe. Auch diese Betroffenen bittet Paulo Dias, sich bei ihm zu melden – die E-Mail-Adresse des Anwalts ist unten angegeben.

Mit der Neuauflage ihrer Strategie von 2013 habe die Polizei »die Grundrechte auf Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt«, resümierte der Anwalt. So sieht das auch der parteilose Magdeburger Stadtrat und Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, Oliver Wendenkampf. Er habe als Anmelder einer Kundgebung ebenfalls geklagt. Seiner Ansicht nach tragen Stadt- und Landespolitiker »eine große Mitschuld«. »Sie haben alle Proteste außerhalb der Festmeile vorab kriminalisiert«, sagte er am Dienstag. Das präventiv-repressive Vorgehen habe die Polizei mit der Politik abgestimmt, weiß er. Wendenkampf fordert, alle Rechtsverstöße politisch aufzuarbeiten.

Für die Polizei ist hingegen alles in bester Ordnung: Die Brückensperren seien einer »Kommunikationspanne« geschuldet gewesen, hatte ein Sprecher vorige Woche erklärt. Eine Bevorzugung der Neonazis wollte er nicht erkennen. Sie seien nach dreistündiger Verzögerung nur deshalb nicht nach Hause geschickt, sondern ein weiteres Mal mit der Bahn herumgefahren worden, »weil sie mit einem Spontanmarsch gedroht haben«. Wie Sprecherin Beatrix Mertens am Donnerstag ergänzte, liegen der Polizei zwei Strafanzeigen gegen Neonazis wegen Zeigen eines Hitlergrußes vor. Gegen Antifaschisten seien 133 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, unter anderem wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Vermummung. Von 530 Personen habe die Polizei die Identität festgestellt und 421 Platzverweise ausgesprochen.

[kontakt@recht-durchsetzen.de]

* Aus: junge Welt, Freitag, 31. Januar 2014


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