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Doppelte Blockade im Gleisbett

Naziaufmarsch in Magdeburg behindert, aber nicht gestoppt

Von Hendrik Lasch, Magdeburg *

Tausende Gegendemonstranten haben in Magdeburg einen Aufmarsch von Neonazis behindert. Die Polizei sorgte dafür, dass Blockadeversuche nur zeitweise erfolgreich waren.

Es ist eine Taktik, wie sie Partisanen lehren: Um einen Gegner auszuschalten, müssen neuralgische Punkte besetzt werden. Am Samstag in Magdeburg waren das Bahngleise, die über die Elbe hinweg zwischen den Bahnhöfen Neustadt und Herrenkrug verlaufen. Rund 70 linke Demonstranten hatten sie am Mittag blockiert – mit der Folge, dass Züge mit Hunderten Nazis nicht in den Magdeburger Osten fahren konnten. Knapp Hundert Kameraden warteten dort deshalb vergeblich auf den Beginn eines braunen Aufzugs. Eine Zeit lang sah es damit fast so aus, als wären die Pläne des Bündnisses »BlockMD« aufgegangen: erstmals erfolgreich einen Naziaufzug in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt zu blockieren.

Schon seit Ende der 1990er Jahre bläst die rechtsextreme Szene alljährlich im Januar zu einem Aufmarsch. Anlass ist der Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs am 16. Januar 1945, den die Braunen für ihre Geschichtsverdrehung vereinnahmen und als Teil eines »Bombenholocaust« darzustellen versuchen. Zu den Aufzügen, die eine »Initiative gegen das Vergessen« anmeldet und die lange als Generalprobe für Demonstrationen in Dresden vier Wochen später galten, kamen teils weit über Tausend Nazis; vergangenes Jahr waren es 900. Nachdem in Städten wie Dresden und Erfurt die Szene mit Blockaden erfolgreich vergrämt wurde, ist Magdeburg nahezu als der letzte Aufmarschort dieses Kalibers verblieben.

Das neu gegründete Bündnis BlockMD, das Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Initiativen tragen, hatte für Samstag auch in Magdeburg zu friedlichen Blockaden aufgerufen. Ausgehen sollten diese von »Meilensteinen der Demokratie«, die überall in der Stadt angemeldet wurden. Der Name bezieht sich auf die »Meile der Demokratie«, bei der Tausende Magdeburger schon zum sechsten Mal gegen den braunen Aufzug protestierten. Die Bürger hätten »die Nase gestrichen voll von diesem menschenverachtenden Ungeist«, sagte SPD-Oberbürgermeister Lutz Trümper zur Eröffnung. Allerdings beschränkt sich die Meile auf einige Straßenzüge in der Innenstadt; die Demo der Nazis wirklich zu unterbinden, ist nicht ihr Anspruch. Diesen hatten dagegen Tausende Menschen aus Magdeburg und anderen Städten, die sich seit dem Morgen überall in der Stadt verteilt hatten.

Unterlaufen wurde ihr Ansinnen freilich von der Polizei, die mit 3300 Beamten samt Pferden und Wasserwerfern in der Stadt omnipräsent war, Informationen über die geplante Route der Nazis verweigerte und statt dessen zu einer Art Katz-und Maus-Spiel animierte. Zunächst zog sie Kräfte im Süden der Stadt zusammen, wo schon vor einem Jahr der Aufzug der Nazis hatte stattfinden können. Nachdem viele Gegendemonstranten den etliche Kilometer langen Weg zurückgelegt hatten, kam der Herrenkrug im Nordosten ins Spiel. Protestierern wurde indes der Weg dorthin abgeschnitten, indem alle Elbbrücken abgeriegelt wurden – und zwar auch für Abgeordnete, Journalisten und Anwohner, die vom Wochenendeinkauf zurückkehrten und höchst erbost reagierten. Ein Polizeisprecher machte später Kommunikationsprobleme mit »Fremdkräften« aus anderen Bundesländern verantwortlich. Eigentlich hätten Anwohner die Sperren nach einer »Selektion« passieren sollen.

Immerhin scheiterte an der Blockade auf den Bahngleisen auch der Versuch, die Nazis durch den Park am Herrenkrug laufen zu lassen. Deren Züge, die am Bahnhof Neustadt von Linken mit Steinen beworfen worden waren, wurden statt dessen nun tatsächlich in den Süden zum Haltepunkt SKET gelenkt, wo den rund 750 Nazis eine verkürzte Demonstration gestattet wurde. Diese Entscheidung rief geharnischten Protest hervor. »BlockMD« kritisierte die »Strategie der Desinformation« der Polizei; LINKE-Landeschefin Birke Bull fragte, warum man den Nazis »nach erfolgreicher friedlicher Gleisblockade einen neuen öffentlichen Raum zur Verfügung stellen« müsse.

Hunderte Antifaschisten, die an die Route zu gelangen suchten, setzte die Polizei im Zentrum fest – ausgerechnet im Gleisbett der Straßenbahn, wo Steinewerfer viel Munition gefunden und der Polizei womöglich Anlass zu massivem Eingreifen geboten hätten. Sebastian Striegel von den Grünen sprach von einer »Eskalationstaktik«. Immerhin: Die Lage blieb so friedlich, dass sogar ein »Vogue«-Model in gepflegtem Anzug hinter der Polizeikette für Fotos posieren konnte. Für 2015 hofft man bei »BlockMD« allerdings nicht auf Schauläufer im feinen Zwirn, sondern auf »deutlich mehr Menschen, die entschlossen an und auf der Route demonstrieren« – damit die Nazis vielleicht auch in Magdeburg endlich einmal komplett blockiert werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 20. Januar 2014


Straße frei für Neonazis

Magdeburg: Stadtweite Proteste störten rechten Aufmarsch erheblich. Die Polizei setzte ihn dennoch mit allen Mitteln durch

Von Susan Bonath **


Sachsen-Anhalts Polizei nimmt das Demonstrationsrecht sehr ernst. Wie, das zeigte sie am Samstag in Magdeburg: Trotz massiver Gegenproteste ließ sie etwa 900 Neonazis über den Norden nach Osten und schließlich in den Süden der Stadt chauffieren. Rund 2500 Beamte aus zehn Bundesländern sowie 800 Bundespolizisten und zwei Reiterstaffeln sorgten dafür, daß ein Großteil der Rechten fast ungestört durch Wohngebiete im Stadtteil Reform laufen konnte. Dennoch gelang es Antifaschisten erstmals, den für 12 Uhr geplanten braunen »Gedenkmarsch«, zu dem die neofaschistische »Initiative gegen das Vergessen« aus Anlaß des Bombenangriffs auf Magdeburg vor 69 Jahren mobilisiert hatte, um fast vier Stunden zu verzögern.

Noch Samstag mittag war in Magdeburg alles unklar. Wo werden die Neonazis ankommen? Welche Route sollen sie laufen? Auch der Presse gab die Polizei dazu höchstens ausweichende Auskünfte. Während auf dem Breiten Weg in der Innenstadt die »Meile der Demokratie« – von Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) als einzig unterstützenswerter Protest gepriesen – errichtet wurde, sammelten sich Hunderte Antifaschisten an etwa zehn Anlaufpunkten in der 200 Quadratkilometer großen Elbestadt. Die Bedrohung von rechts war spürbar: Schon im Vorfeld hatten die Neonazis ihren Aufmarsch stadtweit mit Schmierereien beworben. Scheiben eines Cafés, deren Betreiber sich offen als Antifaschisten bekannt hatten, waren eingeschlagen worden. Auch Journalisten wurden bedroht. So erhielt etwa die jW-Korrespondentin am Samstag morgen einen anonymen Anruf auf dem Handy. Sie würde den gesamten Tag in Magdeburg beobachtet und überwacht, hieß es.

Bereits am Vormittag räumten Polizisten eine Sitzblockade im Südosten der Stadt. Die Polizei riegelte mehrere Bahnhöfe ab. Als sie am Hauptbahnhof bereits Hunderte Neonazis in Züge zum Bahnhof Herrenkrug östlich der Elbe gesetzt und sämtliche Brücken in diese Richtung gesperrt hatte, erklärte die Pressestelle der Behörde noch immer, es gebe keine Pläne. Dutzende Antifaschisten reagierten auf ihre Weise. Zwar gelangte die erste Bahn mit der braunen Fracht ans Ziel. Weitere Züge wurden allerdings durch eine Gleisblockade gestoppt. Die Ordnungshüter räumten nach eigenen Angaben 50 Menschen von den Schienen, laut Aktivisten waren es bis zu 200. Zunächst ließ die Polizei die Neonazis nach Neustadt bringen. Auch dort gab es Sitzblockaden in Bahnhofsnähe. Am späten Nachmittag sickerte durch, daß die Rechten nun rund 15 Kilometer weiter gen Süden transportiert würden. Bei eingestelltem Nahverkehr und massiven Kontrollen schafften es nur wenige Gegner, pünktlich dorthin zu gelangen. Einen Blockadeversuch in der Nähe des Bahnhofes SKET lösten Polizisten gewaltsam auf. Etwa 800 Rechte konnten so im Stadtteil Reform marschieren, eine Kundgebung abhalten und ihre festgesetzten Gegner fotografieren.

Allerdings war es der Polizei nicht gelungen, alle in Magdeburg eingetroffenen Neonazis zum Marschgebiet zu bringen. Einige liefen in kleinen Gruppen verstreut durch die Stadt, etwa 150 waren am Bahnhof Herrenkrug verblieben. Letzteren genehmigten die Beamten einen Spontanmarsch durch die größtenteils unbewohnte Gegend.

Die Bündnisse BlockMD und »Magdeburg nazifrei«, die zu Blockaden aufgerufen hatten, lobten den Einsatz der Demonstranten. »Erstmals ist es in Magdeburg gelungen, die Logistik der Nazis effektiv zu stören, ihren Aufzug zu spalten und zu verzögern«, zog BlockMD am Samstag eine erste Bilanz. Dies sei »ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den jährlichen Aufmarsch ganz zu verhindern«. Die Polizei habe jedoch erneut »mit Desinformation und einem Katz- und Mausspiel« das braune »Gedenken« durchgesetzt, kritisierte das Bündnis. Proteste in Sicht- und Hörweite der Neonazis habe sie hingegen mit allen Mitteln verhindert. Antifaschisten seien zum Teil gewalttätig davon abgehalten worden, an den vom Bündnis gegen rechts unterstützten und angemeldeten »Meilensteinen« teilzunehmen. »Magdeburg nazifrei« berichtete von zahlreichen Verletzten. Fünf Demonstranten hätten durch Schläge der Polizei Kopfverletzungen wie Nasenbeinbrüche und Platzwunden davon getragen. Weitere hätten Armbrüche, Knie- und Gelenkverletzungen oder offene Wunden erlitten. »Viele Personen« mußten zudem nach dem Einsatz von Pfefferspray medizinisch versorgt werden; einer ausgerutschten Polizistin hätten Demosanitäter erste Hilfe geleistet. Ferner habe es mindestens vier Verletzte durch Neonaziangriffe gegeben. Die Polizei teilte am Sonntag mit, wegen der Straßenblockaden, gewalttätiger Ausschreitungen und mehrerer Brandanschläge zu ermitteln.

Die »Meile der Demokratie« besuchten nach Angaben der Veranstalter rund 10000 Menschen. Zu den Zahlen der übrigen Demonstranten haben Polizei und Bündnisse bisher keine Angaben gemacht.

** Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014


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