Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Verdienstvolle Aufklärungsarbeit" des NSU-Untersuchungsausschusses, aber "demokratiewidrige Einflussnahme der Exekutive auf das Parlament"

Internationale Liga für Menschenrechte fordert politische Konsequenzen aus dem "strukturellen Kontrolldefizit" und "durchgreifende Maßnahmen gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft"


Im Folgenden dokumentieren wir die Pressemitteilung der Internationale Liga für Menschenrechte vom 22. August 2013. Im Anschluss daran Auszüge aus dem Ausschuss-Bericht.

Internationale Liga für Menschenrechte fordert anlässlich des heute vorgelegten Abschlussberichts des NSU-Untersuchungsausschusses grundlegende Veränderungen im System der „Inneren Sicherheit“ sowie durchgreifende Maßnahmen gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft.

Liga-Vizepräsident Rolf Gössner bescheinigt Ausschuss „verdienstvolle Aufklärungsarbeit“, kritisiert aber „demokratiewidrige Einflussnahme der Exekutive auf das Parlament“.


Die verdienstvolle Aufklärungsarbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags ist nun in einem umfangreichen Abschlussbericht bilanziert worden, der heute der Öffentlichkeit vorgelegt wird. Leider ist der Bericht nur in zensierter Fassung zugänglich, wofür Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Verantwortung trägt. Dieser hat den Ausschuss mit einer vertraulichen Streichliste konfrontiert, in der er die Streichung oder Abänderung von 118 Textstellen forderte, die vom Ausschuss allerdings nur teilweise übernommen wurden.

Die Löschung ganzer Passagen und vertraulicher Dokumente sei zum Schutz von V-Leuten aus Neonaziszenen, zum Schutz der Arbeitsweise des „Verfassungsschutzes“, der V-Mann- und Akten-Führung sowie zum Schutz des Staatswohls erforderlich. Eine Veröffentlichung sensibler Textstellen würde V-Leute enttarnen und an Leib und Leben gefährden, dem Wohl des Bundes und der Länder schaden sowie das „Ansehen des Verfassungsschutzes beschädigen“, so das Bundesinnenministerium in seinem als Verschlusssache „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierten Schreiben an den Ausschuss vom 9.08.2013.

Die Internationale Liga für Menschenrechte hält diese exekutive Einwirkung des Bundesinnenministers auf ein parlamentarisches Kontrollgremium für skandalös und demokratiewidrig. Liga-Vizepräsident Rolf Gössner: „Das ist ein Verstoß gegen das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung. Doch solche Einflussnahmen sind keine Einzelerscheinungen, sondern haben leider System, weil sich die Verdunkelungsstrategien der Geheimdienste zwangsläufig bis hinein in die parlamentarische oder gerichtliche Kontrolle verlängern. Aus diesem strukturellen Kontrolldefizit müssen dringend politische Konsequenzen gezogen werden.“

Tatsächlich hatten die Ausschussmitglieder im Laufe ihrer parlamentarischen Aufarbeitung der NSU-Mordserie mit erheblichen Widrigkeiten, Vertuschungen und Urkundenunterdrückungen zu kämpfen. Seit Aufdeckung der Mordserie waren die „Sicherheitsbehörden“ mit fast schon krimineller Energie damit beschäftigt, die Spuren ihres Versagens, ihrer ideologischen Verblendung und Verflechtungen in das NSU-Umfeld zu verdunkeln und zu vernichten. Letztlich konnte der Ausschuss nicht mit letzter Sicherheit klären, weshalb die hochgerüsteten Sicherheitsbehörden den mutmaßlichen rechtsterroristischen Mördern und ihrem rassistischen Hintergrund mehr als ein Jahrzehnt lang nicht auf die Spur kamen – obwohl (oder weil) sie doch über ihre Nazi-V-Leute nahe am Geschehen waren und heillos verstrickt in das gewaltbereite Neonazi-Umfeld.

Rolf Gössner: „Die parlamentarischen Kontrolleure blickten in unglaubliche Abgründe einer organisierten Verantwortungslosigkeit der Sicherheitsorgane. Entsprechend vernichtend fällt nun parteiübergreifend das Urteil aus - obwohl der Abschlussbericht nach vorläufiger Einschätzung keineswegs alle wesentlichen Fragen nach den Hintergründen der Mordserie beantworten kann und sich mit dem Problem des institutionellen Rassismus’, der tief im staatlichen Handeln verwurzelt ist, zu wenig auseinandersetzt. Trotz des bisherigen Befunds sprechen Regierungspolitiker und Sicherheitspraktiker noch immer verharmlosend von Pannen, allenfalls von Unfähigkeit der Behörden; und leugnen damit die ideologischen Scheuklappen und den institutionellen Rassismus, die zu Fehleinschätzungen, Ignoranz, diskriminierenden Polizeiermittlungen im „migrantischen Milieu“ und systematischer Verharmlosung des Nazispektrums führten – begünstigt auch durch eine jahrzehntelang einseitig ausgerichtete Politik der ‚inneren Sicherheit’ gegen ‚Linksextremismus, Ausländerextremismus und Islamismus’.“

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) spricht von einem "historisch beispiellosen Behördenversagen" des hochgerüsteten Sicherheitsapparates. Der nun vorliegende Abschlussbericht muss in den nächsten Wochen gründlich ausgewertet werden. Bund und Länder sind gefordert, hieraus weit reichende Konsequenzen zu ziehen – eine Aufgabe, der sich insbesondere der neu zu wählende Bundestag und die neu zu bildende Bundesregierung ab Oktober mit Ernsthaftigkeit und dem Willen zur gründlichen Veränderung werden stellen müssen. Dabei müssen geeignete Maßnahmen gegen den institutionellen Rassismus entwickelt und durchgesetzt werden. Und das kriminelle V-Leute-System darf genauso wenig verschont bleiben wie der demokratisch nicht kontrollierbare Inlandsgeheimdienst ‚Verfassungsschutz’ insgesamt. Denn dieses Geheimsystem hat sich als erhebliches Gefahrenpotential für Demokratie, Bürgerrechte und Rechtsstaat herausgestellt. So jedenfalls darf es nicht weitergehen.

Internationale Liga für Menschenrechte, 22. August 2013


Schreddern im Amt

"Verdachtsmomente der Verschleierung von Sachverhalten" und "Vernichtung von Akten"

Dokumentiert: Aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses des Bundestages zum NSU-Terror

Der Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) hat am Donnerstag seinen mehr als 1350 Seiten umfassenden Bericht vorgestellt. junge Welt dokumentiert auszugsweise aus dem Kapitel K »Verdachtsmomente der Verschleierung von Sachverhalten«.

Am 27. Juni 2012 hat der Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren (BMI), Klaus-Dieter Fritsche, den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, telefonisch erstmals über die Vernichtung von Beschaffungsakten im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Zusammenhang mit der Operation »Rennsteig« im Umfeld des »Thüringer Heimatschutzes« (THS) unterrichtet. Diese Aktenvernichtung habe im November 2011 nach dem Auffliegen des NSU-Trios stattgefunden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe das BfV berichtet, daß entsprechende Unterlagen bereits lange vor Bekanntwerden der dem NSU zugerechneten Taten vernichtet worden seien. (…)

Referatsleiter Lingen

Am 27. Juni 2012 hat der Referatsleiter Lingen eine dienstliche Erklärung folgenden Inhalts abgegeben: »Am 10. November 2011 erhielt ich den Auftrag der Amtsleitung, Werbungsakten aus dem Bereich THS daraufhin zu überprüfen, ob sich aus diesen Bezüge/Kontakte des BfV zum Trio/NSU ergäben. Ich habe die Akten daraufhin überprüfen lassen und mich davon überzeugt, daß derartige Bezüge bei den von uns angeworbenen Quellen nicht existierten. Für die aus meiner Sicht damit dienstlich nicht mehr benötigten Akten habe ich am 11. November 2011 die Vernichtung angeordnet. Dabei wurden Werbungsakten zu acht Personen, mit denen eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit bestand, vernichtet.«

Am 28. Juni 2012 hat der Referatsleiter Lingen diese dienstliche Erklärung folgendermaßen ergänzt: »Nach nochmaligem Nachdenken habe ich nicht Werbungsakten von acht, sondern nur von sieben Personen zur Vernichtung angeordnet. Versehentlich habe ich in meiner Erinnerung eine Akte doppelt gezählt. Ich führe dieses Versehen darauf zurück, daß in einem Fall für eine Person zwei Fallbezeichnungen vergeben wurden.«

Als Zeuge vor dem Ausschuß hat Herr Lingen in Bezug auf die konkreten Vorgänge im Zusammenhang mit der Aktenvernichtung am 11. November 2011 von seinem Aussageverweigerungsrecht (…) Gebrauch gemacht, wonach er die Beantwortung solcher Fragen verweigern kann, die ihn selbst oder Angehörige (…) der Gefahr aussetzen würde, einer Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren, insbesondere wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit oder auch einem dienstlichen Ordnungsverfahren ausgesetzt zu werden. (…)

Zeugin N.

Nach Aussage der Zeugin N. habe der Referatsleiter Lingen ihr im Gespräch die Akten mit den Namen benannt; die Aktenzeichen habe er gar nicht gewußt. Die Akten mit den vom Referatsleiter benannten Namen seien diejenigen gewesen, die zuvor von Mitarbeitern dieser Referatsgruppe überprüft worden seien. Von daher seien ihr diese Akten bekannt gewesen.

Zum Inhalt ihres Gesprächs mit dem Referatsleiter Lingen hat die Zeugin N. weiter ausgesagt: »Ich habe gar nichts mitgeschrieben. Ich habe lediglich dann zu ihm gesagt, was das denn für Akten wären. Und das waren V-Mann-Akten. Zu diesem Zeitpunkt war Herr Lingen nicht Referatsleiter von der V-Mann-Führung. Und daraufhin habe ich gesagt, daß er das nicht entscheiden könnte, weil die Akten zu der V-Mann-Führung gehören würden – bis auf eine, die der Forschung und Werbung zugehörig war. Und da: Das würde aber nichts zur Sache tun; ich sollte das machen, was er mir sagt. Und da habe ich gesagt: Nein, das werde ich nicht tun; er möchte mir das bitte schriftlich geben.«

Der Referatsleiter Lingen habe ihr gegenüber nichts dazu gesagt, warum die Aktenvernichtung überhaupt notwendig sei. Über dessen Motive sei ihr nichts bekannt.

Nach Angaben der Zeugin N. sei dies der erste und einzige Fall in ihrer Zusammenarbeit mit dem Referatsleiter Lingen gewesen, der ihr Anlaß gegeben habe, eine Aufforderung zur Aktenvernichtung kritisch zu hinterfragen. (…)

BfV-Präsident Fromm

Der Präsident a. D. des BfV, Heinz Fromm, hat als Zeuge ausgesagt, ihm sei bereits am 20. November 2011 mitgeteilt worden, daß nicht mehr alle Akten aus der Operation »Rennsteig« vorhanden seien, er sei aber davon ausgegangen, die Vernichtung sei bereits in einer konzentrierten Aktion im Januar 2011 erfolgt. Hierüber habe er nach bestem Wissen gegenüber dem Bundesministerium des Innern berichtet. Zunächst habe er keine präzisen Informationen über die Zahl der vernichteten Akten gehabt. Dies sei dann nachgebessert worden, was dann halbwegs gestimmt habe. Im Januar 2012 sei dann der damalige Kenntnisstand sowohl gegenüber dem BMI wie auch gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages berichtet worden.

Vom tatsächlichen Zeitpunkt der Vernichtung in einem Beschaffungsreferat – dem 11. November 2011 – habe er jedoch erst am 27. Juni 2012 erfahren. (…)

MinDirig Engelke

MinDirig (Ministerialdirigent, jW) Engelke kommt in seinem schriftlichen Bericht zu dem Prüfergebnis, die Aktenvernichtung am 11. November 2011 im BfV sei zielgerichtet durch den Referatsleiter Lingen aus dem Beschaffungsbereich der Abteilung Rechtsextremismus erfolgt »in einem nicht ordnungsgemäß durchgeführten Vernichtungsfahren. Ziel war die Vernichtung von Akten zu Personen, die aus dem Umfeld des THS für das BfV geworben und als VM geführt wurden. (…)

Das Motiv des Referatsleiters lag mit höchster Wahrscheinlichkeit darin, Aktenbestände zu vernichten, zu denen er Nachfragen, Wiedervorlagen und Prüfarbeiten vermeiden wollte – Arbeiten, die eventuell notwendig würden, obwohl die Akten möglicherweise bereits seit längerem hätten vernichtet werden können oder müssen. Nach erfolgter Aktenvernichtung hat er bis Ende Juni 2012 in zahlreichen Berichten Formulierungen verwendet, die den Zeitpunkt seiner Handlungen absichtlich im unklaren ließen.« (…)

Ermittlungsverfahren

Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Zusammenhang mit der Aktenvernichtung am 11. November 2011 14 Strafanzeigen bearbeitet. Ausweislich der Abschlußverfügung vom 12. Juni 2013 hat sie die Aufnahme förmlicher Ermittlungen mangels Anfangsverdachtes eines strafrechtlich relevanten Handelns des ehemaligen Präsidenten des BfV oder Dritter (…) abgelehnt. Insbesondere sieht die Staatsanwaltschaft Köln keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme, die die Verwirklichung der Straftaten der Strafvereitelung (...), der Urkundenunterdrückung (…) oder des Verwahrungsbruchs (…) nahelegen.

Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, durch die Aktenvernichtung vom 11. November 2011 habe eine strafrechtlich relevante Verstrickung des BfV oder sonstiger staatlicher Stellen in die Machenschaften des NSU vertuscht werden sollen (…), hat die Staatsanwaltschaft Köln nicht gewonnen. Sie begründet dies damit, daß – auf den Sachinhalt bezogen – von einer nahezu vollständigen Rekonstruktion der vernichteten Akten auszugehen sei. Aus den rekonstruierten Akten hätten sich aber weder Hinweise auf Personen, die dem NSU zuzurechnen seien, noch auf Sachverhalte, die in einem engeren Zusammenhang mit dem NSU stünden, ergeben. Hinsichtlich der Motivlage des Referatsleiters zur Aktenvernichtung folgt die Staatsanwaltschaft Köln den Angaben des Sonderbeauftragten des BMI, Engelke, der Referatsleiter habe sich »unnütze« Arbeit ersparen wollen. Daß mit der Vernichtungsaktion tatsächlich nur die Bereinigung des Aktenbestandes im Vordergrund gestanden habe, hält sie auch auf Grund der weiteren Umstände der Vernichtung (zutreffend datierter schriftlicher Vernichtungsauftrag und Ausnahme der Vernichtung der Sachakten von der Vernichtung) für naheliegend. (…)

Weitere Aktenvernichtung

Das Ergebnis seiner Untersuchung sei, daß zwischen dem 4. November 2011 und dem 4. Juli 2012 (Aktenvernichtungsstopp) im BfV Anlagenordner zu 26 G 10-Maßnahmen aus dem Bereich rechts vernichtet worden seien. Darüber hinaus seien 94 Personenakten und acht Sachakten aus dem Bereich der »Auswertung« und aus dem Bereich der »Beschaffung« noch einmal 137 Akten der »Forschung und Werbung« und 45 Akten zu Gewährspersonen vernichtet wurden.

Dies ergibt eine Gesamtsumme von 310 Akten, die – neben der Aktenvernichtung am 11. November 2011 – zwischen dem 4. November 2011 und dem 4. Juli 2012 – dem Aktenvernichtungstopp im BfV – vernichtet wurden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 23. August 2013



Offenbarungseid der BRD

NSU-Bundestagsausschuß veröffentlicht Abschlußbericht. Das Gremium will keine Belege für staatliche Verwicklungen gefunden haben

Von Sebastian Carlens **


Der Bundestagsausschuß zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) hat seine Arbeit beendet: Nach ihrer letzten Sitzung am Donnerstag übergaben die Obleute den Abschlußbericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), anschließend stellten sie das 1357 Seiten starke Dokument in Berlin vor. Das Gremium, das herausfinden sollte, »ob Fehler oder Versäumnisse von Bundesbehörden die Bildung und die Taten der Terrorgruppe NSU begünstigt haben«, war – zum ersten Mal in der Geschichte der bislang 49 Bundesuntersuchungsgremien – mit den Stimmen aller im Parlament vertretenen Parteien eingesetzt worden. Die 389 Beweisbeschlüsse wurden einmütig gefällt, der Hauptteil des Abschlußberichts einstimmig angenommen. Von Linkspartei bis CSU: Das Erschrecken über die Taten des NSU war parteiübergreifend.

13 Jahre lang zogen die Rechtsterroristen des NSU eine Blutspur durch die BRD. Während dieser Jahre »im Untergrund« bewegten sich seine mutmaßlichen drei Mitglieder frei im Land, sie fuhren in den Urlaub, pflegten freundschaftlichen Umgang mit der Nachbarschaft, gingen ihren Hobbys nach – und ermordeten nach derzeitigem Kenntnisstand zehn Menschen. Am 26. Januar 2012, zweieinhalb Monate nach Bekanntwerden des NSU, wurde der Ausschuß eingesetzt. Nun, wenige Wochen vor der Wahl am 22. September, endet mit der Legislaturperiode auch sein Auftrag. Deshalb heißt das Dokument »Abschlußbericht«, obwohl rein gar nichts beendet ist: Das Bundeskriminalamt (BKA) untersucht 700 Gewaltdelikte auf einen rechtsterroristischen Hintergrund. Die Bundesanwaltschaft hat, neben dem Prozeß gegen Beate Zschäpe und vier Unterstützer vor dem Oberlandesgericht München, gegen neun weitere Beschuldigte und einmal gegen Unbekannt Verfahren eröffnet. Der Zschäpe-Prozeß wird nicht vor Ende 2014 zum Abschluß kommen.

»Daß diese Taten weder verhindert noch die Täter ermittelt werden konnten (...) ist eine beschämende Niederlage«, heißt es im Bericht. Der Ausschuß habe jedoch »keine Belege dafür gefunden, daß irgendeine Behörde den NSU dabei unterstützt hätte, sich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen«. Das ist Interpretationssache: 129 »Kontaktpersonen« des NSU verzeichnet eine Liste des BKA. Davon waren wohl mindestens 25 gleichzeitig Spitzel eines der vielen deutschen Dienste. Die erste Waffe für den NSU kam von einem »V-Mann«, ebenso die erste »konspirative Wohnung« und die rund zwei Kilo des Sprengstoffes TNT, mit dem die Jenaer Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hantierten.

Den Obleuten des Gremiums ist nicht vorzuwerfen, zu wenig untersucht zu haben. Alleine die Akten, die keiner Schredderaktion zum Opfer fielen, füllten viele Stunden Lektüre aus, die oftmals zähen Zeugenbefragungen gingen bisweilen an den Rand des Erträglichen. Und doch, die Quintessenz des »Staatsversagens«, die das Gremium einhellig zog, geht fehl. Die sich verselbständigende Exekutive ist kein bedauerlicher Ausrutscher, kein Betriebsunfall des Parlamentarismus. Ohne die V-Leute, ohne ihre fürstliche Entlohnung aus Behördenkassen, wäre das Milieu, aus dem diese Terroristen erwuchsen, niemals entstanden. Die staatsoffizöse Extremismusdoktrin hat, vor lauter »extremen Rändern«, den Blick auf den Extremismus der Mitte verstellt; die systemimmanente Fixierung der Dienste auf den Feind von links schloß die Möglichkeit rechter Terrorstrukturen von vorneherein aus. Der NSU mußte sich nicht verstecken. Er wurde nie gesucht.

** Aus: junge Welt, Freitag, 23. August 2013


Zurück zur Seite "Rassismus, Fremdenhass, Rechtsradikalismus"

Zur Verfassungsschutz-Seite

Zurück zur Homepage