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Länder wollen NPD verbieten

Ministerpräsidenten für Bundesratsinitiative - zur Not ohne Bundestag

Von Jörg Meyer *

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will auf jeden Fall ein neues NPD-Verbotsverfahren. Seine Kollegen stimmen ihm zu und unterstützen den »Weckruf«.

Die Länder machen Druck für ein neues NPD-Verbotsverfahren. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte der »Welt am Sonntag«, er wolle auf jeden Fall ein neues Verfahren. Alles andere würde die extrem Rechten stärken.

Bei vielen seiner Kolleginnen und Kollegen stießen die Äußerungen auf Zustimmung. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) stellte sich am Montag hinter Seehofer und sprach sich »zur Not« für eine Bundesratsinitiative aus, »wenn es nicht die Ministerpräsidentenkonferenz allein schafft«. Tillich betone indes, das verabredete Vorgehen müsse eingehalten werden, so ein Sprecher auf nd-Anfrage. Dies sieht vor, dass die Regierungschefs im Dezember über das neue Verbotsverfahren entscheiden. Dort muss Einstimmigkeit herrschen, während im Bundesrat die einfache Mehrheit reicht.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) verstehe die wieder aufgeflammte Debatte auch als »Weckruf«, so ein Sprecher. Der Aufruf der Ministerpräsidenten richte sich in erster Linie an Bundestag und Bundesregierung. Skepsis gegenüber einem NPD-Verbot herrsche in erster Linie bei Schwarz-Gelb auf Bundesebene. Für Sellering sind die öffentlichen Äußerungen von Parteifunktionären Beweis genug für deren antidemokratische Haltung.

Auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sagte: »Die NPD ist eine antidemokratische Partei. Sie verachtet die Werte, auf der unsere Gesellschaft aufbaut.« Er spricht sich wie seine Thüringer Kollegin Christine Lieberknecht (CDU) für ein Verbot der Nazipartei zur Not im Länderalleingang aus. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte laut dapd den Bund auf, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Durch den Vorstoß sei ein »neuer Impuls gegeben« worden, den er begrüße. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte: »Es wäre aber wünschenswert, wenn das Verfahren von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gemeinsam getragen würde.« Derzeit prüfen die Innenminister ihre Erkenntnisse und wollen im Herbst Ergebnisse vorstellen. Klares Ziel: ein neues Verbotsverfahren, so der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Und Kanzlerin Angela Merkel (CDU)? »Erst nach eingehender Prüfung sollte man entscheiden, ob man einen neuen Anlauf nimmt«, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert. Das Risiko eines Scheiterns wie schon 2003, als die Verfassungsrichter wegen der dubiosen V-Leute-Praxis der Verfassungsschutzbehörden den Verbotsantrag kippten, sei zu groß. Petra Pau, Vorstandsmitglied der Linksfraktion, sagte: »Wer wieder und wieder lauthals ein Verbot der NPD fordert, ohne es gerichtsfest zu begründen, hält die NPD nur in aller Munde.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. August 2012


„Dieses Verbot ist dringend notwendig“

Vorstoß für neues Verfahren gegen NPD: Bezug zur NSU-Terrorzelle ist Hauptargument. Ein Gespräch mit Dr. Norbert Nieszery **

Was ist der Anlaß für den Vorstoß von Bundesländern, ein in neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD auf den Weg zu bringen – auch ohne Bundesregierung und Bundestag?

Wir hier in Mecklenburg-Vorpommern fordern schon lange ein neues Verbotsverfahren. Aktueller Anlaß waren jetzt die Morde der Zwickauer Neonazizelle NSU an neun Geschäftsleuten türkischer und griechischer Abstammung sowie einer Polizistin. Offensichtlich gibt es aber jetzt in der Bundesregierung und in einigen westdeutschen Bundesländern doch Zweifler. Ich meine aber: Dieses Verbot ist dringend notwendig – und auch durchsetzbar aufgrund der Belege, die uns zur Verfügung stehen. Besser wäre natürlich, wenn alle Verfassungsorgane mitmachen würden. Aber wenn die Länder den Mut haben voranzugehen, ist genug Druck im Kessel.

Welche neuen Argumente gibt es für ein NPD-Verbot?

Der ideologische Hintergrund der NSU-Mörder ist eindeutig rechtsradikal. Sie waren in Kameradschaften organisiert, die in direktem Bezug zur NPD standen. Das Gedankengut, das diese Menschen geprägt hat, verbreitet die NPD aktuell. Es richtet sich in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die demokratische Grundordnung. Das ist die Grundlage für ein Verbotsverfahren.

Wie sind die Erfolgsaussichten, da das Bundesverfassungsgericht ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beantragtes Verfahren ablehnte, weil Verfassungsschützer auch in der NPD-Parteiführung aktiv waren?

In der Tat hatten wir 2003 das Problem, daß die meisten Informationen offensichtlich von Leuten stammten, die mit dem Verfassungsschutz kooperiert haben. Mittlerweile gibt es aber viele öffentliche Äußerungen von Protagonisten der NPD, die eindeutig belegen, daß diese in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die demokratische Grundordnung angehen will und einen völkischen Staat mit diktatorischem Hintergrund bilden möchte. Das Verfahrenshindernis ist somit ausgeräumt. Allein die Aussagen des Fraktionsvorsitzenden der NPD im Landtag Mecklenburg-Vorpommern Udo Pastörs würden ausreichen, um das Verbotsverfahren zu begründen. Ich verstehe daher nicht, warum einige Bundesländer immer noch nicht ihre V-Leute abgezogen haben.

Können Sie drastische Beispiele nennen?

Udo Pastörs, der auch stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender ist. So sagte er z. B. am 20. Juni 2007 in Rathenow: »Und wenn wir zur Macht gelangen, dann besteht darin auch die Verpflichtung, jene einer gerechten Strafe zuzuführen, die für diese Ausplünderungspolitik unseres deutschen Volkes Verantwortung tragen und heute noch uns frech ins Gesicht grinsen. Also, liebe herrschende Klasse, seht euch vor, denn wer Wind sät, wird Sturm ernten. Laßt uns Sturm sein!«

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) warnten vor einem »überstürzten Vorgehen«…

Ich halte es nicht für überstürzt. Die Innenminister aller Länder sammeln Informationsmaterial, das die Innenministerkonferenz im Oktober bewerten wird.

Ist das Problem des Rassismus und neonazistischen Denkens mit einem Verbot zu lösen, oder ist zu befürchten, daß dann Kameradschaften im Untergrund gegründet werden?

Natürlich werden wir allein mit einem Verbotsverfahren rechtsextreme Gedanken nicht aus den Köpfen der Menschen bekommen. Aber wir werden so in die Lage versetzt, die NPD nicht gleich behandeln zu müssen wie eine demokratische Partei. Die NPD genießt alle Rechte der Demokratie und nutzt diese ausschließlich zu dem Zweck, um diese abzuschaffen: Das ist in keiner Weise akzeptabel!

Müßte man nicht an die Ursachen gehen? Ist nicht Rechtsextremismus besonders in Bundesländern stark, wo es verstärkt Existenzängste gibt – hat die SPD nicht in dieser Hinsicht Fehler gemacht?

Ursachen für rechtsradikales Denken sind vielfältig und nicht einzig in der sozialen Notlage begründet. Junge Leute suchen häufig den Schulterschluß in Kameradschaften, weil sie sich selber zu schwach fühlen. Und Sie sollten uns nicht unterstellen, daß das Einleiten des Verbotsverfahrens das einzige ist, was wir machen. Wir bieten auch Prävention und Beratung.

Würden nicht weniger Existenzangst eine bessere Sozialgesetzgebung und angemessen bezahlte Jobs dazu beitragen, daß Menschen nicht so leicht manipulierbar sind?

Natürlich spielt das soziale Umfeld eine Rolle, und daran arbeiten wir auch, z.B. indem wir für einen flächendeckenden Mindestlohn kämpfen. Vieles liegt aber einfach im Individuum selbst begründet.

** Dr. Norbert Nieszery ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern

Interview: Gitta Düperthal

Aus: junge Welt, Dienstag, 14. August 2012


Länder für NPD-Verbot

Ministerpräsidenten machen Druck für Verbot neofaschistischer Partei. Linke warnt vor Aktionismus: V-Männer gefährden weiterhin Erfolg eines Verfahrens

Von Ulla Jelpke ***


Mit ihrer Ankündigung, notfalls im Alleingang ein neues NPD-Verbotsverfahren einzuleiten, setzen mehrere Ministerpräsidenten parteiübergreifend die Bundesregierung unter Druck. Zuerst hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Wochenende erklärt, »alles in die Waagschale« zu werfen, damit ein neues Verfahren zustande kommt. Nun schlossen sich Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), der mecklenburg-vorpommerische Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) dieser Forderung an.

Die Ideologie der NPD sei der »geistige Nährboden für die Mörder« der Terrorzelle des Nationalsoziaslistischen Untergrunds (NSU), erklärte Lieberknecht gegenüber der Tageszeitung Die Welt vom Montag. Es sei schwer erträglich, daß diese Partei aus Steuermitteln unterstützt werde. Die Ministerpräsidenten schließen einen Alleingang der Länder auch ohne Bundestag und Bundesregierung bei der Beantragung eines Parteiverbots nicht aus. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte am Montag von der Bundesregierung Engagement für ein neues Verbotsverfahren. »Ich fordere den Bund auf, sich daran zu beteiligen«, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur dapd. Durch den Ländervorstoß sei ein »neuer Impuls gegeben« worden, den er begrüße.

Dementgegen warnen der CDU-Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich, und Niedersachsens Innenmister, Uwe Schünemann, vor einem übereilten Vorgehen. Kritik kommt auch von Petra Pau, die dem Vorstand der Linksfraktion im Bundestag sowie dem NSU-Untersuchungsausschuß angehört: »Wer wieder und wieder lauthals ein Verbot der NPD fordert, ohne es gerichtsfest zu begründen, hält die NPD nur in aller Munde. Das ist PR-Arbeit im schlechtesten Sinne.«

Noch unter dem Eindruck der Morde durch die Neonaziterroristen des NSU hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern auf der Innenministerkonferenz im März endlich darauf geeinigt, innerhalb eines Monats die V-Leute der Verfassungsschutzämter aus dem Führungsgremien der NPD – nicht aber aus der Basis der Partei – abzuziehen. Bis Mitte November sollen neue Beweise ausgewertet werden, um dann im Dezember über einen Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu entscheiden. Tatsächlich scheint diese Prüfung für Politiker der CDU/FDP-Regierungskoalition eher eine Pflichtübung zu sein. Denn nicht nur der Verbleib von Verfassungsschutzspitzeln in den unteren NPD-Gliederungen gefährdet ein neues Verfahren. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl hält das Unterfangen auch aufgrund der bekanntgewordenen Aktenvernichtungen des Verfassungsschutzes über frühere Einsätze von V-Leuten in der Neonaziszene für aussichtslos. Die NPD-Anwälte würden damit die Glaubwürdigkeit der Verfassungsschutzquellen in Zweifel ziehen, erklärte Uhl Ende Juli.

Das erste, von Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung gemeinsam angestrengte NPD-Verbotsverfahren war 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Das oberste deutsche Gericht hatte die Durchsetzung der Organisation mit V-Leuten des Verfassungsschutzes moniert und ihr daher eine »fehlende Staatsferne« unterstellt. Zum damaligen Zeitpunkt stand jedes sechste Vorstandsmitglied der NPD auf der Gehaltsliste des Inlandsgeheimdienstes, so daß das Gericht nicht erkennen konnte, welche der für ein Verbot relevanten volksverhetzenden Äußerungen tatsächlich aus der Partei kamen.

So hatte etwa der nordrhein-westfälische NPD-Funktionär Wolfgang Frenz, auf den einige der übelsten antisemitischen Hetzschriften der Partei zurückgingen, seit 1959 bis Mitte der 90er Jahre als V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes gearbeitet. Den Kontakt mit dem Geheimdienst hatte Frenz in Absprache mit seiner Partei aufgenommen und seinen Agentenlohn in den Aufbau der Organisation gesteckt. »Ohne das Geld des Verfassungsschutzes hätte die NPD in Nordrhein-Westfalen gar nicht aufgebaut werden können«, gestand er nach seiner Enttarnung im Zuge des Verbotsverfahrens. Frenz ist sich zudem sicher, einen Großteil seiner zehn Führungsoffiziere zu »überzeugten Nationaldemokraten« gemacht zu haben. »Ich hatte den Eindruck, daß ich mehr die geführt habe als die mich«, bekannte er im Dezember letzten Jahres gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 14. August 2012


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