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Verengter Blick auf NPD

Möglicher neuer Anlauf zum Parteiverbot - "Freie Kräfte" entfaltet

Von René Heilig *

Die Ankündigung der Unions-Innenminister, Verfassungsschutzspitzel in der NPD-Führung für ein Verbotsverfahren abzuschalten, stößt überparteilich auf Zustimmung. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und die Innenexpertin der Bundestagslinken, Petra Pau, erklärten, die Entscheidung sei überfällig. Der Chef des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), meint zum NPD-Verbot: »Der Zug rollt unaufhaltsam in diese Richtung.«

Der Zug in Richtung NPD-Verbot rollt, doch er rollt langsam. Sorgfalt gehe vor Tempo, sagt Bosbach, und: Kommt der Verbotsantrag nicht, »wäre das aus Sicht der NPD eine Niederlage des Staates«. Die Innenminister von CDU und CSU wollen einen Beschlussentwurf für ein am 22. März in Berlin geplanten Ressorttreffen vorlegen. Die Annahme der Beschlussvorlage gilt als sicher, da die SPD-Innenminister ebenfalls auf ein neues Verbotsverfahren drängen und bereits vor geraumer Zeit ihre »Vertrauensleute« in den Chefetagen der NPD abgeschaltet haben. So wie übrigens auch das von CDU und FDP regierte Sachsen.

Ob man per Antrag genug »Dampf« macht, damit der Zug das Ziel erreicht, ist ungewiss. 2003 war ein Verbot wegen der V-Leute in der NPD-Führung gescheitert. Nun sei aber Erfolg möglich, meint der Vorsitzende des Neonazi-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy. Es komme jetzt darauf an, das Beweismaterial zu aktualisieren, um nachzuweisen, dass die NPD eindeutig verfassungswidrig ist. Der SPD-Mann ist zuversichtlich, weil sich die NPD seit Jahren systematisch der gewaltbereiten Szene geöffnet und regelrechte Bündnisse mit Neonazis geschlossen habe.

Viel heiße Luft um vermutlich gerade einmal zehn Informanten im Bundesvorstand und den Landesvorständen der NPD. Sie - aber auch die zahlreichen anderen V-Leute - haben ohnehin nichts dazu beigetragen, dass die Radikalisierung der Rechtsextremisten gestoppt wurde. Überdies dämpfte Generalbundesanwalt Harald Range Hoffnungen, Ermittlungen zur mordenden Terrorzelle des Nationalsozialistischer Untergrunds (NSU) könnten beim NPD-Verbot hilfreich sein. »Es ist nach unseren Erkenntnissen nicht so, dass die NSU der militante Arm der NPD wäre.«

Die Fokussierung auf die NPD und der Versuch, die Zwickauer NSU-Terroristen als Einzeltäter darzustellen, sind Ausdruck eines abermals verengten Blicks beim »Kampf« gegen Rechtsextremismus. Seit Monaten ist zu erleben, wie sich die NPD selbst zerlegt und große Teile von ihr abrücken, weil sie nicht radikal genug gegen das demokratische Staatswesen antritt. Demgegenüber haben gut vernetzte »Freie Kräfte« und »Kameradschaften« Zulauf. Deren Aktionen werden koordinierter und brutaler. Sie verschaffen Mitgliedern und Unterstützern des NSU »Heldenstatus«.

Burgstädt, Limbach-Oberfrohna, Geithain, Penig und Stolpen sind bevorzugte Aufmarschkulissen in Sachsen. In Bayern flogen Waffendepots auf. Zu Wochenbeginn gab es eine Razzia gegen die kriminelle Vereinigung »Aktionsbüro Mittelrhein«. In zehn Städten in Rheinland-Pfalz, sieben in Nordrhein-Westfalen sowie jeweils einer Stadt in Thüringen und Baden-Württemberg wurde gegen 28 Neonazis, darunter sechs Frauen, ermittelt. Unmittelbar nach den Festnahmen demonstrierten in Dortmund rund 80 Neonazis Unterstützung für die 23 in U-Haft Sitzenden.

* Aus: neues deutschland, 16. März 2012


Auf den Zahn fühlen

Von René Heilig **

Es scheint, als hätten unsere Innenminister ihren Job bei dubiosen Pferdehändlern gelernt. Diesen Rosstäuschern war jeder Trick recht, um einen alten Klepper mit möglichst hohem Gewinn zu verkaufen. So ist das auch mit dem NPD-Verbot. Der Beschluss der Unionsminister, mit dem sie endlich der verspäteten Ansicht ihrer SPD-Kollegen folgen, taugt nur die Hälfte dessen, was man ihm zuschreibt. Vermutlich zehn NPD-Bonzen verlieren ihren V-Mann-Status. Vorübergehend. Und nur, um Bedenken der Verfassungsrichter aus dem Jahr 2003 scheinbar zu berücksichtigen.

Und was ist mit all den Nazis, die von nichts nichts wissen, dafür aber jede Menge Spitzelgelder zur Stärkung der »Bewegung« einstreichen? Während Schwarz, Rot, Gelb sich über Jahre zu einem Verbotsantrag tragen lassen, haben sich viele NPDler längst von der zerfallenden Partei abgewandt. In »Freien Kameradschaften« bauten sie mit einer ganz neuen Generation Menschenverachtern - unbehelligt von den Behörden - noch militantere, noch besser vernetzte Organisationen auf. Inspiriert vom Bekennervideo der NSU-Banditen, pfeifen sie hämisch den Paulchen-Panther-Song, horten Waffen, reihen Namen auf Opferlisten, verbreiten per Brandfackel Angst und Schrecken.

»Auf den Zahn fühlen« half wider Rosstäuscher. Warum nicht auch gegen aktionistische Minister, die ein gesellschaftliches Problem weiter klein reden? Wie lange bleibt sonst die »Zwickauer Zelle« so einzigartig wie grausam?

** Aus: neues deutschland, 16. März 2012 (Kommentar)


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