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Neonazis, kehrt marsch

Neuruppin: Rechter Aufzug durch antifaschistischen Protest gestoppt

Von Lothar Bassermann *

Mit viel Beharrlichkeit, Enthusiasmus und gegenseitiger Solidarität haben Hunderte Menschen am Samstag (9. Juli) einen Neonaziaufzug im brandenburgischen Neuruppin zum Stehen gebracht und zur Umkehr zwingen können. Ein breites städtisches Bündnis hatte wochenlang gegen das Vorhaben von Anhängern sogenannter freier Kameradschaften mobilisiert, die unter dem Motto »Vom Schuldkult zur Mitschuld« aufmarschieren wollten.

Als Organisatoren der rechten Veranstaltung leugneten die »Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland« in ihrem Aufruf die Verantwortung Nazideutschlands für den Zweiten Weltkrieg. Die heutige BRD wurde in dem Pamphlet mit Hilfe von Verschwörungstheorien zum Land unter der »Knechtschaft angeblicher Siegermächte«. Wieso die Rechtsextremen als Ort der Provokation ausgerechnet Neuruppin auserkoren haben, ist vielen Bewohnern bis heute nicht klar. Die alljährlichen rechten Aufmärsche gibt es in der »Fontanestadt« nunmehr seit 2007.

Zu den Protesten aufgerufen hatten Gewerkschaften, Kirchenvertreter, Politiker aus Neuruppin und dem Umland, städtische Jugendeinrichtungen, Antifagruppen sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Parteien und auch lokale Unternehmen. In der gesamten Innenstadt und entlang der geplanten Neonaziroute waren an Geschäften, öffentlichen Plätzen und an Wohnungsfenstern selbstgestaltete Plakate oder Transparente des Bündnisses »Neuruppin bleibt bunt« angebracht worden. In einem gemeinsamen Aufruf machten sich die Organisatoren gegen die Verfälschung der Geschichte und den Versuch der Neonazis stark, ihre rassistische und antisemitische Propaganda in der Stadt zu verbreiten. Der rechte Aufmarsch in Neuruppin drohte mit bis zu 400 Teilnehmern zur größten regelmäßigen Neonaziversammlung Brandenburgs zu werden. Letztlich kamen am Samstag allerdings nur rund 200 Neonazis zusammen, die zunächst mit 90 Minuten Verspätung losliefen und für die es bereits nach wenigen hundert Metern kein Weiterkommen mehr gab. Die zum Teil extra aus Köln angereisten Neofaschisten mußten somit unverrichteter Dinge die Heimreise antreten.

Trotz brütender Hitze war es ab 12Uhr Gegendemonstranten gelungen, mit der Kreuzung Karl-Marx-Straße/Junckerstraße einen neuralgischen Punkt auf der Neonaziroute zu besetzen. Das Konzept wirkte wohl durchdacht: Bereits am Vormittag hatten sich Hunderte überwiegend junge Antifaschistinnen und Antifaschisten an verschiedenen Plätzen Neuruppins versammelt, um trotz des enormen Polizeiaufgebots in die Innenstadt zu gelangen. Hinsetzen und blockieren hieß es schließlich, als sich zwei dieser jeweils rund 50 Personen starken Gruppen auf der Strecke trafen, die später die Neonazis laufen sollten. Kurz darauf konnten sich weitere dieser Bezugsgruppen, mit Fahnen in verschiedenen Farben ausgestattet, ihren Weg dorthin bahnen. Per SMS waren sie zuvor über den Ort der Sitzblockade informiert worden.

Schnell waren auch Megaphone und später ein Lautsprecherwagen organisiert. Man informierte über den Verlauf der Proteste und das klägliche Häuflein Neonazis, das sich zeitgleich am Bahnhof versammelte. Immer mehr Menschen verschiedenen Alters schlossen sich der Blockade an. Die Polizei ließ sie zunächst gewähren und genehmigte die Versammlung, die inzwischen auf 700 Teilnehmer angewachsen war, als Kundgebung, befristete sie aber bis 14.30 Uhr. Als sich der Aufmarsch der Rechten gegen 15 Uhr in Bewegung setzte, rief die Polizei die Blockierer auf, die Straße zu verlassen. Diese dachten jedoch nicht daran. In gespannter Ruhe warteten sie, ob es nun zur Räumung kommen würde. Die Antifaschisten wurden per Lautsprecher informiert, daß auch die Rechten ihrerseits eine Sitzblockade gebildet hätten und die ihnen von der Polizei angebotene Alternativroute nicht akzeptierten. Nun war Geduld gefragt. Zur Stärkung verteilten die Organisatoren Wasser und Eis. Solidarisch wurde unter den Teilnehmern Sonnencreme weitergereicht. Kurz vor 17 Uhr ereilte die Teilnehmer schließlich die erfreuliche Nachricht, daß die Neonazis zum Bahnhof zurückgeschickt wurden. Der Erfolg wurde mit Techno- und Elektromusik gefeiert, der Abend klang mit einem Open-Air-Konzert im linksalternativen Jugendtreff »Mittendrin« aus.

* Aus: junge Welt, 11. Juli 2011


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