Massenprotest gegen die NPD
Kundgebung gegen Aufmarsch in Magdeburg *
Am 16. Januar 1945 wurde Magdeburg schwer bombardiert. Ähnlich wie in Dresden versuchen
Rechtsradikale, diesen Termin für sich zu instrumentalisieren. Am Samstag stellten sich ihnen 6000
Bürger entgegen. Auch der Widerstand hat bereits Tradition.
Mehrere Tausend Menschen haben am Sonnabend in Magdeburg gegen
einen Neonazi-Aufmarsch mit etwa 1000 Teilnehmern protestiert. Im Mittelpunkt der
Gegenkundgebung stand eine »Meile der Demokratie« in der Innenstadt mit mehreren Bühnen und
Informationsständen, die von gut 6000 Menschen besucht wurde. Zudem verzögerten nach
Polizeiangaben etwa 300 Anhänger der linken Szene mehrmals den Neonazi-Aufzug mit
Sitzblockaden.
Ein Polizeisprecher bezichtigte anschließend »zwei Drittel« der linken Gegendemonstranten der
Gewaltbereitschaft. Polizisten seien mit Steinen und Knallkörpern beworfen worden. Verletzt wurden
nach Polizeiangaben aber nur zwei Polizisten, die Verletzungen seien leicht gewesen, hieß es. Die
Polizei habe Platzverweise ausgesprochen und mehrere Gegendemonstranten vorübergehend in
Gewahrsam genommen.
Zum Auftakt rief der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, dazu auf,
»diejenigen in die Schranken zu weisen, die die Uhr zurückdrehen wollen«. Anlass für den
»Trauermarsch« der Neonazis war der 66. Jahrestag des Luftangriffs auf Magdeburg am 16. Januar
1945. Dabei wurden mehrere Tausend Menschen getötet und 90 Prozent der Innenstadt zerstört.
Der Jahrestag ist zu einem festen Termin im Kalender der Neonazis geworden. Rose hielt der
Propaganda entgegen, die deutsche Gesellschaft sei vor 66 Jahren nicht zerstört, sondern von einer
menschenverachtenden Ideologie befreit worden, die sechs Millionen Juden und Hunderttausenden
Sinti und Roma das Leben gekostet habe. Er warnte zudem vor einem »Schüren von Vorurteilen«
gegenüber Minderheiten, das den Boden für das Eindringen von rechter Gewalt in die Mitte der
Gesellschaft bereite.
In Magdeburg befinden sich zwei Denkmale für die in der NS-Zeit verfolgten Sinti und Roma. Die
1998 unweit des Doms eingeweihte Plastik war das erste Mahnmal, das in den neuen
Bundesländern für die verfolgte Minderheit errichtet wurde.
An dem bis zum Abend dauernden Programm beteiligten sich mit Informationsständen,
künstlerischen Darbietungen und Podiumsdiskussionen 150 Vereine, Schulen,
Gewerkschaftsgliederungen, kirchliche Einrichtungen, Parteien und Geschäftsleute. Aufgerufen zu
der Aktion, die bereits zum dritten Mal stattfand, hatten das Magdeburger »Bündnis gegen Rechts«
und die Stadtverwaltung.
Bei der »Meile« bildeten außerdem mehrere hundert Menschen entlang der Strecke ein »Band der
Demokratie«. Unter den Teilnehmern waren Sachsen-Anhalts Landtagspräsident Dieter Steinecke
(CDU) und Minister der Landesregierung – und Vertreter der Opposition wie Linkspartei-
Spitzenkandidat Wulf Gallert. Zudem wurde am Alten Rathaus eine Gedenkstele enthüllt, die 68
Politikern der Stadt gewidmet ist, die vom NS-Regime ermordet und verfolgt wurden.
Am eigentlichen Gedenktag, dem 16. Januar, finden traditionell auf dem Westfriedhof ein
Schweigemarsch und eine Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer der Bombenangriffe statt.
Außerdem sind für den Abend drei Sonderkonzerte geplant.
* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2011
Gewissenspflicht mit Risiko
Juristen-Debatte vor 13. Februar: Blockade von Nazi-Demos nicht ganz legal, aber legitim
Von Hendrik Lasch, Dresden **
Weil Mitte Februar wieder Nazis durch Dresden marschieren wollen, ruft ein Bündnis zu Blockaden auf. Diese sind legitim, sagen Juristen – ob sie auch legal sind, ist aber umstritten. Das Risiko, vor Gericht zu landen, muss wohl in Kauf genommen werden.
Die Einladung entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: Zu einer Diskussionsrunde über die Frage, ob Blockaden von rechtsextremen Demonstrationen legitim und auch legal sind, hatte am Freitagabend ausgerechnet Christian Avenarius eingeladen, Mitglied der AG sozialdemokratischer Juristen, vor einem Jahr aber auch Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden. Diese hatte kurz vor dem 13. Februar die Büros eines Bündnisses durchsuchen lassen, das zur Blockade von Europas größtem Neonazi-Aufzug aufrief. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Behörde vier Politiker der LINKEN wegen des Aufrufs zu Aktionen, mit denen Nazis blockiert wurden, anklagen will.
Ob Avenarius' frühere Kollegen damit ihrer Pflicht nachkommen oder über das Ziel hinausschießen, blieb freilich auch am Ende des Abends unter den geladenen Experten strittig. Dabei billigen diese überwiegend die politischen und moralischen Motive derjenigen, die sich dem rechtsextremen Aufzug entgegenstellen. Bei dessen Organisatoren, sagt Wolfgang Howald, früherer Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Sachsen, handle es sich nicht um Menschen, die »nur schweigend durch die Straßen laufen«: Im Umfeld der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) würden unverhohlen revisionistische Gebietsforderungen gestellt. Dass der Aufmarsch, der die Würde von Kriegsopfern beleidige, im vergangenen Februar nicht habe stattfinden können, habe nicht an der von der Dresdner OB organisierten Menschenkette gelegen, stellte Howald unter Applaus klar: »Dass es nicht passiert ist, lag an den Blockaden.« Frank Richter, Dresdner Wende-Aktivist und jetzt Chef der Landeszentrale für politische Bildung, verweist auf die Gewissensfreiheit, die in der Verfassung garantiert sei – und womöglich »eine gewisse Relativierung der Rechtsordnung« zulasse.
Dennoch werde so das Demonstrationsrecht, das in der Demokratie unstreitig auch Rechtsextremen zusteht, gravierend beeinträchtigt, sagt Jürgen Schwabe, Professor für öffentliches Recht in Hamburg. Er hält das für »zivilen Rechtsbruch«, der unter keinen Umständen hinzunehmen sei. Verfassungsmäßige Rechte dürften auch unter Verweis auf das Gewissen nicht von Bürgern beschnitten werden: »Das ist eine Rutschbahn.« Auch Avenarius fragt, ob es nicht »verhängnisvolle Folgen« haben könne, wenn sich das Szenario umkehre, wenn also etwa Neonazis zu Tausenden unerwünschte Demos behinderten.
Das sei sogar ihr Recht, solange sie sich gewaltfrei verhielten, sagt Thilo Weichert, Datenschützer in Schleswig-Holstein und Aktivist in der Anti-AKW-Bewegung, der oft wegen zivilen Ungehorsams verurteilt wurde. Er betonte, das auch Nazis »gottseidank« ihre Meinung kundtun dürften, aber hinnehmen müssten, wenn Bürger Protest dagegen äußern – »auch durch körperliche Präsenz und auf der Straße sitzend«. Allerdings kennt auch Weichert den von Avenarius zitierten Paragrafen 21 des Versammlunsggesetzes, der nicht nur Gewalt gegen genehmigte Demonstrationen unter Strafe stellt, sondern auch deren »grobe Störung«. Wenn die Rechtsordnung Blockaden als eine Straftat einstufe, dann »müssen wir dafür einstehen, auch vor Gericht«, so Weichert. Streng juristisch gesehen, gehe man mit einer Blockade ein Risiko ein. »Das ist aber zumutbar«, sagt der Ex-Richter Howald. Rechtsbruch sei nie legal, ergänzt Weichert: »Er kann aber legitim sein.« Dass er verfolgt wird, nutzt manchmal sogar den Delinquenten: Das Blockadebündnis überreichte Avenarius am Ende eines der Plakate, die vor einem Jahr die Durchsuchung auslösten – als Dank für, wie es hieß, die mit der Beschlagnahmung verbundene unfreiwillige Werbung.
** Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2011
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