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Aggressive Verfolgung

"Sonderkommission 19/2": Über 150 Verfahren gegen Unterstützer antifaschistischer Blockaden im Februar in Dresden. Druck auf Busunternehmen

Von Markus Bernhardt *

Dresdens Polizei und Justiz gehen aktuell mit maßlosem Ermittlungseifer gegen antifaschistische Organisationen und Aktivisten vor, die sich im Februar diesen Jahres an den bundesweiten Protesten gegen den neofaschistischen Großaufmarsch in der Elbmetropole beteiligten. Mehr als 20000 Nazigegner hatten damals mittels friedlichen Massenblockaden einen Aufmarsch von etwa 2000 Neofaschisten verhindert, die ursprünglich anläßlich der alliierten Bombenangriffe auf die Stadt im Jahre 1945 aufmarschieren wollten.

Bis dato sind dem Bündnis »Dresden Nazifrei« bzw. »Dresden stellt sich quer!« über 150 Ermittlungsverfahren bekannt, in dessen Rahmen die Polizei gegen friedliche Blockadeteilnehmer ermittelt. Das Bündnis selbst, welches unter anderem von ver.di-Jugend, Linkspartei, Bündnis 90/Die Grünen und sogar Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) unterstützt worden war, wird derzeit seitens der sächsischen Behörden mittels des Paragraphen 129 StGB (»Bildung einer kriminellen Vereinigung«) kriminalisiert.

Mittlerweile wurde bekannt, daß nicht nur Busunternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen Post von der eigens gegründeten »Sonderkommission 19/2« bekommen haben, sondern auch aus anderen Bundesländern stammende Betriebe, die im Februar antifaschistische Demonstranten in die sächsische Landeshauptstadt transportierten. In den Schreiben, die jW vorliegen, werden die Unternehmen zu abgeschlossenen Verträgen, persönlichen Daten der Busfahrer, Fahrtrouten und Halteplätzen ausspioniert. Aufgrund einer von den Beamten gesetzten Antwortfrist wird der Eindruck erweckt, daß die Businhaber gesetzlich verpflichtet wären, auf Schreiben der Sonderkommission zu antworten.

In den Wochen vor und nach den mannigfaltigen Protesten gegen den neofaschistischen Großevent hatte sich die aus CDU und FDP bestehende sächsische Landesregierung bemüht, der Öffentlichkeit zu vermitteln, daß es sich bei den auswärtigen antifaschistischen Demonstranten im Gros um Chaoten und Extremisten mit Hang zur Randale handelt. Zudem wurde behauptet, daß mehr als hundert Polizeibeamte Opfer von Angriffen durch linke Aktivisten geworden seien. Von derartigen Anwürfen blieb jedoch im Ergebnis nichts außer heißer Luft übrig. So sah sich das Justizministerium in einer Sitzung des Rechtsausschusses des sächsischen Landtages am 8. Juni gezwungen, bekanntzugeben, daß aktuell nicht ein einziges staatsanwaltliches Verfahren aufgrund von Körperverletzungsdelikten gegen Polizeibeamte geführt werde. Hingegen hatte der sächsische CDU-Fraktionschef Steffen Flath gar von fünf dauerhaft dienstunfähigen Beamten schwadroniert.

Im Gespräch mit junge Welt mutmaßte Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der sächsischen Linksfrak­tion, am Mittwoch, daß die sächsische Staatsregierung die Öffentlichkeit belogen habe, »um mit Hilfe eines bürgerkriegsähnlichen Schreckensszenarios das ideologisch motivierte Bild von einem ständig gefährlicher werdenden sogenannten militanten Linksextremismus pflegen zu können«.

Heinrich Fink, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), fordert die sächsischen Behörden auf, die »durchschaubaren Kriminalisierungsversuche gegen Antifaschisten umgehend einzustellen«. Das einem Rechtsstaat nicht würdige Vorgehen zeige indes eindrucksvoll, wie notwendig es in Sachsen sei, den Kampf gegen Neofaschismus und Rassismus nicht dieser Staatsregierung zu überlassen, erklärte der ehemalige Rektor der Berliner Humboldt-Universität gestern gegenüber junge Welt. Fink forderte alle Nazigegner auf, den Kampf gegen die braune Szene auch weiterhin selbst in die Hand zu nehmen.

Gelegenheit dazu bietet sich bereits am 17. Juni. An diesem Tag ruft ein Zusammenschluß aus Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen und Parteien unter dem Motto »Kein Platz für Nazis« zu Protesten gegen einen von der NPD Sachsen und dem »Netzwerk Mitte« angemeldeten rechten Aufmarsch in Dresden auf.

* Aus: junge Welt, 16. Juni 2011


Polizeistaatliches Vorgehen **

Die regelmäßig von Politikern aller Couleur beschworene Zivilcourage ist in Sachsen zur Farce verkommen. All diejenigen Nazigegner, die sich am 19. Februar auf der Straße niederließen, um zu verhindern, daß Dresden seinem braunen Ruf einmal mehr gerecht wird, werden nun seitens Polizei, Justiz und politischer Entscheidungsträger in Verruf gebracht und aufgrund der Ermittlungen nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch bezichtigt, einer »kriminellen Vereinigung« anzugehören.

Dem aber nicht genug. Noch vor dem Tag des rechten Aufmarsches selbst eröffneten sächsische Politiker ein Trommelfeuer an totalitarismustheoretischem »Rot gleich Braun«-Gequatsche, welches seit Bestehen der Bundesrepublik zur Staatsdoktrin gehört. Sie wollten so die gesellschaftliche Stimmung beeinflußen und verhindern, daß die massiven Einsätze von Pfefferspray, Schlagstöcken, Räumpanzern, Wasserwerfern, scharfgemachten Hunden und eigentlich nur aus Kriegsgebieten bekannten Überwachungsdrohnen gegen Antifaschisten auf wahrnehmbare öffentliche Kritik stoßen würden.

Mit einem für einen Rechtsstaat unwürdigen bunten Strauß an polizeistaatlichen Methoden wird nunmehr zum großen Schlag gegen die politische Linke ausgeholt. Während die Neonaziszene ob der gegen ihre letzten glaubwürdigen Gegner gerichteten Repression frohlocken kann, gilt es nun, den antifaschistischen Aktivisten breitmögliche Solidarität zu erweisen.

Dabei sollte nicht vergessen werden, daß die, die nach der Annexion der DDR das politische Ruder in die Hand genommen haben, Teil des Problems und keineswegs der Lösung sind. Das schließlich macht das in Sachsen herrschende politische Establishment durch sein repressives Vorgehen aktuell mehr als deutlich. Etablierte Politik, Justiz und Polizei eint einmal mehr der Wille, den braunen Schlägerbanden zukünftig mit allen Mitteln und Wegen die Straße freizuhalten und sie vor Protest zu schützen. (bern)

** Aus: junge Welt, 16. Juni 2011 (Kommentar)


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