Blockieren, egal wo!
Von Markus Bernhardt *
Das Dresdner Verwaltungsgericht macht seinem ramponierten Ruf wieder einmal alle Ehre. Geht es nach den Richtern der 6.Kammer, dürfen an diesem Samstag (19. Feb.) mehrere tausend Neonazis nun doch an drei verschiedenen Orten in der Elbestadt aufmarschieren und Kundgebungen abhalten. In einer Eilentscheidung gab das Gericht am Freitag Anträgen dreier Rechtsextremisten statt, die dagegen geklagt hatten, daß die von ihnen angemeldeten Aufmärsche von der Versammlungsbehörde der Elbmetropole zu einer einzigen Kundgebung zusammengefaßt worden waren. Mit der von ihnen getroffenen Entscheidung tragen die Verwaltungsrichter dazu bei, daß die Neonazis durch die sächsische Landeshauptstadt marschieren und die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges wieder zu einem »Bombenholocaust« umlügen können.
Zwar hätte die Stadtverwaltung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in Bautzen einlegen können, bis jW-Redaktionsschluß machte sie davon aber keinen Gebrauch.
Die Entscheidung der Verwaltungsrichter sorgte indes über Parteigrenzen hinweg für Empörung. »Heute hat ein deutsches Gericht neofaschistischen Gewalttätern und Geschichtsrevisionisten die Straße freigegeben und sich damit de facto zu deren Handlangern gemacht«, konstatierte etwa Heinrich Fink, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) am Freitag auf Anfrage von junge Welt . Das Urteil sei »ein Schlag ins Gesicht der antifaschistischen Widerstandskämpfer und Holocaust-Überlebenden, deren Verbände auch zu den Massenblockaden mobilisieren«. Mehr denn je, so der ehemalige Rektor der Berliner Humboldt-Universität, gelte es nun, nicht weiter auf Gerichte und Stadtverwaltungen zu bauen, sondern in die Offensive zu gehen und den Neonaziaufmarsch aus eigener Kraft zu stoppen.
Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, warf dem Verwaltungsgericht vor, sich »im Bemühen, das Demonstrationsrecht der Nazis zu gewährleisten, wieder einmal vergaloppiert« zu haben. »Wenn das Gericht im Urteil ausführt, daß sich ›Maßnahmen gegen störende Gegendemonstranten zu richten hätten‹, verschließen die Richter die Augen davor, daß sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger friedlich und entschlossen für die Demokratie einsetzen wollen«. Diese würde das Gericht nunmehr als Störer denunzieren, so der Rechtspolitiker.
Beifallsstürme löste das Urteil indes erwartungsgemäß bei der neofaschistischen NPD aus. In einer Pressemitteilung fabulierte der sächsische NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel eine gegen die Verwaltungsrichter betriebene »Hetze linker Politiker« herbei und lobte den »großen Mut« der Juristen. Zugleich forderte der Neonazi die Polizei auf, »gegen die angekündigten linken Störer von dem ihr zustehenden Gewaltmonopol Gebrauch zu machen«. Der Befehl für die Polizei könne nur lauten: »Wasser marsch und Gummiknüppel frei«, so der Neonazi.
Das bundesweite antifaschistische Bündnis »Dresden stellt sich quer!« läßt sich von der Gerichtsentscheidung nicht weiter beeindrucken. Über 260 Busse voller Nazigegner aus dem gesamten Bundesgebiet und aus europäischen Nachbarländern haben sich für den Samstag in Dresden angekündigt. «Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Die Nazis wollen laufen? Wir blockieren, egal wo! Sie wollen eine Kundgebung abhalten? Wir werden sie daran hindern, überhaupt erst zu ihrem Treffpunkt zu gelangen! Wir sind gut aufgestellt«, so Bündnissprecherin Franziska Radtke.
www.dresden-nazifrei.com
* Aus: junge Welt, 19. Februar 2011
Dresden paradox: Nazis erlaubt, Gewerkschaft verboten
Ordnungsamt untersagt DGB-Kundgebung / Technische Universität zieht Anmeldung nach Anruf zurück
Von Jörg Meyer 19.02.2011 / Inland
Von Jörg Meyer **
Das Verwaltungsgericht Dresden hat ein Verbot des Naziaufmarsches gekippt. Die Stadt verbietet daraufhin eine angemeldete DGB-Kundgebung in der Altstadt.
Das erste Verbot der Stadt hatte das Dresdner Verwaltungsgericht gekippt. Danach sollten die drei für heute angemeldeten Veranstaltungen der Nazis – zwei Kundgebungen und eine Demonstration – zu einer Kundgebung außerhalb der Innenstadt zusammengefasst werden. Begründet hatte die Stadt das Verbot der Naziveranstaltungen mit »polizeilichem Notstand«. Das Verwaltungsgericht widersprach am Freitag: Erstens sei »die auferlegte Verpflichtung zur Abhaltung einer ›gemeinsamen Kundgebung‹« nicht vom Versammlungsgesetz gedeckt und widerspreche zudem »den Grundgedanken des Verfassungsgebers«. Zweitens sei die Polizei am Notstand selber Schuld, wenn sie Gegenveranstaltungen in der Altstadt zulasse und damit ihr eigenes Trennungsgebot unterlaufe.
Das Dresdner Ordnungsamt reagierte flugs und kümmerte sich ums Trennungsgebot: Der DGB Sachsen teilte kurz nach Bekanntwerden des Urteils mit, das Dresdner Ordnungsamt habe seine Kundgebung vor dem DGB-Haus in der Altstadt verboten und nannte das Verbot einen »ungeheuerlichen Vorgang«. Der DGB reichte noch am Freitagnachmittag eine Klage vor dem Verwaltungsgericht ein. »Wir werden uns das nicht gefallen lassen«, sagte Ralf Hron, DGB-Regionsvorsitzender Dresden-Oberelbe, gegenüber ND. Zumal der DGB in einer besonderen Lage sei: 1933 habe man ansehen müssen, wie die Nazis in das Gewerkschaftshaus am Schützenplatz einmarschiert seien und in der Folge dort Folterkeller eingerichtet hätten, so Hron.
Die TU-Dresden kündigte nach ND-Informationen an, ihre Anmeldung zu einer Kundgebung zurückzuziehen. Die Stadt versuchte anscheinend, das Trennungsgebot durchzusetzen, um den Naziaufmarsch doch verbieten zu können. Ob erneut Klage eingereicht wurde, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
Unterdessen riefen über 30 Prominente, Kulturschaffende und Wissenschaftler am Freitag die Dresdnerinnen und Dresdner dazu auf, sich den Nazis am Samstag in den Weg zu stellen – unter ihnen der Ex-Innenminister Gerhart Baum. Die Verunsicherung darüber, dass die Naziroute geheim gehalten werde, »darf nicht dazu führen, dass die Dresdnerinnen und Dresdner den Rechtsextremen das Feld überlassen. Bleiben Sie an diesem Samstag nicht zu Hause!«
Die rechtsextreme »Junge Landsmannschaft Ostpreußen«, die den jährlichen Dresdner Naziaufmarsch organisiert, rief für 12 bis 13 Uhr zum Treffpunkt am Hauptbahnhof auf. Treffpunkt für Proteste dagegen ist um 8.30 auf beiden Seiten der Marienbrücke Die aktuellsten Informationen unter www.dresden-nazifrei.com.
** Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2011
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