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Vorstöße gegen Blockade

Dresden: Urteil rügt Polizei / CDU-Chef geißelt "Demo-Tourismus"

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Drei Wochen vor dem 13. Februar eskaliert in Dresden der Streit um friedliche Blockaden eines großen Naziaufmarschs. Ein Gericht rügt frühere polizeiliche Milde gegen Blockierer, die CDU geht weiter auf Distanz.

Das Bündnis »Dresden nazifrei!« ruft trotz des Urteils des Verwaltungsgerichts, mit dem das Verhalten der Polizei bei der Blockade des Naziaufmarschs am 13. Februar 2010 gerügt wird, zu erneutem Widerstand auf und appelliert an die Polizei, friedliche Proteste nicht zu sprengen. Man erwarte, dass sie auch in diesem Jahr »den Naziaufmarsch nicht mit Gewalt durchsetzt«, sagte eine Sprecherin. Das Bündnis mobilisiert für den 19. Februar zu Blockaden und für den 13. Februar zu Protestaktionen. An diesen beiden Tagen wollen Rechtsextreme das Gedenken an die Zerstörung der Stadt im Jahr 1945 für geschichtsrevisionistische Aufmärsche missbrauchen.

Das Gericht hatte am Donnerstag auf Klage der extrem rechten »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland« geurteilt, die Polizei hätte dieser die Durchführung der von ihr im Februar angemeldeten Demonstration »ermöglichen müssen«. Sie habe es rechtswidrig unterlassen, »durch Einsatz geeigneter polizeilicher Mittel den Aufzug ... zu gewährleisten«. Ausführliche Gründe werden erst demnächst schriftlich genannt. Ob das Innenministerium die nächste Instanz anruft, ist offen. Diese würde aber kaum vor dem 19. Februar entscheiden.

Während der Linksabgeordnete und Anwalt Klaus Bartl die Dresdner Richter »im Widerspruch zum Verfassungsgericht« in Karlsruhe sieht, frohlockt die NPD. Fraktionschef Holger Apfel forderte, 2011 hart gegen Blockierer vorzugehen, und kündigte Strafanzeigen gegen Landtagsabgeordnete an, die den Aufruf für die Aktionen unterzeichnet haben, darunter Politiker von LINKE, SPD und Grünen. Zudem sollen die vor Jahresfrist am Demonstrieren gehinderten Nazis nun Schadenersatzansprüche prüfen. Das Urteil ist der zweite juristische Vorstoß gegen Blockierer. Vor einigen Tagen war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Dresden vier Fraktionschefs der LINKEN wegen der Blockade im vorigen Jahr anklagen will.

Derweil verschärft sich in Dresden die politische Auseinandersetzung um das Gedenken und den Widerstand gegen die Vereinnahmung durch Nazis. Nachdem die SPD Berlin zur Teilnahme an friedlichen Protesten aufgerufen hatte, wiesen die Fraktionschefs von CDU und FDP im Stadtrat, Lars Rohwer und Johannes Lohmeyer, diese »Selbst-Einladung« ab. Sie sei eine »unverantwortliche Aufforderung« an gewalttätige »Demonstrationstouristen«, sich in der Stadt »auszutoben«. Zuvor hatte Rohwer bereits dekretiert, eine von den Grünen ausgesprochene Einladung zu Debatten über die Dresdner Gedenkkultur sei angesichts des jahrelang praktizierten stillen Gedenkens nur »Besserwisserei«.

Ein Kommentator der »Sächsischen Zeitung« nannte Rohwer daraufhin »vernagelt«. Die SPD erklärte, man lade nicht zu Krawall, sondern zu friedlichen Protesten. Und LINKE-Stadtchef Hans-Jürgen Muskulus appellierte an Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU), sich ihrer Verantwortung nicht zu entziehen. Orosz hat wie 2010 zu einer Menschenkette aufgerufen, äußert sich zur geplanten Blockade aber nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2011


Konjunktive vs. Fakten

Von Markus Drescher **

Sie hätten laut Gericht marschieren dürfen müssen, die Nazis in Dresden am 13. Februar 2010 – haben aber keinen Schritt aus ihrem Käfig am Neustädter Bahnhof getan. Die Polizei hätte ihnen den Aufmarsch ermöglichen und die Blockaden räumen müssen. Hat sie aber nicht. Aus formaljuristischer und CDU-Politiker-Sicht hätte es die Blockaden, die den sogenannten Trauermarsch verhinderten, nicht geben dürfen. Hat es aber. Das Fazit: Auf der einen Seite jede Menge Konjunktive, auf der anderen Seite Fakten – geschaffen von tausenden Blockierern.

Was bedeutet nun das Urteil des Dresdner Verwaltungsgerichts für den 19. Februar 2011, wenn erneut Nazis durch die Stadt ziehen wollen? Auch diesmal steht ihnen dieses Recht laut Grundgesetz zu. Auch diesmal wird die Polizei versuchen müssen, den geschichtsrevisionistischen Umzug zu ermöglichen und gleichzeitig abwägen, ob sie dies auch mit massiver Gewalt tut. Denn es wollen eben auch in diesem Jahr Tausende in Dresden ihr legitimes Recht wahrnehmen, gegen Nazismus und Geschichtsverdrehung zu protestieren. Der Erfolg der Blockaden 2010 gründete auf der hohen Teilnehmerzahl. Gelingt es dem Bündnis, wieder so viele Menschen zu mobilisieren, wird es 2012 heißen: Konjunktive vs. Fakten 0:2 – Nazis hätten dürfen müssen, haben aber nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2011 (Kommentar)


NPD und Dresdner Verwaltungsgericht einig

Urteil: Polizei hätte Nazigroßaufmarsch 2010 gegen Blockaden von 12000 Menschen durchsetzen sollen

Von Markus Bernhardt ***


Die politischen Auseinandersetzungen um die drohenden Naziaufmärsche im Februar in Dresden nehmen an Schärfe zu. Neofaschisten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland wollen in diesem Jahr am 13. und am 19. Februar anläßlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges in der sächsischen Landeshauptstadt aufmarschieren (jW berichtete).

Am Mittwoch ((19. Jan.) entschied das Dresdner Verwaltungsgericht, daß die Polizei den Großaufmarsch der Rechtsextremen im Februar des vergangenen Jahres gegen die etwa 12000 anwesenden Neonazigegner hätte durchsetzen müssen. Diese hatten den Aufzug der braunen Geschichtsverfälscher mittels Massenblockaden erfolgreich ausgebremst, so daß die Rechten unverrichteterdinge die Heimreise antreten mußten.

Die Entscheidung der Richter, die damit einer Klage der extrem rechten »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland« gegen das Land Sachsen stattgaben, sorgte indes bei Antifaschisten für absolutes Unverständnis. »Für uns steht auch nach diesem Urteil fest, daß ziviler Ungehorsam ein legitimes Mittel ist, um sich Nazis entgegenzustellen«, so Franziska Radtke vom Bündnis »Nazifrei! Dresden stellt sich quer!«, das für den 19. Februar erneut bundesweit zu Massenblockaden gegen die neuerliche rechte Provokation mobilisiert.

Auch Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der sächsischen Linksfraktion, übte im Gespräch mit junge Welt harsche Kritik an der Entscheidung der Richter. »Wenn das Verwaltungsgericht Dresden es allen Ernstes für ›rechtswidrig‹ hält, einen Naziaufmarsch nicht mit Polizeigewalt – die im übrigen, wie die Polizei selbst zutreffend erkannt hatte, völlig unangemessen gewesen wäre – durchzuprügeln, ist etwas faul im Rechtsstaat Sachsen«, konstatierte er.

Unterstützung erhielten die Verwaltungsrichter hingegen erwartungsgemäß vom Fraktionschef der neofaschistischen NPD im sächsischen Landtag, Holger Apfel. »Wasserwerfer und die Möglichkeit der Gewahrsamnahme dürfen gegebenenfalls auch nicht vor der Immunität von Abgeordneten des Landtages und des Bundestages haltmachen, wenn es darum geht, am 13. und am 19. Februar endlich wieder das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit offensiv durchzusetzen«, forderte er.

Der Rechtsextremist erstattete zudem Anzeige gegen mehrere Mitglieder des Landesparlaments, die den Aufruf zur Blockade des im Februar stattfindenden Neonaziaufmarsches unterzeichnet haben. Neben Politikern von Linken und Bündnis 90/Die Grünen sind auch Sozialdemokraten davon betroffen.

www.dresden-nazifrei.com

*** Aus: junge Welt, 22. Januar 2011


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