"Das Bündnis der Nazigegner wurde noch breiter"
Mit der Beschlagnahme von Plakaten hat die Dresdner Justiz sich selbst ein Bein gestellt. Ein Gespräch mit Stefan Körzell
Pünktlich zur diesjährigen Dresdner Demo gegen die Neonazis hat die Staatsanwaltschaft Gera das Verfahren gegen rechte Schläger eingestellt, die vor einem Jahr an einer Autobahnraststätte in Thüringen einen Bus nordhessischer Gewerkschafter überfallen und einen Kollegen lebensgefährlich verletzt hatten. Haben Sie noch Vertrauen in die Justiz?
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Ich finde, das ist ein unmöglicher Zustand. Unmittelbar im Anschluß an den Vorfall im vergangenen Jahr hat die Polizei Fehler gemacht – jetzt gibt es auch noch Unzulänglichkeiten bei der Justiz: Obgleich auch vier Schweden an dem brutalen Überfall der Neonazis beteiligt waren, hat sie kein Rechtshilfeersuchen nach Schweden in die Wege geleitet. Schon allein das ist ein Skandal. Zudem fragen wir uns, warum die Polizei damals den Bus der Neonazis von der Autobahnraststätte hat unbehelligt weiterfahren lassen: Warum hat es keine erkennungsdienstlichen Behandlungen, keine Festnahmen, keine Gegenüberstellungen mit Zeugen gegeben? Man hätte die Täter sofort haben können!
Wenn Sie die polizeilichen Maßnahmen gegen Nazigegner im Vorfeld des braunen Aufzugs in Dresden in diesem Zusammenhang sehen – stellt sich da nicht ein Ungleichgewicht dar, wie die Polizei gegen rechts und links vorgeht?
Die Frage ist vor allem: Agiert die Polizei in dieser Weise, um den anständigen Protest gegen rechts zu verhindern? Beispielsweise finde ich es bedenklich, daß die Polizei Kontakt mit Busunternehmen aufnimmt und sie anspricht, »sich noch einmal zu überlegen, wen man da fährt und wohin«. Dieses polizeiliche Vorgehen führte meines Wissens nach in Marburg dazu, daß ein Busunternehmen aus dem Vertrag mit Antifaschisten ausgestiegen ist. Wir fragen uns: Warum agiert die Polizei nicht gegen Neonazis in dieser Weise – sondern ausgerechnet gegen die Gegendemonstranten, die ihrem demokratischen Protest Ausdruck geben wollen?
Jetzt will die Polizei nach Dresden fahrende Busse der Nazigegner begleiten – zu deren Schutz, wie es heißt. Gleichzeitig rüstet die sächsische Polizei mit Pepperball-Waffen auf, um gegen »aggressive Chaoten« vorzugehen, womit im Sprachgebrauch der Boulevardmedien üblicherweise nicht die Neonazis gemeint sind. Fühlen Sie sich beschützt oder bedroht?
Wir wußten, daß im vergangenen Jahr unsere Busse in Hessen genauso wie die der Neonazis polizeilich begleitet wurden – allerdings nur bis zur Landesgrenze in Thüringen. Der DGB Hessen-Thüringen hat jetzt Absprachen mit der Polizei getroffen, um festzustellen, welche Raststätten und Strecken bewacht sind, damit so ein Überfall wie im vergangenen Jahr nicht wieder passieren kann. Allerdings gehen wir davon aus, daß es hier um unseren Schutz geht, nicht etwa um die Überwachung von Gegendemonstranten.
Im Vorfeld des braunen Aufzugs ließ die Staatsanwaltschaft Mobilisierungsplakate von Nazigegnern beschlagnahmen, Computer aus deren Büros abtransportieren, die Homepage des Bündnisses »Nazifrei – Dresden stellt sich quer« sperren. Würde man ein solches Vorgehen nicht in anderen Ländern als demokratiefeindlich anprangern?
Die Plakate wurden von einem breiten Bündnis bundesweit verklebt. Wenn nun die Justiz in Dresden und Berlin so vorgegangen ist, finde ich das sehr bezeichnend. Abschrecken läßt sich von solchen Aktivitäten aber kaum jemand. Im Gegenteil: Das Bündnis der Nazigegner wurde dadurch noch breiter. Der Versuch, die Bewegung in »böse Antifa« und »berechtigter Bürger-Protest« zu spalten, scheint nicht aufzugehen. Vergangenes Jahr hatte ich kritisiert, daß der Protest hauptsächlich von außen, aus der gesamten Republik, gekommen war – daß die Dresdner selber sich jedoch kaum gegen die Nazis gewehrt haben. Daß sich das in diesem Jahr ganz anders darstellt, begrüße ich. Positiv ist auch, daß unser Protest jetzt auf breiteren Füßen steht: Außer der Antifa und Gewerkschaftern wollen auch Kulturschaffende, Bundestagsund Landtagsabgeordnete, Hochschulgruppen, Jugendverbände und viele andere Organisationen den braunen Zug stoppen. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dem Terror von rechts konsequent Widerstand entgegenzusetzen. Seit dem vergangenen Jahr ist die Erkenntnis gereift: Trotz unterschiedlicher Auffassungen im einzelnen können wir das nur gemeinsam tun.
Interview: Gitta Düperthal
* Stefan Körzell ist Bezirksvorsitzender des DGB Hessen-Thüringen
junge Welt, 13. Februar 2010
Nazis sollen nicht unter sich bleiben
Zehntausende werden sich symbolisch und aktiv rechter Demonstration in den Weg stellen **
Zum Protest gegen den für heute geplanten Aufmarsch, zu dem über 7000 Nazis nach Dresden kommen wollen, werden Zehntausende Demonstranten erwartet.
Die Stadt Dresden will mit einer Menschenkette um die Altstadt unter dem Motto »Erinnern und Handeln. Für mein Dresden« symbolisch gegen Rechts demonstrieren. »Es geht darum, heute Widerstand gegen Geschichtsrevisionismus und Erstarken von Neofaschismus zu leisten. Alle Organisationen der Zivilgesellschaft sind gefordert mit demokratischen Protestformen, wie Blockaden der Aufmarschwege oder Menschenketten um die Innenstadt hier sichtbare Zeichen zu setzen«, erklärt Ulrich Schneider, Generalsekretär der Organisation ehemaliger Widerstandskämpfer »Fédération Internationale des Résistants«. Die Landtagsfraktionen der LINKEN aus Sachsen, Thüringen und Hessen sowie Bundestags- und Europaabgeordnete der LINKEN und befreundete Politiker aus Tschechien und Polen wollen mit einer gemeinsamen öffentlichen Fraktionssitzung demonstrieren.
Auf der anderen Seite der Elbe, in der Neustadt, wo die Nazis mittags am Bahnhof losmarschieren sollen, will das Bündnis »Dresden Nazifrei!« den Aufmarsch mit friedlichen Massenblockaden verhindern. Der Neustädter Bahnhof diente in der NS-Zeit als Ausgangspunkt für die Deportation von Juden in die Vernichtungslager. Am Freitag wurden dort für die Opfer Kränze und Blumen niedergelegt. »Die Vorstellung, dass Neonazis auf dem Neustädter Bahnhofvorplatz aufmarschieren dürfen und die dortige Gedenkplakette für die deportierten Dresdner Juden verhöhnen, ist unerträglich. Dies werden wir nicht hinnehmen«, so ein Sprecher von »Dresden Nazifrei!«.
Am Donnerstag hatte das sächsische Oberverwaltungsgericht bestätigt, dass die Nazis marschieren dürfen, die Auflage, dass dies nicht am Hauptbahnhof in der Alststadt geschehen dürfe, aber bestätigt. Am Freitag entschied das Dresdner Verwaltungsgericht zudem, dass die Verlegung einer antifaschistischen Kundgebung in die Altstadt, die für die Neustadt angemeldet war, bestehen bleibt.
Staatsanwaltschaft, Politik und Polizei in Dresden haben im Vorfeld des 13. Februar einiges unternommen, um dem Blockadebündnis Steine in den Weg zu legen. Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Plakaten wegen des Aufrufs zu Blockaden wirkten nach Angaben der Organisatoren allerdings zusätzlich mobilisierend. Die Dresdner Polizei kündigte für heute eine neue Bewaffnung in Form von Pfeffergewehren an und will nach Informationen der Antifaschistischen Linken Berlin den Berliner Buskonvoi mit über 30 Bussen an der sächsischen Landesgrenze festhalten.
Die Blockierer reisen angesichts des Winterwetters gut gerüstet nach Dresden: Warme Kleidung, Essen, Trinken und eine Sitzunterlage gehören zu den unverzichtbaren Utensilien. Wer sich an den Blockaden beteiligt, hat nach Expertenmeinung ein überschaubares juristisches Risiko: Erst wenn man von der Polizei weggetragen wird, gilt die Blockade als eine Ordnungswidrigkeit. In einer Erklärung unterstützt das Auschwitz-Komitee das Vorhaben: »Es scheint immer noch Menschen zu geben, die meinen, die Neonazis würden von selbst verschwinden, wenn nur niemand hinschaut, wenn ihnen keine Beachtung geschenkt würde und sie ›unter sich‹ blieben. Wegsehen ändert nichts. Wir unterstützen die Bündnisse no pasarán und ›Dresden nazifrei!‹, die sich entschlossen den Nazis entgegenstellen.«
** Aus: Neues Deutschland, 13. Februar 2010
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