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Braune Demagogen

Neonazis rufen erneut »Nationalen Antikriegstag« aus und mobilisieren am 1. September bundesweit nach Dortmund. Gegenkundgebungen angekündigt

Von Markus Bernhardt *

Bereits zum achten Mal in Folge mobilisieren Dortmunder Neofaschisten für Anfang September anläßlich des von ihnen ausgerufenen »Nationalen Antikriegstages« bundesweit zu einem Großaufmarsch in die Ruhrmetropole. Sie kritisieren in ihrem diesjährigen Aufruf die Kriegsdrohungen der USA und der EU gegen den Iran und gegen Syrien und stellen sich als einzige Gegner imperialistischer Gewaltpolitik dar.

An mehreren Stellen des Pamphletes wird aber deutlich: Den Autoren geht es nicht darum, gegen die sich teilweise überschlagende Kriegspropaganda der »westlichen Wertegemeinschaft« zu protestieren, sie pflegen allein Antisemitismus und Nationalismus. So kritisieren sie z. B. die gegenwärtige bundesdeutsche Politik, weil sie nicht den »Interessen des deutschen Volkes« diene. »Ohne Rücksicht auf das Schicksal der eingesetzten Soldaten, die oftmals sogar aus falsch verstandenem Vaterlandsbewußtsein einen Auslandseinsatz antreten, verheizen demokratische Politiker deutsche Volksgenossen im Dienste fremder Mächte«, heißt es in antisemitischer Manier und mit Anspielung auf eine von militanten Neonazis stets halluzinierte »jüdische Weltverschwörung« weiter.

Als Aberwitz erscheint, daß sich ausgerechnet die politischen Nachfolger der faschistischen Mörder und Kriegstreiber hierzulande öffentlich als Gegner von Krieg und Besatzung darzustellen versuchen. Es war der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939, der die ganze Welt in Brand setzte und den Untaten des deutschen Faschismus millionenfache Kriegsverbrechen und den Völkermord an Slawen, den Juden Europas und an Sinti und Roma hinzufügte.

Den Neonazis wollen auch in diesem Jahr Antifaschisten aus dem bürgerlich-demokratischen Spektrum entgegentreten. Außerdem steht das bundesweite antifaschistische Bündnis »Dortmund stellt sich quer!«, das im letzten Jahr zu Massenblockaden gegen den Aufmarsch der braunen Hetzer mobilisiert hatte, erneut in den Startlöchern. Es stellt sich ebenso wie das »Bündnis Dortmund gegen Rechts« nicht nur gegen den Auftritt der Neonazis, sondern generell auch gegen imperialistische Kriegstreiberei und Besatzung. Es hob in einer Erklärung die Ursprünge des Internationalen Antikriegstages hervor: An diesem Datum gemahnt die Friedensbewegung Jahr für Jahr des deutschen Überfalls auf Polen und der Verbrechen des Hitler-Regimes. Dem deutschen imperialistischen Großmachtstreben fielen durch unmittelbare Kriegseinwirkung mehr als 50 Millionen Menschen zum Opfer. Werden die mit dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Verbrechen und dessen Folgen einbezogen, waren es bis zu 80 Millionen Tote – vor allem Bürger der Sowjetunion, Juden sowie zahlreiche Kommunisten, Gewerkschafter, Kriegsgegner, Behinderte und schwule Männer.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. Juli 2012


»Wenig Hoffnung auf Gewaltfreiheit«

Dortmunder Polizei könnte wieder gegen antifaschistische Proteste vorgehen. Stadt steht Verbot des Neonaziaufmarsches reserviert gegenüber. Ein Gespräch mit Ursula Richter **

Ursula Richter ist Sprecherin des »Bündnisses Dortmund gegen Rechts«.

Zum wiederholten Mal mobilisiert die Neonaziszene anläßlich des Antikriegstages am 1. September bundesweit zu einem Großaufmarsch nach Dortmund. Wie gehen Stadtverwaltung und Polizei mit der neuerlichen Provokation um?

Wie auch in den Jahren davor dringt von den Planungen nichts an die Öffentlichkeit. Allenfalls aus der Nichtgenehmigung von Gegenkundgebungen kann geschlossen werden, welcher Stadtteil den Neonazis vorbehalten werden soll.

Einem Verbot des Aufmarsches steht der neue Polizeipräsident reserviert gegenüber. Die Hürden, die die Gerichte zum Schutz des Demonstrationsrechtes errichtet hätten, seien so hoch, daß mit dem Scheitern des Verbots gerechnet werden müsse. Dennoch sammelt das »Bündnis Dortmund gegen Rechts« Unterschriften unter seinen Aufruf »Naziaufmarsch am Antikriegstag verbieten!« Mit guten Argumenten, belegen doch die Dortmunder Neonazis mit Überfällen, Mord und Totschlag unsere Losung: »Faschismus ist ein Verbrechen!« Es ist eine zutiefst menschenverachtende und brandgefährliche Ideologie in der Nachfolge des Nazismus, die da auf die Straße getragen wird und besonders Migrantinnen und Migranten bedroht. Der türkische Kioskbesitzer Mehmet Kubasik ist ihr zum Opfer gefallen. Der Dortmunder wurde von den neofaschistischen Terroristen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« ermordet.

Im vergangenen Jahr behauptete der damalige Polizeipräsident Hans Schulze (SPD), daß es sich bei friedlichen Massenblockaden um eine Straftat handele. Hat es ein Umdenken gegeben?

Der neue Präsident hat mit seiner Aussage, er werde »den Nazis auf den Füßen stehen«, zunächst manche Hoffnung geweckt. In der Blockadefrage mochte er sich nicht festlegen. Seine Aussage, Blockaden zum Zwecke der Verhinderung einer genehmigten Veranstaltung seien strafbar, lassen mich allerdings fragen: Ja, wozu denn sonst blockieren? Ohne Zweck und Ziel sieht es aus wie Demokratie spielen. Seine Aufteilung in »gute« und »böse« Protestler, wobei die »bösen« linksextrem und gewaltbereit sind und sowieso von auswärts kommen, macht wenig Hoffnung auf Gewaltfreiheit von Seiten der Polizei.

Die Neofaschisten versuchen, den Weltfriedenstag zu mißbrauchen, um sich als wahre Gegner imperialistischer Kriege zu inszenieren. Was sollte die politische Linke dem entgegensetzen?

Kriegsgegner und Antifaschisten dürfen das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben. Weder in der ganzjährigen ideologischen Arbeit, Aufklärung vor allem in der Jugend, noch am Antikriegstag selbst, zusammen mit der Jugend: »Nie wieder Faschismus – Nein zum Krieg!« In diesem Jahr veranstaltet der DGB wieder eine »Friedenswoche« vom 24. August bis 1. September an einem zentralen Ort in der City, der früher von den Neonazis für ihr »Warm up« vor dem Tag ihres Aufmarsches genutzt wurde. Solche Aktivitäten müßen von der politischen Linken gestärkt werden. Das »Bündnis Dortmund gegen Rechts« beteiligt sich hier mit einer politischen Kunstaktion.

In vielen Kommunen herrscht Ratlosigkeit beim Umgang mit neofaschistischen Organisationen. Was wäre in Dortmund zu tun, um die Neonazis in Schach zu halten?

Hier hatte die Neonaziszene, nur gestört von den gestandenen und von neuen Antifa-Gruppen und unbelästigt von Politik, Polizei und Justiz, wachsen können. Nach langem Kampf hat sich in der Stadtspitze eine Kurskorrektur angebahnt – sie muß sich erst noch bestätigen, der Druck darf nicht nachlassen. Noch lebt die politische und mediale Spaltung der Gegenwehr in »gute Antifaschisten« – Kirchen, Gewerkschaften, SPD, Grüne, CDU – und »böse« – alle irgendwie Linken. Das muß überwunden werden. Es scheint, als suche der hiesige DGB hier seinen Part. Ein Paradigmenwechsel bei der Polizei und beim Staatsschutz weg von der Diskriminierung hin zur Unterstützung der antifaschistischen Kräfte der Stadt muß durchgesetzt werden. Der neue Polizeipräsident hat so etwas zugesagt. Mit dem Verbot des Naziaufmarsches am Antikriegstag wäre er auf gutem Weg. Er steht vor der ersten Gabelung. Wir werden ihn aufmerksam beobachten.

Interview: Markus Bernhardt

Informationen: dortmundgegenrechts.wordpress.com

** Aus: junge Welt, Freitag, 27. Juli 2012

Aufruf

QUERSTELLEN Gegen Nazis am 1.9.2012 in Dortmund

Wieder haben die Dortmunder Nazis dazu aufgerufen, am 1. September, dem Antikriegstag, nach Dortmund zu kommen. Seit mehreren Jahren versuchen sie immer wieder aufs Neue den Menschen einzureden, sie würden gegen Krieg und für den Frieden einstehen. Aber wir kennen die Verbrechen der Nazis und die Traditionen in der auch die sogenannten „Autonomen“ Nationalisten heute noch stehen: Der Antikriegstag erinnert an den Überfall Deutschlands auf Polen und damit an den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die menschenverachtende Ideologie der Nazis war Triebfeder des Holocaust. Unter Hitler ermordeten die Nazis Millionen Juden, Sinti und Roma, GewerkschafterInnen, Behinderte ebenso wie Homosexuelle, KommunistInnen und Andersdenkende. Insgesamt 50 Millionen Menschen fanden durch die Tyrannei der Nazis den Tod. Dieselbe menschenverachtende Ideologie durchzieht auch heute noch die Nazi-Szene: die Dortmunder Faschisten begrüßten den von Mitgliedern der NSU begangenen Mord an Mehmet Kubaşık. Und was machen unsere Gerichte? Brutale Schläger aus den Reihen der Dortmunder Nazi-Szene, die am 1. Mai 2009 die DGB- Kundgebung angriffen, wurden kürzlich freigesprochen! Am 1. September wollen sie ein weiteres Mal triumphierend durch Dortmund marschieren und über die gezielte Provokation ihre Macht demonstrieren. Das lassen wir nicht zu!

Vor dem Hintergrund der Lehren aus dem Kolonialismus, Faschismus und Imperialismus stellen wir uns gegen jede Form der Kriegstreiberei. Wir stehen an der Seite der Menschen die für Frieden und Humanismus, Völkerverständigung und für ein Ende des internationalen Wettrüstens eintreten. Die BRD profitiert immer noch vom Geschäft mit Kriegsgeräten. Auf der internationalen Liste der führenden Rüstungsexporteure steht Deutschland nach den USA und Russland an Platz drei. Erst in diesem Jahr wurden drei weitere atomwaffenfähige U-Boote an den israelischen Staat verkauft, Panzer nach Saudi-Arabien verschifft und die brutalen Regime in Ägypten, Bahrain, Jemen, Libyen und Syrien mit Waffen beliefert. „Deutsche Waffen – deutsches Geld, morden mit in aller Welt“ dass trifft leider auch heute noch zu! Die fortschrittlichen Bewegungen in den arabischen Ländern wurden so mit deutschen Waffen unterdrückt und teilweise sogar niedergeschlagen. Nur durch den Mut vieler junger Frauen und Männer ist es gelungen, einige dieser Diktaturen zu stürzen. Viele AktivistInnen fanden jedoch durch deutsche Waffen ihren Tod.

Als UnterzeichnerInnen dieses Aufrufs stehen wir fest an der Seite der dort immer noch kämpfenden Protestbewegung, die sich für mehr Demokratie einsetzt. Indem wir uns den Nazis hierzulande in den Weg stellen und das Erinnern an den Antikriegstag damit nicht in die Hände der Rechten geben, solidarisieren wir uns mit den internationalen Bewegungen gegen die Krise und treten für mehr Demokratie und soziale Veränderungen ein. Die viel versprechenden Proteste von Blockupy Frankfurt haben gezeigt, welch enormes Potenzial im internationalen Protest gegen sozialen Kahlschlag und die Macht der Banken steckt. GewerkschafterInnen, linke Jugendverbände und Parteien, globalisierungskritische Organisationen und antikapitalistische Gruppen haben an diesem Tag über internationale Grenzen hinweg ein eindeutiges Zeichen gegen Ausbeutung und Entdemokratisierung die Verursacher der Krise gesetzt. Am Antikriegstag haben wir die Gelegenheit diesen Gedanken fortzuführen: der Anti-Kriegstag bleibt der Tag der internationalistischen, antirassistischen Bewegung. Niemals werden wir unsere Straßen wieder den Nazis überlassen!

Wir rufen dazu auf, am 1. September 2012 den Naziaufmarsch in Dortmund zu blockieren und die Straßen zu besetzen! Wir akzeptieren dabei keine Absperrungen, die unseren legitimen Protest einschränken. Die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Besetzung machen wir von den gegebenen Umständen und den kommenden Entwicklungen abhängig. Von unseren Aktionen wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wir solidarisieren uns mit allen, die dieses Ziel mit uns teilen und der Kriegspropaganda an diesem Tag eine klare Absage erteilen.

Quelle: http://www.dortmundquergestellt.de/




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