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Antifas wollen nicht am Pranger stehen

Initiative wendet sich gegen "Kriminalisierung" linken Engagements durch Sachsens Regierung

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Razzien gegen vermeintlich Linksextreme in Sachsen hat eine Initiative zum Anlass genommen, sich gegen die »Kriminalisierung« linken Engagements durch Sachsens Landespolitik zu wenden. Eine Erklärung hatte gestern bereits knapp 150 Unterzeichner.

Eine »Kampagne zum Zustand der sächsischen Demokratie« wirft der sächsischen Koalition aus CDU und FDP vor, antifaschistisches Engagement immer stärker zu diskreditieren. Jüngster Beleg seien Razzien bei angeblich Linksextremen. Sie erfolgten nach Angriffen auf Nazis und stützen sich auf den Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Kampagne sieht darin indes den »Ausdruck eines politischen Programms, das die schwarz-gelbe Regierung seit 2009 immer intensiver verfolgt«, wie es in einer im Internet veröffentlichten Erklärung heißt. Das Papier trug gestern Nachmittag schon 146 Unterschriften, darunter von SPD-Politikern, Gewerkschaftern sowie vielen Abgeordneten der LINKEN. Unterstützer sind aber auch Peter Strutynski vom Friedensratschlag, der sächsische Flüchtlingsrat und der Pirnaer Verein Akubiz.

Letzterer wurde Ende 2010 bekannt, als er die Annahme eines Demokratiepreises verweigerte, weil der Verein zuvor eine Extremismusklausel unterzeichnen sollte. Diese wurde in Sachsen abgefordert, noch bevor sie auch der Bund für Empfänger von Fördermitteln einführte. Sie verlangt von Vereinen, die Grundgesetztreue ihrer Projektpartner auszuforschen. Die Kampagne sieht in dem Vorgehen eine »Gängelung« von Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Die hat nach Ansicht der Autoren freilich Methode. Politiker wie Sachsens CDU-Innenminister Markus Ulbig sowie Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt hätten zuletzt zunehmend vor einem zuvor angeblich unterschätzten Linksextremismus gewarnt. Ulbig untermauerte das mit Zahlen wie dem Anstieg linksextremer Gewalttaten von 89 im Jahr 2009 auf 130. Deren Aussagekraft wird in der Erklärung angezweifelt. So gelte als Gewalttat auch Widerstand bei der Räumung der Straßenblockaden, die Naziaufmärsche in Dresden im Februar verhindern sollten.

Die Unterzeichner erklären, dass sie sich »trotz staatlicher Diffamierung, Gängelung und Kriminalisierungskampagnen« weiter gegen Nazis engagieren wollten. Veröffentlicht wurde ihre Erklärung nur Tage vor einem Symposium, zu dem Ulbig für Freitag eingeladen hat. Dabei sollen der zivile Ungehorsam gegen Nazi-Aufmärsche in Dresden, die Rolle der Polizei bei deren Schutz sowie die Ausschreitungen am 19. Februar mit Experten und Beteiligten erörtert werden.

sachsens-demokratie.net/



* Aus: Neues Deutschland, 17. Mai 2011

Im Wortlaut

Erklärung zur Kriminalisierung antifaschistischen Engagements

Am Abend des 19. Februar stürmte die Polizei das Info- und Pressebüro des Bündnisses „Dresden Nazifrei“. Im April und Mai folgten großangelegte Razzien in Sachsen und Brandenburg. 20 Wohnungen von Antifaschist_innen wurden durchsucht. Grundlage dafür ist ein Ermittlungsverfahren nach §129 des Strafgesetzbuches. 17 Personen werden darin beschuldigt, kriminelle Vereinigungen gebildet zu haben, die für Angriffe auf Nazis sowie Sachbeschädigungen verantwortlich sein sollen. Zu den Durchsuchungen mobilisierte die Polizei Großaufgebote und zum Teil schwer bewaffnete Spezialeinsatzkommandos. Das martialischen Auftreten soll linke und antifaschistische Strukturen einschüchtern und in der Öffentlichkeit deren vermeintliche Gefährlichkeit vor Augen führen. Großzügige (Vorab-)Informationen für Journalist_innen, Bildmaterial von verletzten Nazis und Interviews von LKA-Chef und Innenminister über die unterschätzte „Gefahr von links“ taten das Übrige für die erwünschten Schlagzeilen.

Diese Ermittlungen sind Ausdruck eines politischen Programms, dass die schwarz-gelbe Regierung Sachsens seit 2009 immer intensiver verfolgt. Auf der Grundlage einer Extremismus-Doktrin versuchen CDU und FDP antifaschistisches Engagement zu diskreditieren.

In einem Interview sprach Innenministers Markus Ulbig (CDU) vom Anstieg „linksextremer Gewalttaten“, von 89 im Jahr 2009 auf 130 im Folgejahr. Woraus der plötzliche Zuwachs resultiert, erörterte er nicht. Er beruht vor allem auf Großereignissen, wie den Protesten gegen die Naziaufmärsche am 13. und 14. Februar 2010 in Verbindung mit dem weit gefassten Gewaltbegriff der Statistik zur "Politisch motivierten Kriminalität". So fällt hierunter bereits "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ - also zum Beispiel das aktive Stemmen gegen den Boden bei Räumung einer Sitzblockade.

Nach den auf Bundes- und Landesebene forcierten Warnungen vor dem unterschätzten „Linksextremismus“ mussten nun endlich "Tatsachen" aus dem Hut gezaubert werden. Dieses Ermittlungsverfahren mit seiner medialen Begleitung soll Argumente für eine repressive Politik gegen linke Strukturen liefern. Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt (LKA) bemühen sich sehr darum, das öffentliche Bild der „linksextremen Schläger“ (SäZ) zu untermauern. Die Ermittlungen indes basieren auf einer fragwürdigen Grundlage. Der § 129 ist ein Gesinnungs- und Ermittlungsparagraf. Er wird nahezu ausschließlich im politischen Bereich angewendet, jedoch nur ausnahmsweise zur Anklage oder gar Verurteilung gebracht. Er gibt den Behörden weitreichende Instrumente an die Hand, etwa die Überwachung von Telekommunikation, Observationen oder den Einsatz verdeckter Ermittler. Dieses Repertoire kann großzügig auf nahezu beliebige Personenzusammenhänge angewendet werden. Es genügt ein geringer Anfangsverdacht. Im vorliegenden Fall ist dieser mit Telefonaten gegeben, in denen über Veranstaltungen von Nazis informiert wurde. Zusammenhänge zwischen den Beschuldigten und den vorgeworfenen Straftaten bleiben nebulös. Ganz real hingegen sind die empfindlichen Eingriffe in die Privatsphäre der Betroffenen und der materielle Schaden in Folge der Durchsuchungen, die neben vielen Privatwohnungen auch das „Haus der Begegnung“ betraf, in dem sich im Februar das Büro von „Dresden Nazifrei“ befand.

"Das ist sächsische Demokratie." (Wolfgang Thierse)

Politiker_innen oppositioneller, demokratischer Parteien von SPD über Bündnis ́90/Grünen bis hin zur Linkspartei wird immer wieder aufgrund ihres Engagements gegen Nazis zweifelhafte Verfassungstreue unterstellt. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelte wegen der Teilnahme an Blockaden des Nazigroßaufmarschs gegen den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei André Hahn und sprang auch für die Strafanzeige gegen Wolfgang Thierse (Bundestagsvizepräsident, SPD) aufgrund seiner Äußerungen zum Zustand der sächsischen Demokratie in die Bresche. Zivilgesellschaftliche Initiativen und Antidiskriminierungsvereine werden vom Freistaat immer stärker kontrolliert und an die Leine genommen. Sie sollen sich per Unterschrift zur FdGO bekennen und überprüfen, ob ihre Partner_innen „Extremisten“ sind. Hier wird auf Methoden autoritärer Regime zurückgegriffen. Schlussendlich wird repressiv gegen die außerparlamentarische Linke und Antifas vorgegangen.

Nicht mit uns!

Antifaschistisches Engagement ist und bleibt notwendig, solange diskriminierende und autoritäre Zustände existieren. Die Gleichsetzung von Links und Rechts, die mit der Extremismus-Doktrin behauptet wird, entbehrt jeder Grundlage. Rechte Gewalttaten auf Leib und Leben von Menschen, Naziveranstaltungen und diskriminierende Einstellungen sind das Problem, dem es zu begegnen gilt. Wir werden uns trotz staatlicher Diffamierung, Gängelung und Kriminalisierungskampagnen auch in Zukunft gegen Nazis und rechte Einstellungen in der Mehrheitsgesellschaft einsetzen. Wir werden auch in Zukunft unsere Demonstrations- und Meinungsfreiheit wahrnehmen, um ohne staatliche Reglementierung gegen Nazis zu protestieren. Ziviler Ungehorsam ist dafür notwendig und legitim. Wir solidarisieren uns mit Menschen, Vereinen und Initiativen die sich für eine offene, faire und gleichberechtigte Gesellschaft einsetzen.

16. Mai 2011 – Kampagne zum Zustand sächsischer Demokratie

[Es folgt die Liste der Unterzeuichner/innen]

Quelle: www.sachsens-demokratie.net/




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