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1. Mai bleibt nazifrei

Bundesweit verhindern friedliche Blockaden Aufmärsche von Rechtsextremisten

Von Sarah Liebigt und Markus Drescher *

»Keinen Schritt weiter« hatte eine junge Frau mit Kreide auf den Asphalt geschrieben, kurz bevor das erste Fahrzeug des Polizeikonvois den Abschnitt passierte. Dahinter, nach unzähligen Bussen, einem Räumfahrzeug und drei Wasserwerfern, folgte der kleine Nazitrupp. Mit mehr als zweistündiger Verspätung war in Berlin-Prenzlauer Berg die Versammlung von knapp 700 Neonazis am Samstagnachmittag gestartet. Drei Stunden später wurden sie von der Polizei wieder in eine S-Bahn verfrachtet und fuhren unter Begleitung einer Polizei-Hundertschaft in Richtung Oranienburg. Die Nazis konnten an diesem Tag mit 500 Metern nur einen Bruchteil der geplanten sechs Kilometer langen Strecke zurücklegen und nicht annähernd die 2000 bis 3000 angekündigten Demoteilnehmer auf die Straße bekommen.

286 Neonazis allerdings hatten gegen Mittag ihren Anreisezug verlassen und marschierten zum Kurfürstendamm in Berlin-Charlottenburg. Der Polizei sei es durch »konsequentes Durchgreifen« gelungen, die Nazis zu stoppen und in Gewahrsam zu nehmen. Nach Medienberichten befand sich darunter auch der Berliner NPD-Vorsitzende Jörg Hähnel.

Westlich und östlich des Startpunktes der rechten Demo, dem S-Bahnhof Bornholmer Straße, wollte das Bündnis 1. Mai Nazifrei die Straße mit friedlichen Blockaden sperren und die Nazis gar nicht erst loslaufen lassen. Dies gelang aber nur am westlichen Blockadepunkt. Zum östlichen, der auf der angemeldeten Naziroute liegen sollte, war durch die zahlreichen Absperrungen der Seitenstraßen mit Gittern und Polizeiketten kaum ein Durchkommen - und diejenigen, die es nach einem Katz- und Maus-Spiel dennoch schafften, sich am geplanten Platz auf die Straße zu setzen, wurden nach kurzer Zeit von der Polizei geräumt.

Die anreisenden Nazis wurden bis zum Start auf einem Parkplatz hinter Gittern eingekesselt und durchsucht. Die via Lautsprecher gebrüllte rechte Propaganda wurde schon hier von Musik übertönt: Ein nebenan geparkter Wagen spielte Bob Marley, aus einem angrenzenden Haus tönte Klezmer-Musik über den Platz und Anwohner auf Balkonen machten auf Töpfe schlagend Lärm. Derweil die Nazis auf ihren Abmarsch warteten, stieg die Zahl der Blockadeteilnehmer an der Kreuzung Bornholmer Straße / Schönhauser Allee in die Tausende. An mehreren Punkten außerhalb der Polizeiabsperrungen - aber auf der geplanten oder den möglichen Ausweichrouten der Nazis - hielten bis zu 10 000 Menschen die Blockaden aufrecht, berichtet das Bündnis 1. Mai Nazifrei. Auch wurde der kurze Marsch immer wieder durch einzelne spontane Sitzblockaden kleiner Gruppen, die durch die Polizeilinien gesickert waren, auf der Bornholmer Straße unterbrochen. Zuletzt setzte sich eine Gruppe um Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) den Nazis in den Weg, darunter auch der Pankower Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD). Trotz Aufforderung der Polizei standen sie nicht freiwillig auf und wurden von Beamten aus dem Kreis der Journalisten, der sich um die Promis gebildet hatte, von der Straße geführt. »Unser Blockadekonzept ist voll aufgegangen. Wir haben heute gezeigt, dass es möglich ist, die Nazis mit entschlossenem zivilgesellschaftlichem Handeln zu stoppen«, sagte Jan Landers vom Nazifrei-Bündnis .

Ein paar Nazi-Füße standen schließlich auf den Kreidebuchstaben, die die junge Frau auf die Fahrbahn gemalt hatte, dann hieß es: »Rechts um!« Begleitet von Applaus, Jubel und Schellengerassel trat der Haufen den Rückweg an.


In Erfurt verhinderten Demonstranten einen Aufmarsch von Rechtsradikalen. Wegen mehrerer Sitzblockaden, an denen sich insgesamt mehr als 2000 Bürger beteiligten, wurde der Aufzug von etwa 450 Neonazis nach Polizeiangaben nach wenigen hundert Metern »weitestgehend friedlich beendet«. Zu gewaltfreien Protestaktionen hatten neben zahlreichen Organisationen auch alle Thüringer Landtagsfraktionen aufgerufen.

Etwa 600 Demonstranten blockierten einen NPD-Aufmarsch in Rostock. Die Route der rund 500 NPD-Anhänger wurde daraufhin aus Sicherheitsgründen geändert, so ein Polizeisprecher.

In Zwickau demonstrierten rund 2000 Menschen gegen einen Aufmarsch von rund 400 Neonazis. Trotz »mehrerer friedlicher Versuche« sei es nicht gelungen, sich den Nazis in den Weg zu stellen, um den braunen Marsch zu verhindern, erklärte das Protestbündnis. Laut Polizei mitteilte, habe es »einen weitestgehend ruhigen Verlauf des Aufzuges des NPD-Landesverbandes« gegeben.

Mehr als 13 000 Menschen protestierten am 1. Mai in Würzburg und Schweinfurt gegen rechtsextremes Gedankengut. In Schweinfurt waren 800 Rechtsextreme zusammengekommen, in Würzburg keine. Tausende Beamte sorgten für Sicherheit. Das Aktionsbündnis »Schweinfurt ist bunt - nicht braun« hatte zu einem Umzug durch die Innenstadt aufgerufen. Etwa 8000 Demonstranten zählte die Polizei. dpa/epd/AFP




* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2010


Klare Kante für Neonazis

Mehr als 25000 Menschen haben am Samstag (1. Mai) in der Bundesrepublik gegen Aufmärsche von Neonazis demonstriert. Mittels Massenblockaden wurden dabei entweder die Demorouten der Rechten erheblich verkürzt oder der Ablauf ihrer Veranstaltungen verzögert. Die Neofaschisten mobilisierten insgesamt rund 3000 Anhänger zu sieben Aufmärschen.

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg beteiligten sich rund 10000 Menschen an den Protesten. Die Neonazis brachten lediglich etwa 550 Anhänger auf die Straße, nachdem die Veranstalter von 3000 ausgegangen waren. Bereits am frühen Morgen hatte die Polizei die Demoroute weiträumig abgesperrt. Über Dächer und durch Hinterhöfe gelang es aber rund 200 Menschen, den Sammelpunkt der Neonazis am S-Bahnof Bornholmer Straße zu blockieren. Gegen 10 Uhr ging die Polizei gewaltsam gegen die Neonazigegner vor.

Währenddessen besetzten Tausende die umliegenden Straßen. So konnten die Neonazis erst gegen 15 Uhr ihren Zug starten. Unter denen, die sich den Rechten in den Weg setzten, waren auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Pankows Bürgermeister Matthias Köhne und Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening (alle SPD). Namentlich Thierse erntete dafür scharfe Kritik vom Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg. Sein Verhalten sei »würdelos«, erklärte Freiberg am Samstag abend. Es sei »unerträglich, wenn Vertreter von Verfassungsorganen aus billigem Populismus gegen Recht und Gesetz verstoßen«. Auch nach Platzverweis und trotz des Hinweises des Polizeiführers, »daß sie sich der Nötigung strafbar machten und gegen das Versammlungsgesetz verstießen«, hätten die Politiker die Straße nicht geräumt und hätten abtransportiert werden müssen, beklagte die GdP.

Wegen der Blockaden ließ der zuständige Einsatzleiter die Neonazis schließlich »aus Sicherheitsgründen« zum Sammelpunkt zurücklaufen, wie er gegenüber Journalisten erklärte. Statt der geplanten sechs Kilometer hatten sie nur etwa 800 Meter laufen können. Währenddessen zogen jedoch rund 300 Neonazis unangemeldet über den Kurfürstendamm. Nachdem sie Polizisten angegriffen hatten, wurden alle festgenommen.

Auch in Erfurt ging für rund 400 NPD-Anhänger bereits nach 500 Metern nichts mehr: Etwa 1500 Menschen blockierten ihren Aufmarsch. Die Polizei sah sich nicht in der Lage, den Rechten ihren Weg freizuräumen. In Rostock protestierten rund 2000 Menschen gegen eine NPD-Demonstration mit 800 Teilnehmern.

In Schweinfurt beteiligten sich rund 8000 Menschen an Aktionen des Bündnisses »Schweinfurt ist bunt - nicht braun«. Die Polizei ermöglichte jedoch 800 Neonazis einen ungestörten Aufmarsch, wenn auch mit verkürzter Strecke. In Würzburg protestierten 5000 Menschen gegen rechts, ein Neonaziaufmarsch in der Stadt war zuvor abgesagt worden. An rechten Aufmärschen in Zwickau und Hoyerswerda beteiligten sich jeweils 400 Personen, 2000 Menschen stellten sich ihnen entgegen.

* Aus: junge Welt, 3. Mai 2010


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