Piraterie bekämpfen - aber mit den richtigen Mitteln!
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel/Hamburg, 18. Dezember 2008 - Zur Entscheidung des Bundestages,
Kriegsschiffe zur Piratenbekämpfung an das Horn von Afrika zu entsenden,
erklären Dr. Peter Strutynski und Lühr Henken in einer ersten
Stellungnahme:
1. Die Staatenwelt trägt die Verantwortung für den Zustand in und um Somalia
Nachdem die USA als Teil einer UN-Mission nach brutalen Übergriffen auf
die Zivilbevölkerung 1994 mit etwa 6000 Toten aus Somalia vertrieben
wurden, hat die Staatenwelt das Land weitgehend sich selbst überlassen.
Sie schritt nicht gegen europäische und asiatische Fischtrawler ein, die
die somalische Wirtschaftszone - völkerrechtswidrig - überfischten. Der
Kampf der somalischen Fischer gegen die Fremdfischerei als Kampf um das
nackte Überleben ist mitursächlich für die Seeräuberei.
Bundesregierung, EU und NATO unterstützten das Vorgehen der USA, mit
äthiopischem Militär die als Islamisten diskreditierte Herrschaft zu
vertreiben und eine von Außen installierte Regierung zu stützen. Mit dem
Verdrängen der "Islamisten" von der Macht verschwanden auch diejenigen,
die die Piraterie zwischenzeitlich wirkungsvoll bekämpft hatten.
2. Somalia ist von wirtschaftlicher und geostrategischer Bedeutung
Somalias Boden und sein östlicher Küstenstreifen stecken voller Öl; die
Konzessionen halten Öl-Multis aus den USA, Europa und Japan, können sie
jedoch wegen der Anarchie im Land nicht nutzen. Somalia liegt an einem
"Choking Point" der Weltmeere. Jährlich passieren die Straße am Bab el
Mandeb, dem Eingang zum Indischen Ozean, 20.000 Schiffe. Für
Geostrategen gilt auch heute noch der mehr als ein Jahrhundert alte
Lehrsatz des "Clausewitz zur See", des US-Admirals Alfred T. Mahan: "Wer
den Indischen Ozean unter seiner Kontrolle hat, beherrscht Asien. Dieser
Ozean bildet den Schlüssel zu den sieben Meeren. Im 21. Jahrhundert wird
sich die Zukunft der Welt auf seinen Wassern entscheiden." Daraus
erklärt sich der Wettlauf der EU, der USA, Chinas und Indiens um Präsenz
am Horn von Afrika. Für die EU soll dieser erste Marineeinsatz einen
Meilenstein auf dem Weg zu ihrer Militarisierung darstellen.
3. Die deutsche Marine verfolgt große Pläne
Die deutsche Marine bietet sich seit langem an, Aufgaben zu übernehmen,
um ihr kostspieliges Dasein zu legitimieren. Weit reichende Pläne
stecken dahinter, die deutsche Marine von einer "Escort Navy" zu einer
"Expeditionary Navy" auszubauen. Sie wird gerüstet, um von See aus
Landkrieg aktiv durch Beschuss zu unterstützen. Als "Eingreifkräfte der
ersten Stunde" sind sie schon vor Ort, obwohl der Bundestag noch gar
nicht entschieden hat.
4. Unzulässige Vermischung von Polizei- und Militäraufgaben
Dabei ist Piraterie Kriminalität und ihre Bekämpfung Aufgabe der
"Bundespolizei See". Das
beantragte Bundestagsmandat hebelt die strikte
Trennung von Polizei- und Militärzuständigkeiten aus. Befürworter eines
Bundeswehreinsatzes im Innern könnten mit Verweis auf diesen
Präzedenzfall der Vermischung von Polizei- und Militäraufgaben die
Änderung des rechtlichen Rahmens erleichtern.
5. Die Piraterie muss bekämpft werden, um den Seeverkehr sicher zu machen.
Jedoch wird hier durch die Bekämpfung lediglich der Symptome keine
nachhaltige Wirkung erzielt werden. Solange es keinen internationalen
sozialen und wirtschaftlichen Ansatz für den Frieden und den Aufbau
Somalias gibt, sichert die Pirateriebekämpfung den Kriegsschiffen eine
dauerhafte Präsenz vor Ort. Dies birgt angesichts der -
völkerrechtswidrigen - Erlaubnis zur Versenkung von Piratenbooten große
Risiken von "Kollateralschäden". Der Einsatz indischer
Schiff-Schiff-Raketen gegen ein vermeintliches Piratenschiff forderte
bedauerlicherweise wesentlich mehr Menschenopfer als die Piraterie dort
selbst.
Es ist zu befürchten, dass die weitgehenden Rechte, die der
UN-Sicherheitsrat interessierten Staaten zur Bekämpfung der Piraterie
zugebilligt hat - genannt seien hier die uneingeschränkte Nutzung der
12-Meilen-Zone sowie des Luftraums und des Bodens Somalias - zu
weitergehenden militärischen Abenteuern einladen. Dies geht auch daraus
hervor, dass nach dem Antrag der Bundesregierung Bundeswehreinheiten,
die im Rahmen der "Operation Enduring Freedom in Dschibuti eingesetzt
sind", also zum völkerrechtswidrigen und von keinem UN-Mandat
legitimierten "Krieg gegen den Terror" gehören, zur Unterstützung der
"Operation Atalanta" herangezogen werden können.
6. Forderungen
Um eine nachhaltige Bekämpfung der Piraterie zu erreichen müssen unseres
Erachtens vielmehr folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- Für Somalia ist dringend ein umfassender Friedensplan notwendig, der
alle Beteiligten der Konflikte an den Verhandlungstisch bringt. Das
setzt einen Abzug der äthiopischen Truppen aus Somalia voraus.
- Die Küstenwache Somalias muss mit internationaler Hilfe zügig
aufgebaut und die Jemens auch für die Hochseeverwendung ausgebaut
werden. Im Golf von Aden vor Jemens Küste fanden rund 70 Prozent der
über 100 Piratenüberfälle in diesem Jahr statt.
- Die offensichtliche internationale Vernetzung der Piraten mit Stellen
in Europa und dem Persischen Golf, die der Abwicklung des Geldverkehrs
und der Übermittlung von Schiffsinformationen dienen, muss im Rahmen der
Verfolgung Organisierter Kriminalität international polizeilich bekämpft
werden.
- Der illegale Fischfang vor Somalias Küste und auch die Verklappung von
Giftmüll dort muss strafrechtlich verfolgt werden. Nur so kann den
einheimischen Fischern wieder eine Perspektive gegeben werden.
Aus all den Gründen lehnt der Bundesausschuss Friedensratschlagt den
Pirateneinsatz der Bundeswehr entschieden ab. Diese Stellungnahme wird
allen Bundestagsabgeordneten vor der Abstimmung am Freitag zugestellt.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg,
Peter Strutynski, Kassel
Zurück zur "Piraten"-Seite
Zur Somalia-Seite
Zur Bundeswehr-Seite
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zur Presse-Seite
Zurück zur Homepage