Gegen die Militarisierung der deutschen Politik
Von Christine Buchholz *
Die Partei DIE LINKE hat mit der Debatte um ihr Grundsatzprogramm
begonnen, das sie im Herbst 2011 beschließen will. Das "Neue
Deutschland" (ND) begleitet die Debatte mit einer Artikelserie.
Heute: Christine Buchholz fordert ein strikt antimilitaristisches
Programm der LINKEN. Die 1971 in Hamburg geborene Pädagogin und
Sozialwissenschaftlerin war bis 1999 Mitglied der SPD, trat 2004 in die
WASG ein und ist heute Mitglied des Parteivosrtandes und der
Bundestagsfraktion der LINKEN. Außerparlamentarisch engagiert sie sich
u. a. bei attac, im Europäischen Sozialforum und in antifaschistischen
Netzwerken.
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat seit 1990/1991 einen
deutlichen Paradigmenwechsel durchgemacht. Will DIE LINKE. ihre Aufgabe
als Anti-Kriegs-Partei erfüllen, muss sie sich mit dieser Entwicklung
auseinandersetzen auch im friedenspolitischen Teil des
Parteiprogramms. Denn nur dann werden wir angemessen auf die Vorstöße
der Bundesregierung wie den sechsmonatigen Wehrdienst, die
Rüstungsprojekte oder die immer häufigeren Einsätze im Rahmen von EU-
oder UN-Missionen in aller Welt reagieren können.
Die westdeutsche herrschende Klasse hat seit ihrer Niederlage im Zweiten
Weltkrieg immer versucht, ihren politischen Spielraum auszudehnen, um
ihre ökonomischen Interessen effektiver vertreten zu können. Unter den
damaligen Bedingungen bedeutete das vor allem Westintegration,
Wiederbewaffnung und NATO-Beitritt. Dabei haben alle Bundesregierungen
versucht, eine eigenständige Rolle durchaus auch im Konflikt mit den
Verbündeten zu spielen, sei es bei der Unterstützung der
Nuklearprogramme in Südafrika und Brasilien, bei der
Rüstungsexportpolitik oder bei der Währungspolitik.
Mit dem Ende der Blockkonfrontation und damit einhergehend der deutschen
Vereinigung haben sich die globalen und regionalen Rahmenbedingungen
geändert. Der Golfkrieg von 1991 bildete eine Zäsur. Er hat aufgezeigt,
wie begrenzt der Einfluss des deutschen Kapitals international ist,
solange Deutschland sich der direkten Kriegsbeteiligung verweigert. Die
Bundesregierung zahlte, blieb aber ohne Einfluss auf die Nachkriegsordnung.
Seitdem sind die deutschen Regierungen bestrebt, systematisch die
Fähigkeit zu erweitern, ihr wirtschaftliches Gewicht international auch
durch den Einsatz von Waffengewalt zu flankieren. 1992 stand zum ersten
Mal im Weißbuch der Bundeswehr, was Horst Köhler kürzlich auf den Punkt
gebracht und wofür er viel Kritik geerntet hat: die Bundeswehr soll auch
zur Sicherung und Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen eingesetzt
werden.
In dem Maße, wie die Zahl der Verlierer des globalen Kapitalismus, des
Klimawandels und der Wirtschaftskrise einerseits und die
Verteilungskonflikte zwischen den Industriestaaten um die verbleibenden
Ressourcen andererseits zunehmen, wird auch die Bedeutung von Krieg und
Militär wachsen. Um Handelswege abzusichern und rohstoffreiche Gebiete
und strategisch bedeutende Regionen zu kontrollieren, werden die
Herrschenden noch mehr als bisher auf die Bundeswehr zurückgreifen
wollen. Neben Afghanistan können wir das bereits heute auch vor Somalia
und im Sudan beobachten. Im Sudan heizen die Industriemächte, allen
voran die USA und China, einen Bürgerkrieg um die Kontrolle des
ölreichen Südsudan an, indem sie verschiedene Seiten unterstützen. In
Somalia kämpfen die Industriestaaten, zumindest zum Teil, um die
Absicherung der Route durch den Suezkanal. Und überall ist die
Bundeswehr mit dabei.
Salamitaktik
Wesentliches Hindernis für eine Militarisierung der Außenpolitik war die
tief verwurzelte Ablehnung jeglicher militärischer Gewalt in der
deutschen Bevölkerung nach den Verwüstungen und Toten des Zweiten
Weltkrieges. Deswegen entwickelte die Bundesregierung Anfang der 90er
Jahre eine »Salamitaktik« (Verteidigungsminister Volker Rühe), um
Deutschland wieder kriegsfähig zu machen: Schrittweise Umstrukturierung
der Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz« und sukzessive Gewöhnung der
Bevölkerung »an Krieg, Tod und Verwundung«, wie Generalinspekteur der
Bundeswehr Wellershof es 1991 formulierte.
Auslandseinsätze begannen scheinbar harmlos mit einzelnen Sanitätern der
Bundeswehr in Kambodscha und einem kleinen Kontingent in Somalia 1992
und 1993. Aber Schritt für Schritt wurden die Einsätze größer und
gewalttätiger, bis zur ersten bundesdeutschen Beteiligung an einem
Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999. Es ist symptomatisch, dass es
einer SPD/Grünen-Regierung bedurfte, das auch innenpolitisch
durchzusetzen. Die moralische Legitimation und der Verweis auf
Menschenrechte, Demokratie und der geschichtsrevisionistische Vergleich
mit Auschwitz haben Krieg wieder gesellschaftsfähig gemacht.
So bleibt bis heute der »Menschenrechtsimperialismus« wesentlich zur
Legitimierung von Kriegen. Die öffentliche Erwähnung der simplen
Tatsache, dass Kriege aus geopolitischen und letztlich ökonomischen
Interessen heraus geführt werden, kostete Bundespräsident Köhler das
Amt. Jedenfalls entdecken die Medien und die Politik überall dort, wo
die »nationalen Interessen« einen Militäreinsatz erfordern, eine
humanitäre Krise, Menschenrechtsverletzungen, Diktaturen, Bedrohungen
für die Nachbarn oder gar einen »neuen Hitler«, um einen Militäreinsatz
als legitim darstellen zu können. Vergleichbare Missstände, die die
Interessen der westlichen herrschenden Klassen nicht tangieren, gelangen
derweil kaum ins öffentliche Bewusstsein. Fakt ist, westliche
Militärinterventionen finden statt, wenn sich die so genannten
nationalen Interessen der beteiligten Staaten durch diesen Einsatz
fördern lassen.
Nicht in unserem Namen
Die Menschen, in deren Interesse die Einsätze angeblich durchgeführt
werden, zahlen einen hohen Preis. Der Kosovo ist Protektorat der EU,
serbische Bevölkerung wurde größtenteils aus dem Kosovo vertrieben,
verbleibende serbische Bevölkerung befindet sich in einem Dauerkonflikt
mit albanischen Nationalisten. Der Irak ist ein besetztes Land.
Abgereichertes Uran von westlichen Waffen hat Landstriche verseucht, das
Öffentliche ist privatisiert. Hunderttausende im Irak sind gestorben, um
eine neoliberale, pro-westliche Besatzung durchzusetzen. In Afghanistan
hält die NATO in einem anhaltenden und blutigen Krieg eine korrupte und
unbeliebte Regierung an der Macht, die sich in den Provinzen auf die
alten Kriegsherren und Drogenbarone stützt.
Aber auch die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung profitiert nicht
von den Kriegen. Wenn von »unseren« oder »nationalen Interessen« die
Rede ist, sind damit immer jene der Konzerne und ihrer Eigentümer
gemeint. Sie brauchen den Zugang zu Rohstoffen und Märkten, sie ernten
die Profite, es ist in ihrem Sinne, wenn weltweit Ausbeutungs- und
Unterdrückungsverhältnisse aufrecht erhalten werden. Die große Mehrheit
auch in Deutschland bekommt lediglich die Rechnung präsentiert.
Während die Bundesregierung bei arbeitslosen Eltern sparen will,
veranschlagt der Bundeshaushalt für den Afghanistaneinsatz dieses Jahr
1,2 Milliarden Euro. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wird dieser Krieg bis
2014, sollte die Bundeswehr bis dahin abgezogen sein, insgesamt 34
Milliarden Euro gekostet haben (inklusive vom DIW berechneten
Nebenkosten). Das alles bezahlen wir mit unseren Steuergeldern.
Militarisierung der Gesellschaft
Neben den unmittelbaren Kosten der Einsätze und der Rüstung wird die
Gesellschaft auch noch durch die zunehmende Militarisierung des
öffentlichen Lebens belastet. Wir erleben in den letzten Jahren eine
wahre Schwemme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der
Bundeswehr in Deutschland. Dabei sind öffentliche Gelöbnisse nur die
Spitze des Eisberges. Jugendoffiziere haben im vergangenen Jahr 115 000
Schülerinnen und Schüler erreicht. Wehrdienstberater konnten in den
Schulen gar vor 281 000 Jugendlichen auftreten. Die Zahl der
Lehramtsanwärter, die Ausbildungsangebote der Bundeswehr nutzen, ist
seit dem Jahr 2003 von 50 auf nunmehr 1073 hochgeschnellt. Weitere 3266
Lehrkräfte haben im vergangenen Jahr Fortbildungen beim Militär besucht.
Auf Initiative der Bundeswehr haben in den letzten zwei Jahren fünf
Landesregierungen Kooperationsvereinbarungen im Bildungsbereich mit ihr
abgeschlossen in Nordrhein-Westfalen, Saarland, Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz sowie jüngst in Mecklenburg-Vorpommern. In Hessen steht
die Unterzeichnung kurz bevor. Ziel der Abkommen ist es, die Nachfrage
nach Jugendoffizieren an den Schulen zu erhöhen. Darüber hinaus arbeitet
die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr daran, die
Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung zu verbessern durch
Präsenz und logistische Unterstützung auf Volksfesten und Messen,
Zusammenarbeit und Partnerschaften mit Kommunen, Kooperation mit
Vereinen. Im hessischen Stadtallendorf hat die Division Spezielle
Operationen (DSO) beispielsweise eine Sporthalle und ein Schwimmbad
gebaut, die örtliche Vereine gegen ein geringes Entgelt nutzen können.
All das dient der Legitimierung der heutigen Bundeswehr. Die Einsätze
selbst sind unbeliebt, wie die Umfragen zur deutschen Beteiligung in
Afghanistan belegen. Laut ARD Deutschlandtrend schwankt die Ablehnung in
den letzten drei Jahren zwischen 54 Prozent und 72 Prozent mit einer
Tendenz zu mehr Ablehnung. Die Bundeswehr hingegen ist, auch als
Ergebnis dieser Kampagnen, heute angesehener als noch vor 20 Jahren.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach vom Mai
2010 haben 51 Prozent der Deutschen »sehr viel« oder »ziemlich viel«
Zutrauen in die Bundeswehr, der Bundestag kommt nur auf 34 Prozent, die
Kirchen auf 39 Prozent. Die Zustimmung ist bei jungen Menschen (15 bis
35 Jahre) überdurchschnittlich hoch, was sicherlich ein Ergebnis der
Anstrengungen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr ist und dazu
beiträgt, frische Rekruten für die Bundeswehr zu gewinnen.
Außerdem sehen wir, wie die Bundeswehr sich die immer trüberen
Aussichten der jungen Menschen auf einen Arbeitsplatz zunutze macht, um
die »Armee im Einsatz« als vielversprechenden Arbeitgeber zu
profilieren. Ein überproportionaler Anteil der neuen Rekruten und
Freiwilligen kommt aus strukturschwachen Regionen, insbesondere aus
Ostdeutschland. Viele der Soldaten in den Auslandseinsätzen geben offen
zu, dass sie des Geldes wegen ihr Leben riskieren und an den neuen
Feldzügen der deutschen Armee teilnehmen. So sieht angebliche
Freiwilligkeit im Kapitalismus aus.
Friedenspolitische Forderungen
Das neue Programm der LINKEN muss diese Entwicklungen der
Militarisierung der deutschen Politik in ihre Überlegungen einbeziehen
und die programmatischen Forderungen entsprechend konkretisieren und
zuspitzen.
Militäreinsätze lösen keine Probleme. Im Gegenteil, meist verschärfen
sie die Probleme und schaffen neue Konflikte, um so mehr, als sie immer
Teil der deutschen Interessenpolitik sind. Deswegen muss das Programm
konsequent jeden Militäreinsatz ablehnen.
Für die neue Interventionspolitik der deutschen Herrschenden ist die
Frage Wehrpflicht ja oder nein völlig irrelevant. Die »Armee im Einsatz«
setzt bisher ausschließlich auf Zeit- und Berufssoldaten, ebenso wie die
britische und die US-Armee. Die Forderung nach der Abschaffung der
Wehpflicht ist trotzdem richtig, weil es sich um einen Zwangsdienst
handelt. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist aber kein Mittel gegen die
Militarisierung der Außenpolitik und der Gesellschaft. Unser Ziel muss
die Auflösung der Bundeswehr sein, dies sollte als Ziel auch
programmatisch festgehalten werden. Schritte dahin sind die Reduzierung
der Bundeswehr und der Umbau in Richtung strukturelle
Nichtangriffsfähigkeit.
Eine eigenständige deutsche Rüstungsproduktion ist für die von
potenziellen Rivalen unabhängige Interventionsfähigkeit der Bundeswehr
essenziell. Deswegen, und auch um Friedenspolitik nicht gegen
Arbeitnehmerpolitik ausspielen zu lassen, ist es dringend notwendig, die
Debatten, die in der IG Metall in den 1970er und 80er Jahren über
Rüstungskonversion geführt wurden, wieder aufzunehmen.
Ein erster Schritt wäre ein komplettes Verbot von Rüstungsexporten. An
dieser Stelle positioniert sich der Programmentwurf halbherzig, indem er
nur das Verbot von Rüstungsexporten in Krisengebiete fordert.
Rüstungsgüter werden aber laufend in Krisengebiete weiterexportiert,
auch wenn sie Deutschland in Richtung eines ruhigen Staates verlassen
haben. Und Rüstungsexporte sind sowohl ein Instrument der Einflussnahme
auf »befreundete« Staaten als auch ein Weg, zumindest einen Teil der
Kosten für eine eigene deutsche Rüstungsproduktion auf andere
abzuwälzen. Insofern muss die Forderung heißen: Verbot der
Rüstungsproduktion.
* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2010
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