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Abschied mit "Wums" - Angelika Beer verlässt die GRÜNEN

"Wenn der Frieden programmatisch kaum noch eine Rolle spielt..." - Die Austrittserklärung im Wortlaut und ein Kommentar

Selbst für Insider kam die Meldung überraschend: Angelika Beer, Frontfrau der GRÜNEN seit mehr als 30 Jahren, kehrt der Partei den Rücken.

Die frühere Bundesvorsitzende der Grünen (2002-2004) hat auf dem Grünen-Landesparteitag Schleswig-Holstein in Bad Oldesloe am 28. März 2008 ihren Parteiaustritt bekanntgegeben. Als Gründe führte sie an, es ihrer Einschätzung nach den Grünen "nur noch um das Erringen von Macht" gehe und dass in der Partei "der Frieden programmatisch kaum noch eine Rolle" spiele. Für beides fehle ihr heute jegliches Verständnis.

Beide Vorwürfe treffen in der Tat den Nagel auf den Kopf. Daneben wäre sicher auch noch mehr ins Feld zu führen - z.B. die starke programmatische Annäherung an den neoliberalen Zeitgeist à la FDP -, um auf Distanz zur einstigen Ökopax-Partei zu gehen. Nur: Angelika Beer hat selbst doch maßgeblich dazu beigetragen, dass die Grünen ihr friedenspolitisches Engagement - das ihr in den 80er Jahren den nötigen Aufwind gegeben hatte, um als Newcomer in die Parlamente einzuziehen und das alte Drei-Parteien-System in ein Vier-Parteien-System zu verwandeln. Angelika Beer, die in ihrer Anfangszeit Basisaktivistin der Friedensbewegung war, rechtfertigte in ihren späteren Jahren (wenn man das bei ihren 51 Jahren schon so sagen darf) alle Kriegseinsätze der Bundeswehr. Und sie tat dies teilweise mit mehr Überzeugungskraft als andere Grünen-Funktionäre, weil sie immer darauf verweisen konnte, doch im Grunde ihres Herzens dem Friedensgedanken verbunden geblieben zun sein. Ein wenig erinnert sie hier an den grünen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei, der zwar auch jede friedens- oder besser: kriegspolitische Sauerei der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung mitgemacht hat, immer aber noch behauptete, dies aus einem friedenspolitischen Impetus heraus zu tun.

Dem Abschied aus der Friedensbewegung folgt also nun der Abschied von den GRÜNEN. Aus der Austrittserklärung von Angelika Beer (siehe Kasten) spricht keine persönliche Verbitterung. Mit keinem Wort geht sie darauf ein, dass sie bei der Kandidatenaufstellung für die Europawahl im Januar nicht mehr zum Zug kam. Dies mag aber genauso in ihr gearbeitet haben wie die Unterbewertung ihrer vielseitigen und umtriebigen EU-Parlamentsarbeit durch die Partei der Grünen. Ihr regelmäßiger Newsletter war eine sehr wertvolle Informationsquelle - nicht nur für ihre Arbeit in Straßburg und Brüssel, sondern auch, um sich im Dschungel der vielen Verordnungen und Papiere der EU-Bürokratie zurecht zu finden. Auch wir haben davon profitiert, indem wir mit Beers Hilfe wichtige Dokumente in der höchst unübersichtlichen EU-Website aufspüren konnten.

Die politische Zukunft von Angelika Beer liegt im Dunkeln. Zwar mag sie sich immer noch als "Grüne ohne Parteibuch" fühlen. Für einen durch und durch politisch aktiven Menschen wird das auf Dauer aber keine ausreichende Basis für ein wirksames politisches Engagement sein. Da sie ihren parteipolitischen Schnitt hauptsächlich friedenspolitisch begründet hat, ist zu hoffen, dass sie diesen Weg, der ihr von früher ja vertraut ist, jetzt weiter geht.

In dem Brief erwähnt Angelika Beer den Wahlslogan der Grünen: "Mit WUMS für ein besseres Europa". Was ist WUMS? Die Badische Zeitung kam ins Grübeln und stellte ein paar Überlegungen an: "Geht es um die Wum, einen Volksstamm, der in Kamerun zu Hause ist? Oder um Wum, den niedlichen kleinen Hund, der einst neben dem Elefanten Wendelin – die Älteren werden sich erinnern – in Wim Thoelkes Fernsehsendung 'Der große Preis' auftauchte?" Nichts von alledem. WUMS heißt "Wirtschaft und Umwelt, menschlich, sozial". Ein bemerkenswerter Einfall einer besonders kreativen Werbeagentur (Wahlslogans entstehen auch bei den Grünen längst nicht mehr in Perteigremien oder gar "an der Basis", sondern werden professionell entwickelt), der die Grünen bei der Europawahl zu einem guten Ergebnis verhelfen soll. Ob's gelingt, scheint fraglich. Beer wäre mehr. Aber sie steht nicht mehr zur Verfügung.

Peter Strutynski


Angelika Beer MdEP EFA/GRÜNE

Persönliche Erklärung auf dem Landesparteitag Bündnis 90/ Die Grünen Schleswig-Holstein am 28. März 2009

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich weiß, dass im Rahmen der Rechenschaftsberichte eine Verabschiedung von Grietje, Rainder und mir vorgesehen ist. Aber, Verabschiedung und Abschied ist nicht das gleiche. Deshalb habe ich jetzt und an dieser Stelle beantragt, diese persönliche Erklärung abzugeben.

Liebe Freundinnen und Freunde, Lieber Robert, Liebe Marlies,

Heute blicke ich nicht nur auf die 5 Jahre im Europäischen Parlament zurück, sondern auf die letzten 30 Jahre meines Wirkens. 30 Jahre Grüne Partei!. Das ist mehr als die Hälfte meines Lebens. Vor über 30 Jahren stand ich hier, zur Gründung der Grünen Liste für Demokratie und Umweltschutz in Schleswig-Holstein. Seit dem haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt. Wir haben politische Erfolge errungen und politische Krisen überwunden.

Ich habe mich den Herausforderungen gestellt, egal ob es um die so schwierige Entscheidung in der Frage der militärischen Gewaltanwendung ging, oder die Bereitschaft, für die Partei den Vorsitz zu übernehmen, weil sich über Nacht alle Verantwortlichen zurückgezogen hatten in die Führungslosigkeit.

Ich nehme für mich in Anspruch, in den letzten drei Jahrzehnten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben, um unsere Träume und unsere Ziele umzusetzen. Dazu gehören immer auch Ideale - mein innerer Motor ist bis heute bestimmt durch die sehr frühe Begegnung und das spätere gute Kennen lernen von Erich Fried.

Als Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitikerin war ich meist auf Achse, war nie die Politikerin am Schreibtisch, war immer auch im Zentrum der Konflikte, im Irak, in Afghanistan, auf dem Balkan, in Israel und Palästina, im Iran ... in Afrika.

30 Jahre Grüne, das ist Freude, Tränen, Kampf, Erfolg, Enttäuschung, Niederlage - und natürlich auch eigene Fehler. Und doch, nichts davon möchte ich missen.

Die letzten fast 5 Jahre habe ich mit Leidenschaft internationale Netzwerke für Abrüstungsinitiativen und für Konfliktprävention geknüpft. Meinem Rechenschaftsbericht könnt Ihr entnehmen, daß wir sehr wohl außen- und sicherheitspolitische Erfolge in Europa durchsetzen konnten. Vieles ist angestoßen, aber noch nicht am Ziel.

Deshalb bin ich im Januar in Dortmund für eine zweite Legislaturperiode im Europäischen Parlament angetreten, eben, weil ich nicht auf halbem Wege stehen bleiben wollte. Der Parteitag hat anders entschieden. Und seitdem ist mir immer klarer geworden, dass auch ich eine Entscheidung treffen muß.

Und deshalb bin ich heute zu Euch gekommen, hierhin, wo vor 30 Jahren alles anfing. Ich drücke nicht wie Barack Obama den "Reset-Knopf", denn das hieße von dort, wo man einst anfing, neu zu starten, sondern der heutige Tag steht für einen wirklichen Neubeginn. Das bedeutet für mich, heute Abschied zu nehmen von Bündnis 90/Die Grünen, hier, in Schleswig-Holstein, wo alles angefangen hat.

Ich bin und bleibe ein politischer Mensch, ich werde als Co Vorsitzende des „Parliamentary network for conflict prevention and human security“ des East West Institutes, dessen erste Konferenz ich vorgestern in London im Vorfeld des G 20 Gipfels geleitet habe, weiter aufbauen. Und natürlich bleibe ich grün - wenn auch ohne Parteibuch. Und natürlich bleibe ich dem europäischen Gedanken und der Europa Union treu. Die von mir übernommenen Aufgaben als Mitglied der EFA/Grünen Europafraktion werde ich bis zum Ende meines Mandats gewissenhaft ausführen.

Es gibt viele persönliche, aber natürlich auch politische Gründe für diese Entscheidung. Ich habe mich von der deutschen Partei, zumindest von der Spitze im Bund, aber auch von der Flügelarithmetik von Realos und Linken, während meiner Zeit in Europa entfernt.

Wenn es bei den deutschen Grünen nur noch um das Erringen von Macht geht, und dafür den Westerwelles und Kubickis die Wähler in die Arme getrieben werden, habe ich dafür Null Verständnis.

Wenn der Frieden programmatisch kaum noch eine Rolle spielt, wenn in der Friedens- und Sicherheitskommission eine wirklich selbstkritische Analyse unseres Regierungshandelns in den Fragen Kosovo, Afghanistan und Irak nicht möglich war, dann werden die Grünen der politischen Verantwortung für die Suche nach einer wirklichen Friedenspolitik in der Zukunft nicht gerecht.

Und wenn der Wahlslogan nun auch noch heißt "Frieden für Generationen: Mit WUMS für ein besseres Europa“, dann ist das für mich der Abschied von einer Außen- und Friedenspolitik, die sich den aktuellen Bedrohungen - und notwendigen schwierigen Entscheidungsprozessen der Gegenwart und Zukunft verabschiedet.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Hermann Hesse sagt: in jedem Ende steckt ein Neubeginn und ein Zauber. Darauf bin ich neugierig! Für diesen Neubeginn brauche ich meine ganze Kraft und Freiheit. Vor meinem Eintritt ins Pensionsalter liegen 10 Jahre, in denen ich meine 35 jährige politische Erfahrung und Kompetenz einbringen kann und will.

Dies ist nun ein Abschied mit "Wums". Aber für mich ist es ein Neuanfang - mit der Hoffnung verbunden, daß Freundschaften, die in den vielen Jahren entstanden sind, auch diesen Tag überdauern. Und vielleicht treffen wir uns schon bald wieder auf einer Demonstration gegen die Rechtsextremisten in unserem Land.

Ich danke Euch für 30 GRÜNE Jahre!

Tschüss!




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