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Ankündigungen müssen Taten folgen

Die neue Konzeption der NATO blieb auf der jüngsten Gipfelkonferenz höchst vage

Von Hans Voß *

Die Lobgesänge auf das angeblich erfolgreichste Militärbündnis unserer Zeit -- die NATO -- sind verstummt. Verhallt sind auch die wütenden Proteste der Gegner der Allianz, die dem Pakt aggressive Interventionspolitik zum Vorwurf machen und seine Auflösung fordern.

Es ist an der Zeit, nüchtern zu analysieren, wo die NATO heute steht. Das ist umso dringender, weil das Treffen in Baden-Baden und Straßburg der erste NATO-Gipfel war, an dem US-Präsident Barack Obama teilnahm. Von ihm erwartete man Aufschlüsse über die künftige Washingtoner Sicherheitspolitik. Nach vielen Jahren ständiger Kriegsrhetorik und exzessiver Aufrüstung unter Vorgänger George Bush schien Obama einen gemäßigten Kurs eingeschlagen zu haben. Aus seinem Sprachschatz verschwand der Terminus des permanenten Kriegszustands. Ansätze für die Lösung von Krisen wurden erörtert, Dialoge angeboten. Andererseits wurden US-amerikanische Großmachtpläne weiterhin betont, auf militärische Aktionen will man auch in Zukunft nicht verzichten.

Zugleich wurden unter den europäischen Verbündeten Stimmen laut, die eine Neuausrichtung der Allianz ins Spiel brachten. Sie waren es, die die Ausarbeitung einer neuen strategischen Konzeption förderten.

Der jüngste NATO-Gipfel hat für die langfristige Ausrichtung der Allianz keine Klarheit gebracht. Zum wiederholten Mal wurde die Verabschiedung einer neuen strategischen Konzeption um ein weiteres Jahr verschoben. In einem entscheidendem Punkt wurde jedoch die Kontinuität bisherigen Vorgehens betont: Die Teilnehmer bekräftigten ihre Absicht, das Engagement der NATO in Afghanistan nicht nur fortzusetzen, sondern entsprechend den Wünschen der USA weiter auszudehnen. Präsident Obama zeigte sich hocherfreut über die konkreten Zusagen. Es soll sich um eine Kombination von militärischen, politischen, polizeilichen und wirtschaftlich-finanziellen Maßnahmen handeln. Beschwörend wurde die Losung verkündet: Die Zukunft der NATO hängt von ihrem Erfolg in Afghanistan ab.

In einem anderen Bereich kündigte das NATO-Treffen jedoch Modifizierungen des bisherigen Herangehens an -- in der Gestaltung des Verhältnisses zu Russland. Unter Bush verfolgten die USA eine Politik der Einkreisung Russlands. Immer mehr Staaten Mittel- und Osteuropas wurden in die NATO aufgenommen, moderne Waffensysteme wurden in diesen Ländern stationiert. Der jetzt vollzogene Beitritt Albaniens und Kroatiens wurde noch in der Ära Bush beschlossen. Das Tempo dieses Kurses wird nun merklich verlangsamt. Barack Obama ist sich offensichtlich darüber im Klaren, dass eine Zuspitzung internationaler Konflikte, eine Schaffung neuer Spannungen nicht ratsam ist. Angesagt ist dagegen eine Entkrampfung des Verhältnisses zu Russland, dessen Mitwirkung bei der Klärung internationaler Probleme, wie der nuklearen Abrüstung, dringend gebraucht wird.

Gegen den Widerstand einiger osteuropäischen NATO-Staaten und entgegen dem Drängen der jeweiligen Führungen wurde die Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens weiter hinausgeschoben. Beiden wurde zwar versichert, dass ihr Anspruch fortbestehe. Beobachter sind jedoch der Überzeugung, dass beide Länder unter den gegenwärtigen Vorzeichen geringe Chancen haben, Paktmitglieder zu werden. Das gleiche Schicksal -- nicht Realität zu werden -- dürfte den Raketenplänen in Polen und Tschechien beschieden sein. Auf sie zu verzichten, wird Obama in Moskau Punkte einbringen.

Auch in anderen Fragen signalisieren die NATO-Staaten gegenüber Moskau ein bestimmtes Maß an Entgegenkommen. Die Konsultationsstränge, wie der NATO-Russland-Rat, werden wiederbelebt. Russisch-amerikanische Abrüstungsverhandlungen haben einen festen Rahmen bekommen. Und selbst wenn die ersten Ankündigungen über den Inhalt der neuen strategischen Konzeption der NATO vage sind: Bekundungen, dass die militärische Funktion des Paktes zurückgedrängt werden soll und die Konfliktvorsorge und dabei die engere Zusammenarbeit mit anderen internationalen Akteuren, wie der UNO und der OSZE, stärkeres Gewicht erhalten sollen, könnten Zuversicht erzeugen.

Aber natürlich wird abzuwarten sein, wie die Realitäten aussehen. Schon einmal, im Zusammenhang mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik und mit der Ausdehnung der NATO auf das DDR-Territorium, sagte die NATO zu, eine Neubestimmung ihrer Rolle vorzunehmen. Von größerer politischer Ausrichtung, von Abrüstungsschritten bei konventionellen und nuklearen Waffen war in der Erklärung des Londoner NATO-Gipfels vom Juli 1990 die Rede. Was davon geblieben ist, ist leider nur zu gut bekannt. Also warten wir auf die Entwicklungen der nächsten Zeit, um ein verlässliches Bild zu erhalten. Russland jedenfalls zeigt vorsichtigen Optimismus und ist zum Dialog bereit.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2009


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