"Paz sim! NATO não!"
Portugals Friedensbewegung kämpft für die Auflösung des Militärpakts
Von Frank Bochow *
Wenn die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsländer am 19. und 20. November zu ihrem Gipfel in Lissabon zusammenkommen, treffen sie auf ein Land, in dem heftige soziale Kämpfe gegen die Sparpolitik der »sozialistischen« Regierung José Socrates toben. Gegen den NATO-Gipfel in Portugal sind große Protestaktionen geplant sowie ein »Gegengipfel« vom Antikriegsbündnis PAGAN (siehe jW vom 21. Oktober). Dieses hat sich Ende 2009 separat und unabhängig von der historisch gewachsenen und über Jahrzehnte wirkenden Friedensbewegung gebildet.
Portugal gehörte 1949 zu den Gründungsmitgliedern der NATO. Es machte den Initiatoren des Paktes nichts aus, das faschistische Regime António de Oliveira Salazars, in dem alle demokratischen Freiheiten beseitigt waren, demokratische Parteien nicht existieren konnten, Antifaschisten verfolgt und ermordet wurden, in ihr Bündnis aufzunehmen. Bereits damals erwies sich die NATO als ein Instrument des internationalen Monopolkapitals zur Sicherung seiner Herrschaft und alles Gerede von Freiheit und Menschenrechten als pure Heuchelei. Die NATO unterstützte das portugiesische Regime vorbehaltlos mit umfangreicher finanzieller und militärischer Hilfe in seinen Kriegen gegen die afrikanischen Befreiungsbewegungen. Nach der April-Revolution 1974 und dem durch sie eingeleiteten revolutionären Prozeß, der zu beachtlichen politischen und sozialen Errungenschaften führte, begannen für die USA und ihre Verbündeten die Alarmglocken zu läuten. Die revolutionäre Regierung Portugals wurde einem bislang nicht gekannten Druck ausgesetzt. Kriegsschiffe der NATO kreuzten vor Lissabons Küste, im faschistischen Nachbarland Spanien sammelten sich Truppen, um eventuell militärisch einzugreifen, Ministerpräsident Vasco Gonçalves wurde ultimativ aufgefordert, die Kommunisten aus dem Kabinett zu entfernen. Die NATO hatte keinen geringen Anteil, am Sturz seiner Regierung, womit die Zerschlagen der Errungenschaften der April-Revolution eingeleitet wurde.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß sich die NATO in Portugal keineswegs großer Beliebtheit erfreut und der Widerstand gegen den Militärpakt von Anfang an beachtlich war. Bereits 1950 entstand in der Illegalität die »Nationale Kommission zur Verteidigung des Friedens«, deren wichtigste Aufgabe es war, 100000 Unterschriften unter dem »Stockholmer Appell zur Ächtung der Atomwaffen« zusammen zu bringen. Trotz massiver Repressalien sammelten Brigaden von jungen Arbeitern und Studenten in den Städten und Dörfern Unterschriften, schrieben nachts an die Wände »Paz« (Frieden), protestierten gegen NATO-Stützpunkte auf portugiesischem Territorium. Viele der Friedensaktivisten fielen dem Terror der Geheimpolizei PIDE zum Opfer, verschwanden oft über mehrere Jahre in den Kerkern des Salazar-Regimes. Teilnehmer einer Ministerkonferenzen der NATO wurde 1952 mit großflächigen Plakaten »Weg mit der NATO« und »Kämpft für den Frieden« an zentraler Stelle in Lissabon begrüßt. Die Tagung des NATO-Ministerrates blieb im Juni 1971 für mehrere Stunden ohne Verbindung zur Außenwelt und Ministerpräsident Caetano mit dem damaligen US-Außenminister im Fahrstuhl stecken, da eine mutige Aktion portugiesischer Antifaschisten die Zentrale der Telefon- und Fernsprechverbindung gestört hatte.
Nach der sogenannten Nelken-Revolution im April 1974 konnten sich die antifaschistischen Kräfte und demokratischen Parteien frei entfalten. 1976 wurde der »Portugiesische Rat für Frieden und Zusammenarbeit« (CPPC) ins Leben gerufen. In seiner Zusammensetzung widerspiegelt sich bis heute ein breites politisches Spektrum von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur, Vertreter von Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Organisationen. Zu den Vorstandsmitgliedern gehörte der im Juni dieses Jahres verstorbene portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago sowie der frühere Staatspräsident Marschall Costa Gomes, der sich aktiv an der internationalen Bewegung »Generäle für den Frieden« beteiligte. Gegenwärtig wird der portugiesische Friedensrat von Professor Rudi Namorado Rosa geleitet, einem in Portugal hochangesehenen Naturwissenschaftler.
Die 1921 gegründete Portugiesische Kommunistische Partei stand in allen Phasen des Friedenskampfes an vorderster Front Sie war die einzige politische Partei, die in 48 Jahren Faschismus unermüdlich gegen die Diktatur kämpfte und dabei die vielgestaltigsten Bündnisse schmiedete. Die KP verfügt bis heute über eine hohe Mobilisierungsfähigkeit. Massenaktionen in Portugal sind ohne sie nicht denkbar.
In Vorbereitung auf den NATO-Gipfel hat sich im Januar 2010 ein Aktionsbündnis aus über 100 Organisationen und Verbänden gebildet, zu dem, neben dem CPPC selbst der 700000 Mitglieder zählende Gewerkschaftsverband CGTP-Intersindical, viele Einzelgewerkschaften, Jugend- und Frauenorganisationen, christliche Vereine und Gruppen ebenso gehören wie die Portugiesische Kommunistische Partei und die Partei der Grünen. Diese Bewegung hat unter der Losung »Paz sim! NATO não!« in den vergangenen Monaten eine umfangreiche Palette von Veranstaltungen organisiert, auf denen diese zentralen Themen behandelt wurden: Rückführung aller portugiesischen Truppen aus den NATO-Missionen, Schließung aller Militäreinrichtungen der NATO im Land und Abzug aller NATO-Soldaten, Ablehnung, die Europäische Union in einen Stützpfeiler der NATO zu verwandeln, Abrüstung und Beseitigung aller Atom- und Massenvernichtungswaffen, Auflösung der NATO.
Höhepunkt dieser Kampagne wird zweifellos die große Anti-NATO-Demonstration am Samstag im Zentrum von Lissabon sein, zu der Zehntausende Menschen erwartet werden.
* Aus: junge Welt, 17. November 2010
Klarstellung aus Lissabon
Aus einer Stellungnahme der Kampagne »Ja zum Frieden! Nein zur NATO«:
Wie bereits hinlänglich bekannt, hat die Kampagne für Frieden und gegen den NATO-Gipfel in Portugal – Kampagne »Paz sim! NATO não!« (Ja zum Frieden! Nein zur NATO!) für den 20. November um 15.00 Uhr eine von ihr organisierte Demonstration angekündigt, die vom Marquês de Pombal-Platz bis zum Restauradores-Platz in Lissabon ziehen wird und zu deren Teilnahme sie alle portugiesischen Friedensfreunde aufruft. Die Ziele und Umstände sowie die Veranstalter der Demonstration wurden hinreichend im In- wie auch im Ausland bekannt gemacht und ihre Durchführung bei den zuständigen Behörden angemeldet.
Die Kampagne »Paz sim! NATO não!« nimmt daher mit Überraschung zur Kenntnis, daß andere Gruppierungen – insbesondere die Antikriegs-, Anti-NATO-Plattform (PAGAN) – im nachhinein für denselben Ort und denselben Tag eine weitere, von der ersten verschiedene Demonstration angekündigt haben. (…) Selbstverständlich ist es diesen anderen Gruppierungen freigestellt, eine eigene Demonstration durchzuführen, nicht jedoch am selben Ort und am selben Tag wie die bereits angekündigte und ordnungsgemäß einberufene Demonstration der Kampagne
»Paz sim! NATO não!« (...)
Die Kampagne »Paz sim! NATO não!« bekräftigt ihren Aufruf an die verschiedenen Organisationen der portugiesischen Gesellschaft und an alle für Frieden eintretenden Bürgerinnen und Bürger, sich um die Kampagne zu scharen, um:
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den Widerstand der portugiesischen Bevölkerung gegen die Durchführung des NATO-Gipfels und dessen kriegstreiberische Absichten zum Ausdruck zu bringen,
- von der portugiesischen Regierung den Abzug der an NATO-Militärmissionen beteiligten portugiesischen Kräfte zu verlangen,
- die Schließung ausländischer Militärstützpunkte und NATO-Einrichtungen auf portugiesischem Boden zu fordern,
- die Auflösung der NATO zu verlangen,
- die Abrüstung und die Abschaffung von Atom- und Massenvernichtungswaffen zu fordern,
- von den portugiesischen Behörden die Einhaltung der Charta der Vereinten Nationen und der portugiesischen Verfassung und die Achtung des Völkerrechts, der Souveränität und der souveränen Gleichheit der Völker zu verlangen.
www.pazsimnatonao.org/de
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