Kritik an Nato-Gipfel aus der Friedensbewegung
"Gefährliche Nato-Strategie" - Gipfel "ohne Perspektive" - Nato auflösen - Proteste zum 60. Jahrestag angekündigt
Im Folgen den dokumentieren wir Pressemeldungen von:
NATO auflösen! Deutsch-französische Friedensbewegung kündigt Proteste an
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum Nato-Gipfel
in Bukarest-
Raketenschirm und Nato-Osterweiterung gegen Russland gerichtet
- Drückende Überlegenheit der Nato gegenüber Russland und China
- Die Nato verteidigt nicht, sondern bedroht die Welt
- Deutsch-französische Friedensbewegung mobilisiert gegen Nato-Jubiläum
2009
Kassel/Hamburg, 2. April 2008 - Zum NATO-Gipfel, der zur Zeit in
Bukarest stattfindet, erklären die Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag, Lühr Henken und Dr. Peter Strutynski:
Auch wenn der Nato-Gipfel in Bukarest keine neuen strategischen Konzepte
für das Militärbündnis verabschieden wird, wird er Entscheidungen
treffen, die seinen weiteren Weg programmieren. Hierzu zählt einmal das
Ja zum sog. "Raketenschirm" der USA, das aus zwei Bestandteilen besteht:
der Installation einer Radaranlage in Tschechien und der Dislozierung
von zehn Abfangraketen in Polen. Diese angeblich gegen eine Bedrohung
aus Iran oder Nordkorea gerichtete Rüstungsmaßnahme zielt in Wahrheit
gegen Russland, das sich von der NATO immer mehr in die Defensive
gedrängt fühlt.
Dies umso mehr, weil zum anderen die USA auf die Aufnahme weiterer
ehemaliger Sowjetrepubliken drängt: Mit der Ukraine und Georgien würde
ein enger und fast lückenloser Ring von Nato-Staaten um die Russische
Föderation gezogen. Alle Beteuerungen des Westens, mit Russland auf der
Basis gleichberechtigter und partnerschaftlicher Beziehungen
koexistieren zu wollen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie
geschrieben sind. Ein neues Wettrüsten zwischen den Nato-Staaten und
Russland wird die notwendige Folge sein. Russland hat bereits
angekündigt, die Raketenabwehrbasen mit eigenen Raketen ins Visier zu
nehmen.
Die Eile, mit der US-Präsident Bush sowohl die Osterweiterung als auch
die Errichtung der Raketenabwehr voran treiben will, ist nur zum Teil
mit dem Auslaufen seiner Amtszeit zu begründen. Beide Projekte sind auch
bei seinem Nachfolger unwidersprochen, gleichgültig ab es John McCain,
Hillary Clinton oder Barack Obama sein wird. Es geht vielmehr um die
zügige Realisierung einer irreversiblen strategischen Überlegenheit des
Westens gegenüber den potenziellen globalen Kontrahenten Russland und
China.
Schon heute tätigen die NATO-Staaten rund 70 Prozent der weltweiten
Militärausgaben. Das schlägt sich in einer drückenden Überlegenheit auf
den Weltmeeren nieder: Die NATO-Staaten haben zweieinhalbmal so viele
Überwasserkampfschiffe und 50 Prozent mehr U-Boote als China und
Russland zusammen. Aber auch die Lufthoheit gehört der Nato: Sie verfügt
über 50 Prozent mehr Kampfflugzeuge und über das Dreieinhalb-fache an
Kampfhelikoptern wie Russland und China zusammen. Dazu kommt ein
Zwölffaches (12-faches!) an Tankflugzeugen zur weltweiten Betankbarkeit
von Kampf- und Transportflugzeugen während des Fluges.
Die Neuausrichtung der NATO hat schon bei früheren Gipfeln (insbesondere
Prag) eine Rolle gespielt und wird in Bukarest nur weiter unterstrichen:
Das einstmalige Verteidigungsbündnis Nato wird in ein weltweit
einsetzbares Interventionsbündnis transformiert. Längst sind als
mögliche künftige Partner zur Einkreisung Chinas vom Pazifik her Japan
und Australien im Gespräch.
Die Nato ist nicht mehr das, was sie war, der Nato-Vertrag von 1949 ist
nur noch ein Fetzen Papier. Die logische Folge der Auflösung des
Warschauer Vertrags, dem einstigen Militärbündnis der osteuropäischen
sozialistischen Staaten, 1991 wäre die Selbstauflösung der Nato gewesen.
19 Jahre danach stellt sich die Frage der Auflösung der Nato erst recht,
ist sie doch selbst zu einer Bedrohung der Welt geworden.
Schon vor Beginn des Gipfels in Bukarest ist durchgesickert, dass der
Jubiläums-Gipfel 2009 nicht in Washington, sondern in Europa stattfinden
wird, und zwar in der französischen Stadt Strasbourg und im deutschen
Kehl auf der anderen Seite des Rheins. Der französische "Mouvement de la
paix" und der Bundesausschuss Friedensratschlag sind am Mittwoch
übereingekommen, den Doppelgipfel im Frühjahr nächsten Jahres zum Anlass
für eine gemeinsame internationale Protestaktion zu nehmen. Die
Friedensbewegung vertritt entschieden den Standpunkt, dass die Nato
einen historischen Anachronismus darstellt. 60 Jahre NATO sind genug!
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg
Peter Strutynski, Kassel
Pressemitteilung
Berlin, 02. April 2008
NATO-Gipfel in Bukarest:
Ärzteorganisation IPPNW warnt vor gefährlicher NATO-Strategie
Mit großer Sorge verfolgt die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) die Beratungen des NATO-Gipfels vom 2. - 4. April in Bukarest. Das im Vorfeld bekannt gewordene Strategiepapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“ propagiert die Bereitschaft zum atomaren Erstschlag und zu militärischen Interventionen ohne völkerrechtliche Legitimation durch den Weltsicherheitsrat. Die Autoren aus höchsten NATO-Kreisen fordern u.a. eine „Eskalationsdominanz“ zur Sicherung der westlichen Kultur und Lebensweise. Diese Denkweise ist nach Auffassung der IPPNW in keiner Weise geeignet, ein friedliches und zivilisiertes Zusammenleben zu fördern, sondern entspringt einer unverantwortlichen Hybris und fehlgeleiteten Allmachtsfantasien des politisch-militärisch-industriellen NATO-Komplexes.
Matthias Jochheim, Vorstandsmitglied der IPPNW: „Die westliche Kultur kann nicht durch Besetzung fremder Länder, durch Bombardierung der Bevölkerung und Einrichtung von Folterlagern wie in Irak und Afghanistan ‚verteidigt’ werden. Nur der Ausbau demokratischer Rechte und sozialer Gerechtigkeit hier bei uns sowie die friedliche Zusammenarbeit und solidarische Unterstützung gegenüber den Menschen im globalen Süden garantiert das friedliche Miteinander der Kulturen. Wir lehnen die von der NATO gewaltsam verteidigte ungerechte Wirtschaftsordnung ab, in der 20 % der Menschheit in den reichen Ländern 80 % der Rohstoffressourcen verbrauchen. Die Energieversorgung sollte nicht durch Militäreinsätze, sondern durch die Umstellung auf einen intelligenten Mix aus regenerativen Energien gesichert werden.“
Ernste Sorge bereitet der Ärzteorganisation die gefährliche Logik des Strategiepapiers. Zum Beispiel wird darin der „Ersteinsatz von Atomwaffen“ als letztes Instrument zur Verhinderung des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen“ empfohlen. Solche Vorschläge aus NATO-Militärkreisen seien zu charakterisieren mit der Abkürzung „MAD“, aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts: Mutual Assured Destruction = Gegenseitig gesicherte Zerstörung, oder einfacher übersetzt: VERRÜCKT. Die IPPNW fordert stattdessen die weltweite Abschaffung aller Atomwaffen. Deutschland könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, indem die Bundesrepublik die „Nukleare Teilhabe“ im Rahmen der NATO aufkündigt, und den Abzug der US-Atombomben veranlasst, welche immer noch auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel gelagert werden.
Das NATO-Strategiepapier "Toward a grand strategy for an uncertain world" finden Sie unter: http://www.csis.org/media/csis/events/080110_grand_strategy.pdf
Pressekontakt: Sven Hessmann, E-Mail: hessmann@ippnw.de
Der Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative, Manfred
Stenner, prognostiziert eine magere Bilanz des bevorstehenden Nato-
Gipfels in Bukarest, warnt vor den "fortdauernd negativen Folgen der
Militär-Konstellation aus den Zeiten des Kalten Krieges" und stellt
die Existenzberechtigung des Militärbündnisses in Frage:
Nato betreibt mit Erweiterung Wiederbelebung des Kalten Krieges
Bündnis hat keine Antworten auf die heutigen Herausforderungen
Wiedervorlagen zum 60 Jahre Jubiläumsgipfel
Bukarest wird zeigen, dass die Tradierung des für konstruktive
Konfliktbearbeitung völlig ungeeigneten Militärbündnisses
Fortschritte bei der Bewältigung der vielen brennenden Konflikte des
Planeten behindert. Die grundsätzlich destruktive Struktur des
Bündnisses als Relikt aus der Militär-Konstellation des Kalten
Krieges wird durch innere Widersprüche noch verstärkt. Auf mittlere
Sicht führt kein Weg an der kompromisslosen Reform und Stärkung der
Vereinten Nationen als entscheidende Institution für
Krisenmanagement vorbei. Bis dahin betreibt die Nato weiterhin
Unsinn, verschärft bestehende globale Konfrontationen und dilletiert
bei ihren militärischen Einsätzen.
Der glanzvolle aber an sich bedeutungslose Nato-Gipfel in Bukarest
wird versucht sein, dem scheidenden US-Präsidenten Bush ein paar
Abschiedsgeschenke zu machen, hauptsächlich in Sachen Erweiterung um
die drei Balkanstaaten Kroatien, Albanien und Makedonien und weitere
Annäherung des Militärbündnisses an die Ukraine und Georgien,
bekanntermaßen eine Provokation für Russland. Bush hat sich bei
seinem Ukraine-Besuch im Vorfeld des Nato-Gipfels provokativ für
deren Nato-Mitgliedschaft ausgesprochen, ganz im Sinne des in
Kalter-Kriegs-Kategorien denkenden republikanischen
Präsidentschaftskandidaten McCain. Der nur als Präsident scheidende
Strippenzieher Putin wird wahrscheinlich seine Drohung wiederholen,
dass Russland im Gegenzug Atomraketen gegen die Ukraine richtet.
Außerdem sollen die Nato-Staaten die us-amerikanische Raketenabwehr
begrüßen und zu Eigen machen. Die im Rahmen des Gipfels
stattfindenenden Beratungen zur Afghanistan-Strategie werden die von
Friedensgruppen und vielen Hilfsorganisationen massiv kritisierte
zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) betonen und ein
öffentliches und ein geheimes Dokument zur Strategie hervorbringen.
Dabei wird eine Wende zu einer realistischen Exit-Strategie und eine
Umwidmung der militärischen in Mittel für zivile Konfliktbearbeitung
nicht vorkommen, wie sie viele Friedensorganisationen in
ausgefeilten realistischen Vorschlägen fordern.
Es ist absolut zu begrüßen, dass selbst Präsident Bush eingesehen
hat, dass eine Ausweitung des Bundeswehreinsatz auf den Süden
Afghanistans hierzulande innenpolitisch nicht durchsetzbar ist – ein
Erfolg auch der Anstrengungen der Friedensbewegung. Gegen die
absehbaren Konzessionen der Bundesregierung bei einer möglichen
Aufstockung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan machen viele
Gruppen der Friedensbewegung gemeinsam Front. Mit einer zu den
Ostermärschen gestarteten Petition an die Bundestagsabgeordneten
soll eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen werden, um
eine Verlängerung des Einsatzes im Herbst zu verhindern.
Im Hintergrund der Nato-Debatten schwelen Auszehrungserscheinungen
und innerer Zerfall. Wichtige Entscheidungen werden nicht in der
Nato sondern in Washington gefällt. Strittige Themen wie z. B. der
Irak oder die Zusammenarbeit zwischen NATO und EU werden
ausgeklammert oder blockiert. Eine strategische Debatte wird seit
Jahren vertagt. Immer wieder neue Versuche, gemeinsame Konzepte z.B.
für die Aufstandsbekämpfung zu entwickeln, kommen nicht wirklich
voran. Und in Bukarest wird trotz etlicher „think-tank“-Papiere im
Hinblick auf eine neue US-Administration im nächsten Jahr kaum etwas
wirklich Entscheidendes beschlossen werden. Letztlich hat die
Allianz keine Zukunft – was Friedensgruppen nur begrüßen können.
Aber bis zur leider unwahrscheinlichen baldigen Auflösung haben die
NATO-Beratungen leider lähmende Wirkungen auf andere Möglichkeiten
konstruktiver Konfliktbearbeitung. Auch die geplante Pariser
Afghanistan-Konferenz wird mit ähnlichen Akteuren die Nato-
Positionen von Bukarest lediglich nachkauen. Jetzt schon schade um
die verpassten Chancen für eine Neuorientierung in Afghanistan.
Beim Jubiläumsgipfel der Nato 2009 in Strasbourg/Kehl werden alle
Debatten um eine neue Nato-Strategie zur Wiedervorlage anstehen.
Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative
1. April 2008
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