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Hitler liebte "sein Volk"

Über schiefe Vergleiche in Zeiten der Kriegspropaganda

Von Sabine Schiffer *

Die kriegsbefürwortende Rede Joachim Gaucks vor der Bundeswehrakademie in Hamburg Altona hat viele Menschen empört. Aber nicht erst seither wird der deutsche Nachkriegskonsens – „Nie wieder Krieg!“ – massiv angegriffen. Dabei kristallisieren sich ein paar Argumentationsmuster heraus, die an Perfidie kaum noch zu überbieten sind: Mit humanistischen Argumenten wird für menschenverachtenden Massenmord geworben, denn seit dem ersten Weltkrieg nehmen gerade die zivilen Opferzahlen bei militärischen Auseinandersetzungen stetig zu. Die neueste Strategie, die seit einem guten Jahr in Talk-Shows gerne gefahren wird, ist die Einforderung von Loyalität für unsere Soldaten. Hat diese gar historische Vorläufer, wenn wir einmal die Dolchstoßlegende zum Ende des ersten Weltkriegs auf diesen Aspekt hin untersuchen mögen? Das Bedienen einer humanistischen Rhetorik zur Rechtfertigung von Intervention und Tod scheint tatsächlich relativ neu und wurde nötig, nachdem Tugenden wie „Patriotismus“, „Vaterland“ und „Gehorsam“ oder Konzepte wie „Lebensraumideologien“ und dergleichen verpönt sind.

Auf dem Balkan erfolgreich einstudiert, funktionieren heute vor allem PR-Kampagnen pro „humanitäre Verantwortungskriege“, für die manchmal eine verschleierte Frau als „zu befreiende Muslimin“ ausreicht (Afghanistan) oder aber notfalls Massaker inszeniert werden müssen (Rugovo und Racak). Im Nachhinein meist aufgeklärt, halten ihre Bilder im emotionalen Moment der Sichtbarwerdung vieler Toter zunächst dafür her, für eine militärische Intervention zu plädieren. Gleichzeitig werden diejenigen, die sich dem verweigern, der „Verantwortungslosigkeit“ bezichtigt. Dabei könnte man alle waffenliefernden Staaten, die bei der UNO gleichzeitig dann am Tisch sitzen, wenn dort die Interventen tagen, dazu verpflichten, jegliche Waffenlieferung in Krisengebiete einzustellen – gegen Androhung von Sanktionen bei Verstoß, was dann die Wirtschaften treffen würde, die von der Rüstung profitieren. Aber warum Logik anwenden, wenn das Kriegsgeschäft boomt? Und (Wirtschafts-) Krise und Krieg treten gerne als Zwillinge auf ...

Was nicht auf nachträgliche Aufklärung warten muss, sind Vergleiche, die bereits auf den ersten Blick falsch sind: etwa der von der notwendigen Intervention der Alliierten in Nazi-Deutschland, der dann boomt, wenn gerade deutsche Kriegsgegner mit den Erfahrungen aus der Geschichte gegen Kriege argumentieren. In der Tat war es notwendig, den von Deutschland angezettelten Krieg zu beenden (was mehr Phantasie bei anderes Verhinderungsstrategien auch nicht ausschließt), aber Hitler hat nicht „sein eigenes Volk“ attackiert – jedenfalls hat das niemand behauptet. Es wird wohl in der Tat niemand einmarschiert sein, um dieses Volk vor seinem Diktator zu retten, sondern um die Welt vom Hitler-Faschismus zu befreien und sozusagen die eigene Haut zu retten.

Deshalb passte der Vergleich schon nicht auf die Situation in Libyen, wo unser langjähriger Lieblings-Diktator Gaddafi angeblich „sein eigenes Volk“ vernichten wollte – was man orientalischer Irrationalität schon mal zutraut. Plausibel wäre dieser Vergleich allenfalls dann gewesen, wenn Gaddafi der ganzen Welt den Krieg erklärt hätte – alles andere ist übelste Geschichtsrelativierung und die Verharmlosung von Nazi-Verbrechen. Und genau aus dem gleichen Grund passt der Vergleich in Bezug auf Syrien auch nicht, wo ähnlich inszenierte Massaker zu befürchten sind wie auf dem Balkan.

Selbst die Autorität des Bundespräsidentenamts, nun in der Hand von Joachim Gauck, vermag bei seiner Rede nicht über die implizierte Falschbehauptung hinwegzutäuschen, dass vereinte Nationen 1944 nach langen Jahren des Krieges und der Judenvernichtung eingeschritten wären, um „das eigene Volk“ vor seinem Diktator zu retten. Es bleibt dabei: Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung!

Und die abstrusen – die historischen Tatsachen leugnenden – Vergleiche machen das nur umso deutlicher. Ein seriöser Vergleich mit den Kriegen der Vergangenheit würde schließlich dazu führen, dass man u.a. gerade aus Loyalität mit unseren Soldaten, diese nicht in rechtswidrige Kämpfe schickt und für ganz andere Interessen verheizt, als den vorgeschobenen humanitären. Viele US-Veteranen haben das erkannt: Sie warfen als Überlebende der Kriegsmaschinerie ihre Auszeichnungen just zu dem Zeitpunkt weg, als die NATO in Chicago tagte. Und sie erklärten, wie sie die Kriegspropaganda durchschaut hatten – einzusehen beim online-Nachrichtenportal „Democracy Now“ (oder youtube). Für gängige Nachrichtenmedien war das bisher keine Meldung wert.

* Dr. Sabine Schiffer, IMV-Institut für Medienverantwortung, Erlangen.

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