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Einfach zutraulich, der Gauck

Bundespräsident vereinigte die Bundeswehr mit Freiheit und verdammte die NVA

Von René Heilig *

Bundespräsident Joachim Gauck fordert von den Deutschen mehr Offenheit für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Zugleich bemängelte er am gestrigen Dienstag bei einem Besuch der Führungsakademie in Hamburg eine gewisse Distanz der Bürger zu den Streitkräften.

Der erste Bürger trug den Freiheitsgedanken, der für ihn eine zentrale Idee ist, ins politische Manöver. Bei einem Besuch der Bundeswehr-Führungsakademie meinte Gauck, dass die Bundeswehr »unser Zutrauen verdient«.

Auch der Präsident war durchaus zutraulich, denn er vermag in der Bundeswehr »keine Begrenzung der Freiheit« zu erkennen, er sieht in ihr »eine Stütze unserer Freiheit«. Das deutsche Militär habe sich von unseligen militärischen Traditionen gelöst und sei fest verankert in einer lebendigen Demokratie. Der Ex-Pastor und Ex-Rostocker würdigte die Bundeswehr als »Friedensmotor«, würdigte sie als Parlamentsarmee. Im Gegensatz zur NVA in der DDR, die eine unmenschliche Grenze gegen das eigene Volk militärisch abgesichert habe.

Gauck, der Ex-Pfarrer aus Rostock versteht die Abscheu vieler gegen Gewalt. Und sie wird immer auch ein Übel bleiben. »Aber sie kann - solange wir in der Welt leben, in der wir leben - notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden.«

Gerade hat die Truppe, die seit über zehn Jahren am Hindukusch Gewalt ausübt, bewiesen, dass sie nicht nur dort Krieg führen kann. Im Gefechtssimulationszentrum in Wildflecken lief dazu die Übung »European Endeavour 2012«. Sie diente der Zertifizierung der Führung für die European-Union-Battlegroup II/2012. Als hochmobile Krisenreaktionskräfte können die Soldaten in kürzester Zeit weltweit eingesetzt werden. Die Truppe steht unter deutscher Führung. Ähnliche »Leistungen« hat die NVA nicht aufweisen können. Werden deshalb die einstigen NVA-ler, die jetzt im Rahmen der Bundeswehrreform ausscheiden, bei der Rentenbemessung zweitklassig behandelt?

Jüngst wurde ein entsprechender Gesetzentwurf gestoppt. Heute beschäftigt sich der Verteidigungsausschuss mit einem Änderungsantrag von CDU und FDP. Der jedoch greife zu kurz und lasse die vorgetragenen Sorgen um Gleichbehandlung von Ost- und Westbiografien als »wohlfeile Effekthascherei« erscheinen, meint Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Man werde den regierungstragenden Fraktionen per Entschließungsantrag die Möglichkeit geben, »Worten Taten folgen zu lassen«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Juni 2012


Sterben für Deutschland? Nicht in unserem Namen **

Bundespräsident Joachim Gauck hat am Dienstag für die Kriegseinsätze der Bundeswehr geworben und die Bevölkerung aufgefordert, für ihr Land gegebenenfalls auch ihr Leben zu geben. Dagegen regt sich erster Widerspruch.
Die Zeitung "junge Welt" brachte in ihrer Ausgabe vom 14. Juni zahlreiche kritische Stimmen zu Gaucks Rede. Wir dokumentieren sie im Folgenden in Auszügen: (www.jungewelt.de)


Konstantin Wecker, Liedermacher:

Wenn mir wieder jemand das Sterben fürs Vaterland schmackhaft machen will, dann werde ich sehr nervös und hellhörig. Das erinnert mich an eine Kriegsrhetorik, von der ich glaubte, wir hätten sie schon längst überwunden. Außerdem ist es eine Lüge, daß unsere Freiheit im Ausland verteidigt wird. Es ist ausschließlich die Freiheit des Marktes.

Peter Strutynski, Bundesausschuß Friedensratschlag:

Gaucks Rede strotzt nur so von großen Gefühlen und Werten. Was bei ihm nicht vorkommt, ist der Auftrag der Bundeswehr, wirtschaftliche Interessen zu wahren. Bundespräsident Horst Köhler hat das 2010 ehrlich benannt und mußte dafür seinen Hut nehmen.

Katja Kipping, Linke-Vorsitzende:

(...) In Hamburg vertrat Gauck die Auffassung: Die Verletzung von Menschenrechten in anderen Staaten oder der Terrorismus rechtfertigen das Führen von Kriegen – und selbstverständlich darf die Bundeswehr dabeisein. Darüber möchte Herr Gauck in der Gesellschaft wieder verstärkt debattieren – mit anderen Worten: Werbung für Kriegseinsätze im Amte des Staatsoberhauptes betreiben. Dabei scheut sich der Bundespräsident auch nicht vor einer weiteren, zynischen Unterstellung, indem er davon spricht, daß die kriegsversehrten und gefallenen deutschen Soldaten ihr Opfer im »Einsatz für Deutschland« gebracht haben. Für mich ist dies schlicht Kriegspropaganda, und ich bin bestürzt, wie offen Herr Gauck sie betreibt. (...)

Hans-Eckardt Wenzel, Liedermacher:

Der Gauck ist aufgegangen!
Die Uniformen prangen
Am Hindukusch so klar.

Die Welt steht da und schweiget
Und aus den Reden steiget
Der alte Scheiß so wunderbar.

Ach, Gauck, du clevre Nudel
In deinem Freiheitsstrudel
Folgst du dem deutschen Brauch.

Du lebst im ob’ren Drittel
Da heilt der Zweck die Mittel

Egon Krenz, 1989 Staatsratsvorsitzender der DDR:

(...) Nicht etwa, daß ihn die Nazigeneralität störte, die die Bundeswehr aufgebaut hat. Nicht, daß ihm mißfiel, daß ein bundesdeutscher Oberst Zivilisten in den Tod bomben ließ. Nicht, daß er bundesdeutsche Rüstungsexporte in Krisengebiete verurteilte. Nein, er nahm sich die NVA als Prügelknaben vor. Jene Armee, die bisher die einzige deutsche Armee ist, die nie an einem Krieg beteiligt war. Die im Herbst 1989 alles tat, damit Gewalt ausgeschlossen wurde. Die ersten 50 Jahre seines Lebens – das waren ja bis 1945 Naziherrschaft und danach Besatzungszeit bzw. bis 1990 die DDR. Wieviel Haß muß ein Mensch in sich tragen, der das alles in einen Topf wirft? (...)

Wolfgang Schorlau, Schriftsteller:

Ich hatte gewisse Hoffnungen, Joachim Gauck würde ein Bürgerpräsident. Diese Hoffnung ist mit seiner Rede vor der Führungsakademie zerstoben. Er ist nun Kriegspräsident. Schade.

Eugen Drewermann, katholischer Theologe, vom Priesteramt suspendiert:

(...) Was die Bundeswehr verteidigt, sind nicht die Menschenrechte und ganz bestimmt nicht die Freiheit in der Welt. Die Osterweiterung der NATO bis nach Georgien, Kasachstan, Kirgisien hat einen einzigen Zweck: Die Verteidigung der Interessen des Kapitalismus und die geostrategische Einkreisung von Indien und China. Entscheidend bleibt, daß man von einem Soldaten nicht verlangen kann, daß er mutig stirbt – sterben werden wir alle, ob mit oder ohne Mut. Verlangt wird vom Soldaten vielmehr, daß er tötet! Auf dieses moralische Problem sollte der einstige Pastor auch hinweisen.

Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke:

Jetzt zeigt sich, daß Gaucks Freiheitsbegriff lediglich nationalistische und militaristische Propaganda ist. Selbst ein System von striktem Befehl und Gehorsam, das den Befehl zum Töten und das eigene Leben zu opfern beinhaltet, bekommt Bundespräsident Gauck mit seinem Freiheitsbegriff vereinbart. Die Tatsache, daß v.a. Angehörige der unteren Schichten Kriege für eine kleine nationale Elite führen, bezeichnet er sogar als Stütze der Freiheit. Das ist einfach nur widerwärtig. (...)

Hans Modrow, 1989/1990 Ministerpräsident der DDR, heute Vorsitzender des Ältestenrates Die Linke:

(...) Vom Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, egal wie er heißt und aus welcher Umgebung er auch kommt, erwarte ich eine klare Aussage, die den Krieg verurteilt und nicht um Verständnis für Kriegseinsatz und neue Denkmäler in den Dörfern wirbt. Es ist eine Lüge, wenn behauptet wird, die Nationale Volksarmee habe an militärischen Einsätzen teilgenommen. Ich erwarte, daß der Präsident das Grundgesetz achtet und nicht für deutsche Interessen am Hindukusch gekämpft wird. Weder die Nationale Volksarmee noch die Bundeswehr haben bis 1990 an Kriegseinsätzen im Ausland teilgenommen. Das sollten wir gemeinsam achten und dafür Sorge tragen, daß die Werte der Verfassung gültig sind, und ein Mann der Kirche sollte zumindest die christlichen Werte achten.

Monty Schädel, DFG/VK:

Den Tod deutscher Soldaten im Krieg zu glorifizieren und gleichzeitig die Opfer dieser Soldaten nicht einmal zu erwähnen, ist menschenverachtend. Den Soldaten und den Opfern gegenüber. Die Rede ist nicht zu ertragende nationalistische Kriegspropaganda. Der Präsident sollte zur Kenntnis nehmen, daß die »glücksüchtige« deutsche Gesellschaft das Militär und insbesondere den Krieg deutscher Soldaten im Ausland ablehnt.

Bettina Jürgensen, DKP-Vorsitzende:

Um Gauck zu zitieren: Eine funktionierende Demokratie braucht Einsatz. Deshalb war die Mehrheit gegen die Remilitarisierung der BRD. Deshalb haben in Westberlin über 1500 FDJ-Mitglieder Unterschriften für den »Stockholmer Appell« vom 19. März 1950 gesammelt – und wurden alle verhaftet. Deshalb sagten sie damals »Ohne uns«, und wir tun es heute gegen weltweite Bundeswehreinsätze. Deshalb sollte dem Mehrheitswillen der Bevölkerung nach sofortigem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Rechnung getragen werden. Das wäre ein Stück funktionierende Demokratie.

Frank Spilker, Sänger, »Die Sterne«:

Bundespräsident kann man ja wohl auch nur sein, wenn man sich mit dem Nationalstaat identifiziert. Daß allein die Überwindung desselben etwas daran ändern kann, daß junge Menschen in Uniform ihr Leben für konstruierte nationale Entitäten und die Besitzrechte der jeweils Besitzenden hergeben müssen, ist eine Tatsache die nur noch in der Linken diskutiert wird. Der Bundespräsident befindet sich aber eben in der Mitte einer Gesellschaft, die aus selbstsüchtigen Arschlöchern besteht. Jetzt, da die Soldaten nicht mehr eingezogen werden, kann man eigentlich auch sagen: »Selbst schuld, wenn die sich dafür die Birne wegballern lassen.« Aber das wäre kein guter Stil. Und so einfach ist es ja auch nicht. Am Ende werden es in einer Berufsarmee die sozial Ausgegrenzten sein, die die Drecksarbeit machen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Juni 2012

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