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Assange nach Guantánamo?

US-Kampagne gegen WikiLeaks-Gründer. Internetplattform kündigt Enthüllungen über Rußland und China an

Von Rainer Rupp / Regina Müller *

Nach der spektakulären Veröffentlichung von rund 400000 Geheimdokumenten aus einer US-Datenbank über den Krieg im Irak rechnet das Pentagon mit weiteren bösen Überraschungen durch WikiLeaks. »Wir glauben, daß sie weitere Papiere haben«, sagte Pentagon-Sprecher Dave Lapan am Dienstag (Ortszeit) in Washington. Über den möglichen Inhalt der Unterlagen und die Staaten, um die es darin gehen könnte, machte er keine Angaben. Die Internetplattform hatte schon kurz, nachdem sie die Reports über den Irak-Krieg ins Netz gestellt hatte, angekündigt, in Kürze weitere 15000 Dokumenten über den Krieg in Afghanistan veröffentlichen zu wollen. Diese »besonders heiklen« Informationen habe man zunächst zurückgehalten, als im Sommer 40000 Dossiers über die US-Streitkräfte publiziert worden.

In den USA wettern nun konservative Kreise gegen den ihrer Meinung nach zu laschen Umgang der Behörden mit WikiLeaks. Im ultrarechten Fernsehsender Fox forderte dessen Kommentator Christian Whiton, ein früherer hoher Beamter des State Department, WikiLeaks-Gründer Julian Assange als »feindlichen Kämpfer« zu behandeln, was den Behörden erlauben würde, ihn im Gefangenenlager Guantánamo einzusperren. Die Washington Post forderte in einem Leitartikel, die US-Administration solle »Krieg gegen die Webpräsenz« des Enthüllungsdienstes führen.

In Rußland wurden die WikiLeaks-Enthüllungen zunächst genüßlich rezipiert. Das könnte sich allerdings bald ändern, denn WikiLeaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson kündigte in der russischen Tageszeitung Kommersant an, daß der Dienst »bald« Dossiers aus Rußland und China veröffentlichen wolle. »Russische Leser werden viel Neues über ihr Land erfahren«, sagte er dem Blatt. Assange seinerseits sagte dem regierungsnahen Konkurrenzblatt Iswestija, WikiLeaks verfüge über »kompromittierendes Material über Rußland, über Ihre Regierung und Ihre Geschäftsleute«. Man habe zwar noch nicht genug, aber »wir bekommen Hilfe von den Amerikanern, sie spielen uns eine Menge Material über Rußland zu«. Schon bei der Gründung des Dienstes 2006 hatte Assange in einem Bettelbrief an mögliche Spender geschrieben, das wichtigste Ziel von WikiLeaks sei die Veröffentlichung von Material aus »den despotischen Regimes in China, Rußland und Zentraleurasien«.

Kritiker weisen jedoch darauf hin, daß es eine Sache ist, ob Dokumente über Verbrechen von Regierungen durch vom Gewissen geplagte Insider veröffentlicht werden, oder ob man Geheimdienstinformationen über Regierungen anderer Länder als »Enthüllungen« publiziert. Letzteres aber scheint Assange vorzuhaben. Die US-Tageszeitung Christian Science Monitor zitiert jedoch ungenannte russische Sicherheitsexperten, die davon ausgehen, daß es sich bei dem Material über Rußland »wahrscheinlich um nichts handelt, das mit den riesigen Archiven militärischer US-Geheimnisse aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak vergleichbar wäre«.

* Aus: junge Welt, 28. Oktober 2010


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