Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Endlich Ruhe für eine Ruhelose?

Rosa Luxemburg – wichtiger als ihre Leiche ist ihr Werk. Der ruchlose Doppelmord von 1919 bleibt dennoch unvergessen

Von Karlen Vesper *

»Wir sollten uns mit ihrem Werk auseinandersetzen und keine Leichenfledderei betreiben«, betonte ein weiteres Mal Annelies Laschitza am vergangenen Donnerstag in Berlin. Im Mittelpunkt ihrer Forschungen zu Rosa Luxemburg standen stets Leben und Werk, das gesellschaftliche und private Umfeld. In ihrer Biografie »Im Lebensrausch – trotz alledem« verzichtet sie darauf, Leichenfotos zu publizieren. Gebot der Pietät.

Die Zeiten ändern sich. Die heutige Gesellschaft kennt keine Schamgrenzen, Anstand und Respekt. Von unersättlicher Neugier ist sie getrieben. Und diese speist sich nicht immer aus begründetem, tatsächlich Erkenntnis bringendem Wissensdurst. Es lebe der Voyeurismus. Nachdem die Vermutung, ein in der Berliner Charité befindlicher Torso könnte die Leiche der am 15. Januar 1919 von den Söldnern des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske ermordeten Mitbegründerin der KPD sein, erst einmal in der Welt war, wollte man es nun auch wissen. Die Motivationen derer, die darauf drängten, dürften sehr unterschiedlich gewesen sein. Mühten sich die einen, die tote Rosa politisch zu instrumentalisieren, mit Häme über die Linken herzuziehen, die alljährlich im Januar zu einem leeren Grab pilgern (was korrekt, aber auch seit Jahrzehnten bekannt ist), trieb andere Sensationslust, die Aussicht auf Schlagzeilen und einträgliches Geschäft. Wieder andere glaubten, es wissenschaftlicher Redlichkeit schuldig zu sein, noch mal alle Akten zu durchstöbern und auch anatomische Studien zu betreiben. Drei noch lebende Verwandte wurden in Vilnius, Amsterdam und Israel aufgesucht, um vergleichendes DNA-Material zu gewinnen. Auf dieses konzentrierte sich die stärkste Hoffnung. Zu Recht. Gelingt es Forschern heute doch, bei Jahrhunderte und Jahrtausende alten Mumien nicht nur familiäre Bande, sondern auch Lebensweise und -wandel, Essgewohnheiten, Krankheiten zu rekonstruieren. In diesem Fall gelang wohl weder das eine noch das andere.

So bleibt nur die schriftliche Hinterlassenschaft aus dem Jahr des Doppelmordes an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Und diese ließen Historiker bis dato nicht zweifeln, dass die am 31. Mai 1919 aus dem Landwehrkanal und am 13. Juni auf dem Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde bestattete Leiche die der Rosa L. war. Zusammengetragen haben die relevanten Akten nun Annelies Laschitza und Klaus Gietinger. Ihre von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen edierte Publikation steht allen Interessierten zur Verfügung.

Ein Protokoll über Zeugenvernehmung und Obduktion in Wünsdorf am 3. Juni 1919 vermerkt die Aussage des Schleusenwärters Gottfried Knepel, 76 Jahre: »Ich erkenne sie genau wieder. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.« Gardekavallerieleutnant Walter Kaehler, 21, gab an: »Es ist die mir vorgezeigte Leiche. Ich erkenne sie mit Bestimmtheit wieder. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.« Fritz Erhardt, 29 Jahre, Polizeileichendiener: »Es ist die mir vorgezeigte weibliche Leiche. Ich brachte die Leiche nach dem Schauhaus...«

Am 4. Juni ließ Kriegsgerichtsrat Ehrhardt die Vernehmung von Maxim Zetkin, 35 Jahre, Assistenzarzt am Augusta-Victoria-Krankenhaus, Sohn der Kommunistin Clara Zetkin und einstiger Geliebter der Luxemburg notieren: »Das Nasenprofil scheint zu stimmen.« Ebenfalls freiwillig wie er – was durchaus nicht ungefährlich in jener noch von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gezeichneten Zeit war, wie Annelies Laschitza betont – erschien Mathilde Jacob, 46 Jahre alt, langjährige Sekretärin und Freundin von Rosa: »Den mir vorgelegten goldenen Anhänger erkenne ich mit voller Bestimmtheit an der Frau Luxemburg wieder. Ein Irrtum meinerseits ist ausgeschlossen.«

Kriegsgerichtsrat Ehrhardt fasste am 5. Juni 1919 zusammen: »Nach den angestellten Ermittlungen erscheint die Identität der aufgefundenen Leiche mit Frau Luxemburg mit Sicherheit festgestellt. Übereinstimmen: 1) Der Fundort der Leiche … 2) Das Alter der Leiche, nach dem Obduktionsbefund 40-50 Jahre. Frau Luxemburg ist 49 Jahre alt. 3.) Die Leiche hat über zwei Monate, möglicherweise auch 4 ½ Monate im Wasser gelegen … 4) Die Haarfarbe: Schwarz, etwas graumeliert. 5.) Die Größe der Leiche: 1,46 m. Frau L. war nach Zeugenaussagen etwa 1,50 m. mit Stiefel groß, was einer absoluten Größe von 1,46 m. genau entspricht. 6.) Das Profil der Nase... 7.) Die Handschuhe der Leiche sind als die der Frau L. wieder erkannt. 8.) Die Farbe und Stoff des Kleides… 9.) Desgleichen ist das Samtband der Toten und der bei der Leiche gefundene goldene Anhänger ... von einer sicheren Zeugin bestimmt wieder erkannt. 10.) Die Leiche hat, wie nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. Strassmann (sic!) und Dr. Fränckel (sic!) mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen ist, eine Schussverletzung an der linken Schläfe ...« Mit dem Ausruf »sic!« gab der Kriegsgerichtsrat seine Hochachtung vor der Kompetenz anerkannter Rechtsmediziner seiner Zeit zum Ausdruck.

Klaus Gietinger, Autor des mehrfach aufgelegten Buches »Eine Leiche im Landwehrkanal«, listet im Buch der Rosa-Luxemburg-Stiftung weitere Bestätigungen auf. Er verweist u.a. darauf, dass Wanda Marcusson, bei der Rosa Luxemburg damals wohnte, bestätigte, ihre Freundin habe am Tag ihrer Verhaftung ein blaues Samtkleid getragen. Fetzen eines solchen fanden sich an der am 31. Mai aufgefundenen Leiche, von mehren Zeugen bestätigt. Und Strassmann und Fraenckel erwähnen, die Haut der von ihnen in Zossen obduzierten Leiche sei mit blauem Kleiderfarbstoff gefärbt. Nur ein seinerzeit Befragter will sich an einen braunen Rock erinnern. Solche Widersprüche en detail – mögen sie aus Erinnerungsschwäche, Farblindheit oder schlichtem Unwillen resultieren – gebieten Wissenschaftler einzuräumen: »Letzte Gewissheit gibt es nicht.« So Annelies Laschitza coram publico.

Tatsache ist aber auch: Die engste Vertraute Mathilde Jacob hat die stark verweste Leiche selbst nicht in Augenschein genommen; verständlich, sie war emotional dazu nicht in der Lage. Auch Rosas Intimus Paul Levi identifizierte die Tote nur anhand von Fotos. Dass das von Matthilde Jacobs erkannte Medaillon einer falschen Leiche umgehängt worden sei, bestreitet Gietinger und schildert noch einmal die Vorgänge vor dem Eden-Hotel, »wie Hotelangestellte übereinstimmend aussagten«. Der Historiker, Publizist und Drehbuchautor setzt sich auch mit angeblichen Unstimmigkeiten zwischen den von Strassmann/Fraenkel angefertigten Erst- und Zweitgutachten auseinander. Die Rechtsmediziner stellten keine Beinverkürzung fest, sie sprachen aber von einer »mäßigen alten Wirbelsäulenverkrümmung« und einer nach »außen ausgeschweiften« linken Hüfte. Professor Volkmar Schneider, Vorgänger von Professor Michael Tsokos als Leiter der Rechtsmedizin der Charité, stellte in seinem Gutachten vom 8. Juni vergangenen Jahres fest, dass ein auffälliger Gang sich auch durch Wirbelsäulenverkrümmung erklären lasse: »Dazu bedarf es nicht unbedingt einer Beinverkürzung bzw. krankhafter Veränderungen.« Maxim Zetkin sagte in Zossen aus, dass Rosa nur dann hinkte, »wenn sie müde war«; die anatomische Anomalie war also nicht so gravierend, als dass sie nicht mit einiger Anstrengung zu kaschieren wäre.

Strassmann und Fraenckel haben in ihren Gutachten sehr wohl einen Kopfschuss festgestellt. Sie vermerkten eine Eintrittswunde von sieben Millimetern und eine »durch den Schuss bewirkte schwere Zertrümmerung der Schädelgrundfläche«, die »aller Wahrscheinlichkeit« auch den Tod bewirkt habe.

Auch die Frage, war Rosa Luxemburg an Händen und Füßen gefesselt oder mit Draht umwickelt und mit Gewichten beschwert worden, bevor man sie in den Landwehrkanal warf, wird aufgeworfen. Es handelt sich hier offenbar um ein durch die damalige Presse lanciertes und von Egon Erwin Kisch leider in Unkenntnis weiter verbreitetes Gerücht. Es hat also damals keine Verschwörung gegeben, eine falsche Leiche zu präsentieren. In der Tat: durch wen und wozu? Im Gegenteil, die Täter mussten jeden Leichenfund fürchten. Noch mühte sich die – gewiss, auf dem linken Auge oft blinde – Justiz um Ahndung von Gewaltverbrechen, auch politischer Natur.

Tatsächlich hat es aber eine Verschwörung bezüglich des Mordes an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegeben. Und nicht nur der Parteivorstand der heutigen SPD, auch deren Historische Kommission hat es bis dato nicht für nötig gehalten, die Verantwortung der Sozialdemokratie an dieser die Geburt der ersten deutschen Demokratie überschattenden ruchlosen Tat einzugestehen.

Annelies Laschitza/Klaus Gietinger: Rosa Luxemburgs Tod. Dokumente und Kommentare. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. 204 S., br., 11,50 €.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2010


Zur Auseinandersetzung um das Andenken an Rosa Luxemburg siehe auch:



Zurück zur Seite "Geschichtliches, Kriegsgeschichte"

Zurück zur Homepage