Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streitbare Pazifistin

Eine unbequeme Katholikin, Frauenrechtlerin und Friedenskämpferin: Vor 125 Jahren wurde Klara Marie Faßbinder (1890–1974) geboren

Von Florence Hervé *

Zum ersten Mal erlebte ich sie am 8. Mai 1967 in der Mensa der Universität Bonn. Auf Einladung des Allgemeinen Studierendenausschusses hielt Klara Marie Faßbinder vor 800 begeisterten Studierenden in der Mensa das Einführungsreferat im Rahmen einer Veranstaltungsreihe mit Referentinnen und Referenten aus der DDR. Der Rektor der Universität hatte sich geweigert, Räume für den Vortrag zur Verfügung zu stellen. Die damals 77jährige war nämlich unbequem und das Thema ärgerlich. Bundespräsident Heinrich Lübke hatte der Übersetzerin der Werke von Paul Claudel ein Jahr zuvor die Entgegennahme des französischen Ordens »Les Palmes académiques« für die Förderung französischen Kulturgutes verweigert. Erst 1969 revidierte Lübkes Nachfolger Gustav Heinemann diese Entscheidung.

Anfang der 70er Jahre erlebte ich sie zum zweiten Mal. Da stieg die über 80jährige Professorin die Treppe zur Kneipe des studentischen Begegnungszentrums in der Bonner Kaiserstraße hinunter, um mit uns – dem 1969 entstandenen Arbeitskreis Emanzipation – über die 1972 von der BRD mit Moskau und Warschau geschlossenen Ostverträge zu diskutieren. Sie war eine Frau mit Charisma, die in großen Versammlungen referierte und sich ebenso gern an Debatten im kleinen Rahmen beteiligte. Sie bekam später Audienz sowohl bei Nikita Chruschtschow als auch bei Papst Johannes XXIII, begegnete in Moskau der ersten Kosmonautin der Welt, Valentina Tereschkowa, die sie in ihrem Buch »Wolga! Wolga! Erlebte Sowjetunion« als »klug, menschenfreundlich, selbstsicher« beschrieb.

Klara Marie Faßbinder wurde am 15. Februar 1890 in Trier geboren. Die Tochter eines Schulrats, fünftes von sieben Kindern, war begabt. Glänzendes Abitur, Lehrerinnenexamen, Staatsexamen mit Auszeichnung 1917, Promotion 1919 zur Doktorin der Philosophie summa cum laude – all das versprach eine große wissenschaftliche Karriere.

Als junge, patriotische Rheinländerin meldete sie sich im Kriegssommer 1918 zum »vaterländischen Hilfsdienst« bei der kaiserlichen Armee, wurde als Referentin für den »Vaterländischen Unterricht« in das Hauptquartier der Dritten Armee berufen, um den Kampfgeist der Truppen aufrechtzuerhalten. Sie kehrte als Kriegsgegnerin zurück. Das Eiserne Kreuz lehnte sie 1919 ab. Die Aussöhnung mit dem »Erbfeind Frankreich« wurde ihr Herzenssache.

In der Weimarer Republik wirkte sie als Lehrerin in einer privaten Mädchenschule in Bonn und in einem Saarbrücker Lyzeum und veröffentlichte 1925 ein Buch über den Schriftsteller Romain Rolland. Sie engagierte sich in der Kirche, wurde unter anderem zweite Vorsitzende des Friedensbundes Deutscher Katholiken und nahm an Frauen- und Friedenskongressen teil. Wegen Kritik an den antisemitischen Übergriffen wurde sie 1933 suspendiert und 1935 entlassen. Eine private katholische Mädchenschule in Kerpen-Horrem im Rheinland engagierte sie ab 1940 trotz ihrer Gegnerschaft zum Naziregime als Direktorin.

Nach dem Kriegsende 1945 wurde sie als Professorin für Geschichtspädagogik an die Pädagogische Akademie Bonn berufen, wo Grund- und Hauptschullehrer ausgebildet wurden. Die Nazidiktatur und die Friedensfrage nahmen in ihrem Unterricht breiten Raum ein.

1947 gründete die Großtante des Regisseurs Rainer Werner Faßbinder die internationale Organisation Mouvement Mondial des Mères (Weltbewegung der Mütter) in Paris mit, 1952 die westdeutsche Frauenfriedensbewegung WFFB, deren Herz und Motor sie war. »Seid wachsam! Seid kritisch! Zeigt Zivilcourage!« war ihre Losung. Ziel der WFFB war es, die Wiederaufrüstung und die Einbindung der Bundesrepublik in die NATO zu verhindern und eine Verständigung zwischen Ostblock und dem Westen bzw. zwischen BRD und DDR zu erreichen. In diesem Sinne beteiligte sie sich 1952 auch an der Gründung der christlich-pazifistisch orientierten Gesamtdeutschen Volkspartei von Gustav Heinemann und Helene Wessel.

In der WFFB- Zeitschrift Frau und Frieden, deren Mitredakteurin sie war, packte Faßbinder heiße Eisen an. Sie setzte sich für die Verständigung und Freundschaft mit Frankreich und dem Osten ein, geleitete die ersten Frauengruppen nach Moskau, Warschau und Paris, besuchte die Gedenkstätten für die faschistischen Verbrechen im französischen Oradour, in Auschwitz und Majdanek in Polen sowie im tschechischen Lidice.

Das politische Engagement der ebenso streitbaren wie friedfertigen Friedensaktivistin hatte Folgen: 1953 wurde sie ihres Amtes als Professorin enthoben und 1954 ohne Rechtsgrundlage in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Beschuldigt, eine verkappte Kommunistin zu sein, antwortete sie: »In Moskau weiß man, dass ich eine unverbesserliche Christin bin, da sollte man es in Bonn nicht wissen?« Zugleich stellte sie klar, sie arbeite »natürlich und selbstverständlich mit Kommunisten zusammen, wenn es die Sache erfordert«. Sie reiste mehrmals in die Sowjetunion. Bei den Weltfestspielen der Jugend 1957 in der Hauptstadt der UdSSR gefielen ihr »Hammer und Sichel (als) schöne Symbole für die arbeitenden Menschen, sinnvoller als die Raubvögel, die bisher so oft Zeichen des Herrscherwillens gewesen seien«. Zuletzt engagierte sie sich für die Befreiung Vietnams, die sie aber nicht mehr erleben sollte.

Seit 2001 gibt es eine internationale und interdisziplinäre Klara-Faßbinder-Gastprofessur zur Frauen- und Geschlechterforschung in Mainz.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. Februar 2015


Kirchen und Frieden

Kirchen und Frieden (Beiträge vor 2014)

Friedensbewegung

Friedensbewegung (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage