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Der Spagat: Evangelische Kirchenführer in Afghanistan

"Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein" - "Wir wollen den Soldaten zeigen: Wir stehen als Kirche an eurer Seite"

Margot Käßmann hat es nicht getan. Ihr Nachfolger im Amt, der EKD-Vorsitzende Nikolaus Schneider tat es: Er flog nach Afghanistan, besuchte ein deutsches Militärlager - und findet das Tun der Soldaten "ethisch hinnehmbar". In einem "Offenen Brief" an Herrn Schneider und an den Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland, Renke Brahms aus Bremen, der mit Schneider und dem evangelischen Militärbischof Dutzmann die Reise nach Afghanistan antrat, forderte das Bremer Friedensforum die drei dazu auf, die Reise nicht zu unternehmen. Zur Begründung heißt es in dem Schreiben, die Reise diene allein der Legitimierung des Krieges. Dies wiederum wies eine evangelische CDU-Politikerin weit von sich: „Der Vorwurf, die Kirchenvertreter würden mit ihrer Reise den Militäreinsatz unterstützen, ist haltlos."

Aber eben genau dies haben die "Kirchenvertreter" getan. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (Ausgabe vom 5. Feb.) bilanziert EKD-Vorsitzender Schneider seinen Truppenbesuch. Er fand viel mehr "Positives", als er gedacht hätte, vertraut Schneider seinem Gesprächstpartner an und erwähnt als Gipfel des Fortschritts ein "Frauenhaus" in Masar-i-Scharif "für Opfer häuslicher Gewalt". Und die Bundeswehr gibt den Hilfsorganisationen "einen Raum, in dem sie sich geschützt bewegen können". Das muss so beeindrucken d für Schneider gewesen sein, dass er den Begriff "Sicherheit" "neu zu verstehen gelern" habe. Die zivilen Helfer brauchen "den Schutz des Militär" - "noch", wie er entschuldigend einschränkt. Auf die Frage, ob die Soldaten in Afghanistan die ethischen Bedenken der Kirche nicht als "Delegitimierung ihres Handelns" wahrnehmen könnten, stellt Schneider schneidig fest: "Durch unseren Besuch wollen wir unseren Soldaten zeigen: Wir stehen als Kirche an eurer Seite, ihr gehört zu uns." Zwei Sätzte weiter schränkt er wieder ein, dass die Kirche den Krieg nicht rechtfertige. "Der Satz 'Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein', bleibt gültig."

Diese Zerrissenheit in der Argumentation des EKD-Vorsitzenden setzt sich fort, wenn er über das ethische Dilemma der Soldaten spricht, im Gefecht auch töten zu müssen. "Im Krieg kommt man an schuldhaften Situationen nicht vorbei." Das sei eben der Job der Soldaten, wirft der Fragesteller ein, worauf Schneider antwortet: "So ist es, und sie tun ihn im Auftrag unseres Landes - letztlich in unser aller Auftrag." - Bisher war mir nicht geläufig, dass ein "Land" irgend jemandem den Auftrag zum Töten erteilt; es waren doch immer Regierungen, die ihre Armeen in Kriege schickten; und es waren immer militärische Befehlshaber, die ihre untergebenen Soldaten ins Gefecht schickten. Das "Land" ist also offenbar eine über der Gesellschaft stehende Autorität, gegen die kein Einspruch möglich ist, fast so als sei es göttlicher Wille. Aber Herr Schneider rudert im nächsten Satz schon wieder zurück - und wieder nach vorn: "Ohne militärische Gewalt als solche zu rechtfertigen, halte ich das konkrete Vorgehen der Soldaten in Afghanistan für ethisch hinnehmbar." Merke: Das Abstraktum Krieg ("als solches") ist nicht zu rechtfertigen - aber der konkrete Krieg ist es durchaus.

Angesichts solcher Denkkapriolen ist der EKD-Vorsitzende über jeden Verdacht erhaben, göttliche Weisheit mit großen Löffeln zu sich genommen zu haben. Dies wir auch deutlich in seiner Antwort auf die Frage des Journalisten, ob der Truppenbesuch "von Muslimen als eine Art Kreuzritter-Mission wahrgenommen" werden könnte. Schneider: "Wer uns böse will, mag das sagen. Aber das ist natürlich dummes Zeug." Punktum! Auch wir schließen die Akte Schneider und bedauern zutiefst die evangelische Christenheit, die Käßmann verloren und Schneider bekommen hat.

P. Strutynski


Im Folgenden dokumentieren wir:

Kirchendelegation bei Bundeswehr

EKD-Vorsitzender Schneider in Afghanistan *

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, ist mit einer kleinen Delegation zu Besuch im Bundeswehrlager in Masar-i-Scharif, zusammen mit dem evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann und dem EKD-Friedensbeauftragten Renke Brahms.

Zusammen mit 60 deutschen Soldaten feierte EKD-Chef Schneider in Masar-i-Scharif einen Gottesdienst. »Wir sind gekommen, um zu sagen: Wir stehen dazu, dass Sie unsere Leute sind, Sie sind unsere Gemeindeglieder hier. Und ordentliche Pfarrerinnen und Pfarrer besuchen ihre Leute«, sagte Schneider zu Beginn seiner Predigt. Er mahnte die Soldaten, sich nicht zu Hass auf den Gegner hinreißen zu lassen – »denn meine Würde als Mensch zu wahren gelingt nur, wenn auch die Würde des anderen gewahrt bleibt«.

Präses Schneider berichtete von den Gesprächen, die er zuvor mit Soldaten geführt hatte: »Ich habe von Ihnen gehört, was es für Sie bedeutet, dass die politische Debatte im Bundestag über den Einsatz genutzt wird, um andere politische Spiele zu spielen – und Sie sozusagen im parteipolitischen Streit instrumentalisiert werden. Dafür sind Sie nicht hier. Dafür hält man seine Knochen nicht hin. Sie können sich darauf verlassen: Dazu werden wir etwas sagen.«

In Masar-i-Scharif sind im Camp Marmal rund 2500 Bundeswehrsoldaten stationiert. »Ich bin gekommen, um zuzuhören«, sagte Schneider. Ein Treffen mit dem Kommandeur des ISAF-Einsatzes im Norden von Afghanistan, Generalmajor Hans-Werner Fritz, steht auf dem Programm, ebenso ein Besuch im Feldlazarett bei den Sanitätern. »Wenn Sie unter Feuer stehen, wie können Sie da arbeiten?« fragte der Ratsvorsitzende einen Oberstabsarzt. »Man funktioniert«, lautete die Antwort. Das Rote Kreuz auf den Sanitätsfahrzeugen ist verschwunden, immer wieder hätten Taliban gerade danach Ausschau gehalten und die Sanitäter angegriffen. Auf den Transportpanzer Fuchs, mit dem die Sanitäter rausfahren, haben sie ein Maschinengewehr installiert.

Die neue Taktik für die Bundeswehr lautet: Wir drängen die Taliban aus den umkämpften Gebieten hinaus. Die Soldaten sprechen es aus: Wir töten. Ins Büro des evangelischen Militärpfarrers Michael Rhode kommen die Soldaten, die damit nicht zurechtkommen.

Für den Ratsvorsitzenden der EKD sind die wichtigsten Frage, die sich nach den ersten Begegnungen in Afghanistan ergeben: »Wie weit kann das neue Konzept des offensiveren Vorgehens der Bundeswehr zu einem Erfolg geführt werden? Und wie weit können wir als evangelische Kirche da ethisch mitgehen?«

Bei einem Bombenanschlag in der Provinzhauptstadt Kundus im nordafghanischen Einsatzgebiet der Bundeswehr sind unterdessen ein Mann und dessen zwei Söhne getötet worden. Wie die Polizei am Donnerstag mitteilte, war die Familie in einem Kleinlaster unterwegs, als ein am Straßenrand versteckter Sprengsatz explodierte. Für die Tat werden Kämpfer der radikal-islamischen Taliban verantwortlich gemacht.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2011


Der Zuhörer

Nikolaus Schneider - der Ratsvorsitzende der EKD besucht die ISAF-Truppe **

»Ich bin gekommen, um zuzuhören«, sagt Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche. Der 63-Jährige ist zusammen mit dem evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann und dem EKD-Friedensbeauftragten zu Besuch bei den Bundeswehrtruppen in Afghanistan. Im Gespräch mit Soldaten und Hilfsorganisationen wollen sich die Geistlichen selbst ein Bild machen vom ISAF-Einsatz, den der Bundestag vor einer Woche um ein weiteres Jahr verlängerte.

Man gewinnt den Eindruck, als wolle Schneider sich mit besonders vorsichtigen Äußerungen von seiner populären Amtsvorgängerin Margot Käßmann abgrenzen. »Nichts ist gut in Afghanistan«, hatte Käßmann in ihrer Weihnachtspredigt 2009 in Hannover gesagt, und: »Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden.« Sie löste damit eine große Debatte aus. Eine Einladung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in das Kriegsgebiet nahm sie nicht wahr.

Schneider, seit 2003 auch Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, hatte Käßmanns Amt nach deren Autofahrt unter Alkoholeinfluss zunächst kommissarisch übernommen. Als er im November vorigen Jahres offiziell von der Synode der EKD zum Ratsvorsitzenden gewählt wurde, kündigte er an, sich wie Käßmann keineswegs nur in kirchlichen Belangen äußern, sondern sich auch bei politischen Themen einmischen zu wollen. In der Folge kritisierte er etwa die Energiepolitik der Regierung und die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze. Doch den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr scheint Schneider derzeit nicht grundsätzlich in Frage zu stellen: »Wie weit kann das neue Konzept des offensiveren Vorgehens der Bundeswehr zu einem Erfolg geführt werden? Und wie weit können wir als evangelische Kirche da ethisch mitgehen?«, fragte er sich nach Informationen von epd an seinem ersten Besuchstag bei der Truppe.

Sich einzumischen versprach Schneider den Soldaten, wenn die politische Debatte im Bundestag über den Einsatz genutzt werde, um andere politische Spiele zu spielen. »Dafür sind Sie nicht hier. Dafür hält man seine Knochen nicht hin. Sie können sich darauf verlassen: Dazu werden wir etwas sagen.« Regina Stötzel

** Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2011


"Letztendlich unterstützen Sie mit Ihrer Reise den Krieg in Afghanistan"

Offener Brief: Friedensforum rät von Afghanistan-Reise ab

BREMEN. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms, beabsichtigt zusammen mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Schneider und Militärbischof Dutzmann den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan einen Besuch abzustatten. Aus diesem Anlass richtete das Bremer Friedensforum einen Offenen Brief an Renke Brahms mit der Bitte: "Sagen Sie diese Reise ab!"

Der Offene Brief hat folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Brahms,

kürzlich haben Sie als Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitgeteilt, dass Sie an einem nicht genannten Termin mit dem Ratsvorsitzenden der EKD Nikolaus Schneider und dem evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann nach Afghanistan fliegen werden. Sie drei Repräsentanten der EKD verstehen diesen Besuch als eine "Pastoralreise", um den deutschen Soldaten ein positives Signal zu geben und nahe bei den Menschen zu sein.

Auf dem Besuchsprogramm stehen offenbar nicht die afghanischen Opfer von Kundus. Wenn Sie ihnen nicht ein positives Signal menschlicher Nähe geben wollen, wird diese Reise zu einer Heuchelei. Im Grunde ist sie nichts anderes als Ausdruck kirchlicher Unterstützung der deutschen Interventionspolitik mit vorzugsweise militärischen Mitteln. Der Krieg, der gegen die Afghanen seit nunmehr über neun Jahren geführt wird, hat nicht nur viele Tote und Verletzte gebracht, nicht nur Flüchtlingsströme mit entsprechendem Elend hervorgerufen, sondern die gesamte Lage Afghanistans verschlechtert.

Letztendlich unterstützen Sie mit Ihrer Reise den Krieg in Afghanistan, der wegen geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen geführt wird. Damit verbunden ist der politische Hochmut, den Menschen in Afghanistan Hilfe zu bringen.

Ihr Kollege, der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, behauptet, dass die deutsche Gesellschaft den Soldaten ein hohes Risiko zumutet. Wer ist hier mit "Gesellschaft" gemeint? Die Mehrheit des deutschen Volkes ist schon lange für einen Rückzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Dass sie dort immer noch sind, missachtet diese Mehrheit.

In einer Zeit, in der immer mehr Politiker, auch im Bundestag, sich gegen den Krieg aussprechen, sollten Sie nicht an dieser Reise festhalten. Treten Sie bitte als Friedensbeauftragter nicht für diese unmenschliche Politik der jetzigen Regierung ein, sondern fordern Sie als Christ, dass Deutschland die Kriegsführung aufgibt und sich mit ausschließlich friedlichen Mittel dem afghanischen Volk zuwendet.

Sagen Sie bitte diese Reise ab!

Mit freundlichen Grüßen

Ekkehard Lentz
Sprecher Bremer Friedensforum"



EAK-Vorsitzende spricht sich für Truppenbesuch in Afghanistan aus

Die Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der Bremer CDU, Elisabeth Motschmann, spricht sich für den Besuch des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Renke Brahms in Afghanistan aus. Gleichzeitig äußert sie ihr Unverständnis über die Kritik des Friedensforums an der Pastoralreise. „Der Vorwurf, die Kirchenvertreter würden mit ihrer Reise den Militäreinsatz unterstützen, ist haltlos. Solche Äußerungen dienen allein der Stimmungsmache, haben aber mit einer sachlichen und verantwortungsvollen Auseinandersetzung nichts zu tun“, so Motschmann.

Die EAK-Vorsitzende erinnert daran, dass die Kirchenvertreter dem Einsatz in Afghanistan stets kritisch gegenüberstanden. Der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) will in Kürze mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider, und dem evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann in das Krisengebiet reisen. Es sei richtig, sich vor Ort ein Bild über die Lebensbedingungen der Bevölkerung sowie die Einsatzbedingungen der Soldaten und zivilen Aufbauhelfer zu verschaffen. „Statt Herrn Brahms öffentlich anzugreifen, sollten ihn die Mitglieder des Friedensforums einladen und sich von der Reise berichten lassen. Das wäre ein angemessener Umgang mit diesem sensiblen Thema. Ich wünsche ihm für den Besuch alles Gute und Gottes Schutz.“


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