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Mit Talar und Megafon

Friedenstifter und AKW-Gegner – Pfarrer Christian Arndt hat sich stets politisch eingemischt

Von Susann Witt-Stahl, Hamburg *

Protestantismus bedeutet für Hamburgs bekanntesten Pastor nicht zuletzt Protest gegen jede Komplizenschaft der Kirche mit den Mächtigen. Der Schwur »Nie wieder Krieg von deutschem Boden!« sei durch die Agenda »Nie wieder Krieg ohne uns!« ersetzt worden, beschreibt Christian Arndt deren gegenwärtige Politik.

Die Kadavertreue der evangelisch-lutherischen Kirche zu einer Regierung, die »Menschen- und Völkerrechte bricht« und »auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt«, macht den Antimilitaristen wütend. »Statt auf der Seite der Elenden und Verachteten dieser Welt zu stehen, ergreifen Sie die Partei derer, die als Kriegsverbrecher anzuklagen sind. Das ist für mich Missbrauch des christlichen Glaubens!«, hatte er den Bischöfen in seiner diesjährigen Ostermarschrede vorgeworfen.

Arndt legte noch nach und verfasste einen offenen Brief an die Kirchenleitung und alle Christen der Nordelbischen Kirche (ND berichtete). Dass die ihre Gemeinden dazu aufgerufen hatte, für die Tornado-Piloten der Bundeswehr am Himmel über Afghanistan zu beten, ist für ihn nichts anderes als das »alte Waffensegnen« und »eine Fortführung der blutigen Tradition deutscher lutherischer Kriegstheologie«. Der Abscheu vor ihren politischen Folgen gehört zur Matrix von Arndts Lebensgeschichte.

Der Arzt-Sohn wurde 1943 in Neubrandenburg geboren. Auf der Flucht vor der anrückenden Roten Armee landete seine Familie in einem dänischen Hafen. Nach drei Jahren Internierung kehrte sie nach Deutschland zurück. Der Vater fand Arbeit in einem Krankenhaus des Roten Kreuzes in einem kleinen Ort zwischen Cuxhaven und Bremerhaven.

Antikommunistisches Elternhaus

Arndt besuchte das Gymnasium. In einem kirchlichen Schülergesprächskreis las er Brecht-Stücke und kam zum ersten Mal mit fundamentaler Gesellschaftskritik und der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in Berührung. »Für mich war das etwas vollkommen Neues. Ich war von meinen Eltern und Lehrern, die fast alle aus der DDR kamen, zum militanten Antikommunismus erzogen worden«, beschreibt er das Aroma seiner Jugend in der Adenauer-Ära.

1965 nach dem Abitur verließ er das Elternhaus und studierte Theologie in Heidelberg. Er las Rolf Hochhuths »Stellvertreter« – eine schonungslose Abrechnung mit dem Schweigen des Klerus zum NS-Völkermord. An der Universität beteiligte er sich an den Protesten gegen den Schah-Besuch, die Ermordung Benno Ohnesorgs, die Notstandsgesetze – allem, was die 68er-Generation umtrieb.

Sein Vikariat absolvierte er bei einem linken Pfarrer in Harburg – einem Hamburger Industriebezirk, der von heftigen Arbeitskämpfen in den Phoenix-Gummiwerken erschüttert war. 1972 wurde Arndt Mitglied der SPD. »Das war damals in Kirchenkreisen ein Tabubruch – ein Eintritt in die CDU hingegen wäre kein Problem gewesen, in die NPD auch nicht.«

Eines Tages erfuhr er von einer seit Jahren unbesetzten Pfarrstelle in der Friedenskirchen-Gemeinde auf St. Pauli. Er nahm sie an. Es folgten bewegte Jahre. 1976 die Proteste gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf. Die Springer-Medien skandalisierten ein Foto, das Arndt und drei Amtskollegen zeigt, wie sie von einem Leiterwagen mit Megafon zu den Kernkraftgegnern sprechen. Eines Tages wurde er festgenommen und in eine Polizeiwanne verfrachtet. »Hinter mir saß ein Mann im dunklen Lodenmantel – ein Polizeiseelsorger. Da wurde mir klar, dass beide Extreme in der Kirche vertreten sind.« Unangenehme Bekanntschaft mit der Staatsgewalt sollte Arndt zehn Jahre später noch einmal machen: Er erlebte das Trauma des Hamburger Kessels (800 Anti-AKW-Demonstranten wurden bis zu 13 Stunden auf engstem Raum unter freiem Himmel festgehalten) – von innen.

Nach dem NATO-Doppelbeschluss war in den Kirchengemeinden eine heftige friedenspolitische Diskussion entbrannt. »Das bestärkte mich in meiner Forderung: Alle Christen müssen den Wehrdienst verweigern!« 1981 erlebte Hamburg eine der größten Demonstrationen in der Stadtgeschichte: 120 000 Menschen waren zum Kirchentag gekommen. Nicht wenige, um Verteidigungsminister Apel auszupfeifen. »Heute spielen Bundeswehrkapellen auf den Kirchentagen«, so Arndts nüchterne Bestandsaufnahme der Gegenwart.

Er übt auch scharfe Kritik an dem Militärseelsorgevertrag von 1957. Damit sei »die evangelische Kirche bis heute ein Teil des militär-ideologischen Komplexes«, prangert Arndt an. Die Ausweitung des Kontrakts sei den Kirchen in den neuen Bundesländern 2004 aufgezwungen worden. »Dass in der ehemaligen DDR eine Verbindung zwischen Armee und Kirche abgelehnt worden war, passte der Kohl-Regierung und ihren Hofpropheten nicht.«

Der Geistliche betätigte sich auch innenpolitisch als Friedensstifter. Die 1980er-Jahre in Hamburg waren erheblich geprägt von den bürgerkriegsähnlichen Straßenkämpfen zwischen der Polizei und der autonomen Hausbesetzer-Szene in der Hafenstraße auf St. Pauli. Der linke Pastor hatte sich schon seit Jahren mit den Anwohnern gegen Spekulanten und Mietwucher solidarisiert. Er gewann rasch das Vertrauen der Hausbesetzer. Nicht ohne Folgen: Hatte die Boulevardpresse, »mediale Hofschranzen«, wie Arndt sie nennt, ihn vorher schon als »roten Pastor« gebrandmarkt – nun stellte sie ihn unter Terrorismus-Verdacht.

Als 1987 die Lage zu eskalieren drohte und die Räumung der Häuser bevorstand, trat der Pastor an der Seite des Mäzens Jan-Philipp Reemtsma als Vermittler auf. »Als Barrikaden gebaut wurden, war ich zunächst entsetzt«, gesteht Arndt, der sich rigoros weigert, Gewalt als Argument anzuerkennen, aber kein Pazifist ist (»Nicht zuletzt der Vietnamkrieg hat mir vor Augen geführt, dass bewaffneter Widerstand manchmal unvermeidbar ist«). »Heute muss ich sagen, dass nur diese Maßnahme und die Einsicht von Bürgermeister Dohnanyi zu einer friedlichen Lösung geführt hat.«

1996 tauchte der Name des Pastors noch einmal in den Schlagzeilen auf: »Eines Tages riefen mich die Entführer von Jan-Philipp Reemtsma an und fragten in seinem Auftrag, ob ich bereit sei, das Lösegeld zu übergeben.« Arndt zögerte nicht: »Ich habe sofort zugesagt – da gab es keinen Entscheidungsspielraum für mich.«

Dorn im Auge der »Hofpropheten«

Danach hat der Medienrummel um den evangelischen Don Camillo nachgelassen. Den Spiegel hält er seinen konservativen Amtsbrüdern und Vorgesetzten bis heute vor. Ein Dorn im Auge der »Hofpropheten« ist er schon lange: »Er sieht in erster Linie den Menschen. Wir haben aber in erster Linie Gott zu verkünden«, empörte sich 1989 ein Vorstandsmitglied seiner Gemeinde über Arndts bedingungslose Menschenliebe in der Wochenzeitung »Die Zeit«. Die bescheinigte dem dissidenten Pfarrer eine »Amtsauffassung« bestehend aus »großstädtischer Befreiungstheologie und Kriseninterventionismus«.

Die in Südamerika entstandene katholische Theologie der Befreiung war Arndt bereits als jungem Pfarrer in Fleisch und Blut übergegangen. Dazu gehörte die historisch-materialistische Rezeption biblischer Schriften: »Wir haben sie im geschichtlichen Kontext der sozialen Kämpfe gelesen«, erklärt Arndt. Zur Pflichtlektüre zählen für ihn aber auch die Schriften von Karl Marx und Rosa Luxemburg: »Ihre Analysen des Imperialismus treffen punktgenau auf die gegenwärtige Situation zu.« Der Satz »Die Erde ist Gottes« bedeute, »die Menschen dürften gar keinen Grund und Boden erwerben, sondern müssten alle Schätze dieser Erde gerecht teilen« – eine Forderung, die den Kapitalismus ins Mark trifft.

Kein Wunder, dass die Nordelbische Kirchenführung ihn lieber heute als morgen schassen wollte. Sie scheiterte aber stets am Widerstand der Basis in seiner Gemeinde, wo der umtriebige Gottesdiener bis heute große Sympathie genießt. 1998 war Arndt von den Konflikten mit seinen Dienstvorgesetzten so zermürbt, dass er der Versetzung auf eine für ihn geschaffene Sonderpfarrstelle im benachbarten Schanzenviertel zustimmte.

Seit 2003 befindet sich Christian Arndt im vorzeitigen Ruhestand – freiwillig. Zur Ruhe gekommen ist das Linkspartei-Mitglied – der Sozialdemokratie hatte er bereits Mitte der 1980er-Jahre den Rücken gekehrt – deshalb noch lange nicht. Arndt ist Initiator des Projekts Sirnak für kurdische Flüchtlingskinder und arbeitet in einem Trägerverein für Drogeneinrichtungen.

Er wandert weiter auf den Spuren des »Stellvertreters«: In Hochhuths Trauerspiel nimmt ein Pater die Pflichten auf sich, die die verantwortlichen geistlichen Würdenträger abgeschüttelt haben: Den Entrechteten und Verfolgten in höchster Not beizustehen – für jemanden, der einen »politischen Straftäter« zu seinem Vorbild erkoren hat, ein kategorischer Imperativ. »Jesus war ein Aufrührer, der gegen Unterdrückung gekämpft hat.« Die gegenwärtig herrschende Theologie kann Arndt nur als Verhöhnung von Gottes Sohn wahrnehmen: »Hätte er damals danach gelebt, wäre er niemals am Kreuz, sondern als alter Mann im Bett gestorben.«

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2010


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