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Streitfrage: Sollte in Deutschland die Burka verboten werden?

Es debattieren: Lale Akgün, ehem. Islambeauftragte der SPD-Fraktion, und Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland

Am 11. Juni 2010 erschienen im "Neuen Deutschland" zwei kontroverse Beiträge zur Frage eines Burkaverbots in Deutschland, die wir im Folgenden dokumentieren.

Den Fundamentalisten auf den Leim gegangen

Von Lale Akgün *

Wer sich die westeuropäische Burka-Debatte der letzten Monate anschaut, gewinnt den Eindruck, als stünde in Frankreich, Belgien, Österreich, Italien und Spanien die Demokratie auf dem Spiel: Die Gegner des Burka-Verbotes sehen in den angestrebten gesetzlichen Regelungen in Frankreich und Belgien eine Bedrohung der freiheitlichen und pluralistischen Demokratie und stilisieren das Tragen der Burka zum Symbol für die Gleichberechtigung des Islam.

Das Burka-Verbot als Bedrohung für die Demokratie? Ist die westliche Staatengemeinschaft nicht im Namen von Demokratie und Menschenrechten in Afghanistan präsent? Feierte sie es nicht gerade als einen ihrer größten Erfolge, das Taliban-Regime gestürzt zu haben? Waren es nicht diese Taliban, welche die afghanischen Frauen zum Tragen der Burka gezwungen hatten? Und hatten wir nicht die Aufhebung dieses Zwangs als großen Erfolg für die Gleichberechtigung der Frauen in Afghanistan gefeiert?

Nun soll, im genau umgekehrten Sinn, das Tragen der Burka auf einmal das Symbol von Gleichberechtigung und Freiheit der Muslime in Europa darstellen? Der Blick auf Afghanistan offenbart unverblümt die Doppelzüngigkeit dieser Debatte - auf allen Seiten.

Etwas kann an der vorgebrachten Argumentation gegen das Burka-Verbot also nicht stimmen. Das, was daran verkehrt ist, ist die religiöse Lesart des »Symbols« Burka. Wenn man die Burka schon als Symbol bezeichnet - was ich angesichts der Tatsache, dass sie für viele Frauen auf der Welt eine traurige Realität ist, als Hohn empfinde - dann muss man es aber auch richtig zuordnen.

Die Burka ist kein Symbol des islamischen Glaubens, sondern ein Symbol des islamischen Fundamentalismus. Eines Fundamentalismus, der nichts von der Gleichberechtigung von Mann und Frau und von den Menschenrechten hören will. Das ganze wird noch fraglicher, wenn man sich vor Augen hält, dass die Burka eine vorislamische Tradition hat und möglicherweise schon im 1. oder 2. Jahrhundert n. Ch. in Teilen der heutigen arabischen Welt getragen wurde. Sie wurde damals von Frauen und Männern getragen und hat dabei als Schutz vor Staub und Sand gedient. Für die Frauen stellte sie auch einen Schutz vor sexuellen Übergriffen durch rivalisierende Stämme dar.

Der oberste ägyptische islamische Gelehrte, Scheich Muhammad Tantawi, rief daher im vergangenen Oktober dazu auf, den vorislamischen Niqab, die z. B. in Pakistan übliche Variante des Ganzkörperschleiers, durch das islamische Kopftuch zu ersetzen. Aus religiösen Gründen wohlgemerkt.

Liberale islamische Theologen gehen da noch viel weiter, sie bezweifeln, ob der Schutz der Frau, wie er im Koran vorgesehen ist, heutzutage noch durch eine bestimmte Bekleidungsform gewährleistet werden muss, oder ob nicht die Stärkung der Frau durch eine gute Bildung oder durch mehr Gleichberechtigung einen viel besseren Schutz darstellen könnte.

All das zeigt: Um das Recht auf religiöse Selbstbestimmung kann es in der Burka-Debatte nicht gehen. Wer das glaubt, geht den Fundamentalisten auf den Leim.

Den Kern sollte vielmehr das Recht der Frau auf Selbstbestimmung und die Laizität des Staates darstellen. Darauf weist auch der bisherige Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt, hin, wenn er sagt, dass es mit Religionsfreiheit nicht zu rechtfertigen ist, wenn eine Frau daran gehindert wird, ihr Gesicht zu zeigen. Das hat nichts mit Paternalismus und »Zwangsemanzipation« zu tun, sondern mit echter Gleichbehandlung.

Ein Argument, mit dem das Tragen der Burka hingenommen werden soll, lautet, dass nur wenige Frauen die Burka tragen. Dieses Argument ist hinfällig, denn unser Rechtssystem bezieht sich auf das Individuum. Jeder Mensch und jede Frau ist gleich viel wert und verdient es, gleichberechtigt zu leben. Sichtbare Unterdrückung von Frauen kann doch nicht hingenommen werden, nur weil es nur wenige Frauen betrifft.

Nun gibt es ja von Seiten der Burkabefürworter ein weiteres Argument. Sie behaupten, die burkatragenden Frauen würden bei einem Verbot überhaupt nicht mehr das Haus verlassen dürfen. Denen möchte ich entgegnen, dass diese Frauen ihr Haus ganz bestimmt nicht verlassen, denn die Burka ist ein sichtbarer »Haus«-Ersatz.

Deutlicher als durch die Burka kann die Isolation einer Frau, aber auch die Ablehnung unseres gesellschaftlichen Konsenses, was Kommunikation angeht, nicht demonstriert werden. In unserer Gesellschaft ist es üblich, dass Männer wie Frauen ihr Gesicht zeigen; wir erkennen einander, wir lächeln uns an, wir begrüßen uns in der Öffentlichkeit, wechseln ein paar Worte und das auch mit fremden Menschen. Wenn eine Frau in der Öffentlichkeit keinen Kontakt aufnehmen will, weil sie uns ihr Gesicht vorenthält, ist sie im öffentlichen Raum nicht anwesend. Sie ist und bleibt in ihrem »Haus«, der Burka, die schlicht und einfach ein Ganzkörpergefängnis ist. Dass Frauen sich nicht mehr nur im häuslichen Raum, dem Platz, den ihnen die Männer über Jahrhunderte zwangsweise zugedacht hatten, aufhalten dürfen, sondern sich selbstbewusst im öffentlichen Raum bewegen und ein selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens werden - das war eine der ersten und wichtigsten Forderungen der modernen Frauenbewegung.

Deshalb spreche ich mich für ein Burka-Verbot aus. Gerade als Demokraten sollten wir jedoch das Maß wahren. Ich respektiere die gesellschaftliche Freiheit des öffentlichen Raumes. Wenn Frauen mit einer Burka auf die Straße gehen wollen, ist das ihre private Sache. Eine Lösung, wie sie in Belgien, Frankreich, Kanada und in der spanischen Stadt Lerida gefunden wurde, die das Tragen von Burkas in öffentlichen Gebäuden wie Ämtern und Schulen sowie in sicherheitsrelevanten Einrichtungen wie Flughäfen oder Bahnhöfen verbietet, halte ich im Hinblick auf das Laizitätsgebot für adäquat.

Stellen wir also die Debatte vom Kopf auf die Füße, nehmen wir unsere eigenen Werte ernst, nicht nur in Afghanistan, sondern auch zu Hause, und halten wir uns vor Augen: Die Burka ist kein religiöses Symbol und somit kann ein Burka-Verbot auch keine Abkehr vom Prinzip der religiösen Gleichbehandlung darstellen. Im Gegenteil, gerade die Forderung nach der Wahrung demokratischer Werte macht ein Verbot der Burka im öffentlichen Raum notwendig.

* Lale Akgün, 1953 in Istanbul geboren, war von 2002 bis 2009 Abgeordnete des Bundestages. Sie war stellvertretende Europa- und Migrationspolitische Sprecherin sowie Islambeauftragte der SPD-Fraktion. 2008 veröffentlichte Lale Akgün das Buch »Tante Semra im Leberkäseland«.


Wasser auf die Mühlen der Radikalen

Von Aiman Mazyek **

Amnesty International forderte die Pariser Abgeordneten auf, den Gesetzesentwurf über ein vollkommenes Verbot der Burka in der Öffentlichkeit zurückzunehmen. Auch wenn das Tragen der Burka oder Vollverschleierung (Niqab) von vielen Menschen abgelehnt und von den meisten Muslimen nicht befürwortet wird - nicht zuletzt, weil es kein theologisches Gebot darstellt -, sehen viele europäische Juristen für ein solches Verbot keine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage.

Eine temporäre Aufhebung dieser Kleidungsform bei polizeilichen Kontrollen oder bei prüfungsähnlichen Situationen in der Schule und Uni sollte möglich sein, weil hier der eindeutige Identitätsnachweis erforderlich ist. Aber ein vollkommenes Verbot der Burka in der Öffentlichkeit - Belgien hat es bereits ohne Not beschlossen - stößt zurecht auf scharfe Kritik europäischer Staatsrechtler und Menschenrechtsorganisationen.

Manche mögen die Burka oder Vollverschleierung ablehnenswert und ihr Aussehen unangenehm empfinden - ich selber gehöre auch dazu -, aber dieses rechtfertigt dann nicht, dass ich Freiheitsrechte einfach einschränken kann. »Das Unbehagen einer Person darf noch lange nicht dazu genutzt werden, um Einschränkungen von Freiheitsrechten einer anderen zu rechtfertigen«, sagte John Dalhuisen, Experte bei Amnesty International für Diskriminierungen in Europa.

Es gibt parteipolitische Voten, insbesondere aus dem rechtspopulistischen oder aber auch dem »liberalen Spektrum«, wie z. B. das der FDP-Europa-Vorsitzenden Silvana Koch-Mehrin oder des integrationspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, die das belgische Verbot gerne auch in Deutschland umgesetzt sehen wollen. Das hieße konkret, dass sich die Ordnungsmacht anschickt, gleichsam einer Religionspolizei in den Straßen Burkas auszumachen und die Trägerinnen dann mit einer saftigen Geldstrafe (in Belgien ist von 150 Euro die Rede) versieht. Ein absurdes Spektakel und in meinen Augen mit einem freiheitlich-demokratischen Verständnis unvereinbar. Zudem gibt es in Deutschland nach Schätzung des ZMD nicht mehr als Hundert solcher »Exemplare«.

Frankreichs Regierung argumentiert, das Verbot sei notwendig, um Frauen davor zu bewahren, zum Tragen dieser Kleidung gezwungen zu werden. Aber durch Verbote Zwänge abzuschaffen, hat nie funktioniert. Und diejenigen, die nun die Befreiung der Frau im Munde führen, müssen wissen - unterstellen wir einmal, dass all diese Frauen gegen ihren Willen die Burka tragen und von ihren Männern dazu gezwungen werden -, dass diese damit erst recht und restlos aus der Mitte der Gesellschaft verbannt werden. Denn als Folge - Zwang weiter unterstellt - wird der Mann sie zukünftig nur noch wie einen Vogel im Käfig zu Hause halten. Welch' integrationspolitischer Gau.

Natürlich ist kategorisch nicht auszuschließen, dass auch Zwang im Spiel sein kann, aber wir wissen nach einschlägigen Interviews, das viele dieser Frauen - zumal in Europa - Ganzkörperschleier freiwillig tragen. Ob uns das nun gefällt oder nicht, und obgleich es von den meisten Muslimen abgelehnt wird und diese Tradition kein theologisches Gebot im Islam darstellt.

Dazu gibt es in Dänemark eine empirische Untersuchung unter den Muslimen, die zu ähnlichem Ergebnis kommt. Sie ist seitens der Rechts-Mitte-Regierung interessanterweise klammheimlich - aber am Ende erfolglos - unter Verschluss gehalten worden. So wurde versucht, die Selbstverständlichkeit, dass die Burka kein muslimisches Kleidungsstück ist, einer breiten Öffentlichkeit unzugänglich zu machen. Warum? Etwa, weil die Burka sich hervorragend als Abgrenzungssymbol eignet - ein Schelm, der dabei Böses denkt.

Wir brauchen keine Verbotskultur, wir brauchen eine Kultur der Anerkennung und des Herausarbeitens von Gemeinsamkeiten. Das habe ich in den vergangenen Wochen immer wieder öffentlich betont. Und es geht bei der Burka-Diskussion ohnehin mehr um Befindlichkeiten in unserer Gesellschaft, um die Frage, wie sie mit Vielfalt, mit Andersartigkeit und mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität umgeht. Diese Vielfalt ist zwar bereits Realität, aber kriegen wir es auch hin, dass die viel beschworene Toleranz und in den Sonntagsreden stets zitierte Gelassenheit auch in den Köpfen der Entscheider aus Politik, Verwaltung und Medien Einzug hält?

Wenn nicht, erleben wir wie in Frankreich bald ähnliche Gespensterdebatten um die Burka, die letztlich Wasser auf die Mühlen der Radikalen, der Rechten sind. Diese Radikalen - hüben wie drüben (ich schließe die muslimischen nicht aus) - instrumentalisieren solche und andere Debatten (Minarettverbot), um so wiederholt »den Untergang des Abendlands« oder wahlweise die »Dekadenz des Westens« heraufzubeschwören.

Ich frage mich irritiert: Was ist los mit den Ländern der Aufklärung von Kant über Rousseau bis zu Lessing und Heine? Warum diskutieren in ehrwürdigen Hallen des Parlament der Grande Nation Abgeordnete ein so marginales Thema? Haben sie dies nötig? Ein Großteil der öffentlichen Debatte in Frankreich über die Burka hat sich auf die Notwendigkeit zur Verteidigung der republikanischen Werte fokussiert. Doch die so wichtigen Werte »Egalité, Liberté, Fraternité« (Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit) der Aufklärung fördert man keineswegs durch diskriminierende Beschränkungen Einzelner!

Und über künstliche Abgrenzungskriterien ist noch nie Sinnstiftendes oder gar wertestiftend Identität zustandegekommen. Das wissen doch die Herren und Frauen Abgeordneten? Doch wie so oft ersetzen plumpe Populistik und Polemik eine tiefere Debatte über Werte und Identität unserer postmodernen europäischen Gesellschaften, die wir eigentlich dringend brauchen.

Angeblich sollen diese Eskapaden unverzichtbar sein, weil man so die Islamisierung Europas zurückdrängen will? Wer's glaubt wird selig. Nicht selten beschleicht einen das Gefühl, dass diese Herrschaften eher Angst haben, auf liebgewordene Negativ-Stereotype und Vorurteile zukünftig verzichten zu müssen. Diese Wahrheit will man aber im wahrsten Sinne des Wortes hinter der Burka verschleiern. Nicht nur Muslime sollten deshalb gegen diese Burka-Diskussion protestieren, damit diese Alibi-Diskussion aufhört.

** Aiman Mazyek, Jahrgang 1969, ist seit 2006 Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZDM). Der Politologe, Publizist und ehemalige Kommunalpolitiker (FDP) leitet seit über 10 Jahren das bekannte Internetportal islam.de und war erster Sprecher des Islamischen Wortes im SWR.

Beide Beiträge aus: Neues Deutschland, 11. Juni 2010


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