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Gefängniszelle oder Religionsfreiheit?

Der Vorstoß, das Tragen der Burka zu verbieten, löst in Frankreich kontroverse Diskussionen aus

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Fünf Jahre nach der Verabschiedung eines Gesetzes, das das Tragen religiöser Zeichen in den Schulen verbietet, hat in Frankreich eine neue Debatte begonnen. Eine Parlamentskommission befasst sich nun mit dem Ganzkörperschleier für Frauen.

Seit der Diskussion um islamische Kopftücher in Frankreichs Schulen hat wohl kein Thema die Öffentlichkeit, die Medien und die Politiker so kontrovers beschäftigt wie jetzt die Frage, ob die Burka (afghanische Bezeichnung) verboten werden soll. Angestoßen wurde die neue Debatte im Juni durch den kommunistischen Abgeordneten der Nationalversammlung André Gerin, Bürgermeister von Vénissieux bei Lyon, der warnend darauf aufmerksam machte, dass immer mehr Frauen aus muslimischen Familien nur noch mit dem Ganzkörperschleier auf die Straße gehen, der nur einen schmalen Sehschlitz oder ein gewirktes Gitter für die Augen frei lässt. Für Gerin ist die Burka »die Spitze des Eisbergs des islamistischen Fundamentalismus«. Nährboden für diese Rückkehr zum Obskurantismus sei die wirtschaftliche und soziale Krise, aber auch eine fortschreitende »moralische und kulturelle Verarmung«. Dem aufgeschlossenen und toleranten Islam wolle man die Hand reichen, aber die islamistischen Fundamentalisten gelte es in die Schranken zu weisen.

Der Antrag André Gerins, eine parlamentarische Untersuchungskommission zum Thema Burka zu bilden, wurde unverzüglich von 89 Abgeordnete aller Fraktionen unterzeichnet. Die Kommission wurde in Rekordzeit eingesetzt und hat inzwischen schon ihre Arbeit aufgenommen. »Dies ist kein Tribunal«, versichert der Abgeordnete Patrick Beaudoin von der rechten Regierungspartei UMP. Sein Parteikollege Thierry Mariani ist überzeugt: »Die Burka ist kein religiöses, sondern ein extremistisches Zeichen.« André Gerin will ein Verbot der Burka erreichen, möglichst für jegliches Erscheinen in der Öffentlichkeit, aber zumindest in Schulen und Behörden. In seiner Stadt sind schon mehrere hundert Frauen in dieser Weise tief verschleiert. »Selbst beim Anfertigen einen Ausweises weigern sich diese Frauen oft, ihr Gesicht zu zeigen«, sagt er.

Doch wer annimmt, dass es sich bei den Burka-Trägerinnen durchweg um Ausländerinnen handelt, der irrt. Die meisten sind zwar arabischer Herkunft, aber französische Staatsbürger. Bei so manchen handelt es sich um Konvertitinnen, die als katholische Mädchen aufwuchsen und zum Salafismus, einer besonders fundamentalistischen Richtung des Islam, übergetreten sind.

Die Haltung unter den französischen Muslimen zu der gegenwärtigen Burka-Diskussion ist stark gespalten. Ein Teil von ihnen, darunter auch Mohammed Moussaoui, Vorsitzender des Dachverbands der muslimischen Organisationen, zeigt sich »schockiert« über die Debatte und verurteilt, dass damit »der Islam und die Muslime in Frankreich an den Pranger gestellt werden«. Dagegen wendet sich Dalil Boubakeur, der hoch angesehene Rektor der Moschee von Paris, der die toleranten Kräfte unter Frankreichs Muslimen vertritt. Er betont, dass die Burka keiner religiösen Vorschrift entspricht und ein »Zeichen für das Fortschreiten des fundamentalistischen, rückwärtsgewandten Islam« ist.

Die Differenzen zu dieser Frage reichen bis in die Regierung. Staatssekretärin Fadela Amara, die selbst aus einer nordafrikanischen Familie stammt, ist überzeugt: »Wir müssen alles tun, um die Ausbreitung der Burka zu stoppen. Hier geht es nicht um Freiheit, sondern um Menschenwürde. Ich bin für ein konsequentes Verbot dieser wandelnden Gefängniszellen.« Zu dieser Frage musste auch der Präsident Stellung beziehen. »Das ist ein Zeichen der Versklavung und Erniedrigung der Frau«, betonte Nicolas Sarkozy kürzlich in seiner Rede vor den Parlamentariern. Doch dass sie verboten werden soll, hat er nicht gesagt, und sein Einwanderungs- und Integrationsminister Eric Besson gibt zu bedenken: »Man kann nicht das Auftreten der Menschen in der Öffentlichkeit reglementieren.« Im Unterschied zum Kopftuch sei die Burka kein religiöses Symbol, das den laizistischen Staat herausfordert. Ein Verbot komme schon wegen der verfassungsmäßig garantierten Persönlichkeitsrechte nicht in Frage.

Der Blick über Ländergrenzen zu den Nachbarn erweist sich als wenig hilfreich. In Italien kann man sich nur auf das »Vermummungsverbot« stützen, das 1975 auf dem Höhepunkt des Terrors der Roten Brigaden erlassen wurde. In den Niederlanden ist gerade erst ein Vorstoß im Parlament für ein Burka-Verbot gescheitert. In Belgien, wo es auch kein entsprechendes Gesetz gibt, können jedoch die Bürgermeister für ihre Kommunen verbindliche Regelungen erlassen. Viele greifen die Idee des Stadtoberhaupts einer Brüsseler Arbeitervorstadt auf, der zur Genugtuung der meisten seiner Bürger - darunter sehr viele Muslime - auf eine jahrzehntealte Polizeiverordnung pocht, wonach es bei Androhung von 150 Euro Strafe verboten ist, »sich außerhalb der Karnevalszeit maskiert in der Öffentlichkeit zu zeigen«.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2009


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