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Rechtsstaat ade? Sicherheitspaket II im Bundestag gegen Stimmen der FDP und der PDS verabschiedet

Mehrheit im Bundesrat (20 Dezember) ist gewiss - Die wichtigsten Regelungen - Und ein Kommentar

Am 14. Dezember hat der Bundestag das zweite Sicherheitspaket von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verabschiedet. Das umfangreiche Artikelgesetz ändert 17 Einzelgesetze und fünf Verordnungen. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wurde noch kurz vor den Schlussberatungen in einigen Punkten geändert. Damit wurde auf Forderungen der Länder und auf Kritik von Datenschützern reagiert. Die Änderungen, denen der Bundesrat am 20. Dezember aller Voraussicht nach auch zustimmen wird, sollen am 1. Januar 2002 in Kraft treten. Kritiker sehen durch die vielen Gesetzesänderungen den Rechtsstaat in Gefahr. Sehr deutlich drückt das Heribert Prantl in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung aus - wir dokumentieren daraus weiter unten ein paar Auszüge.
Im Folgenden haben wir eine Reihe von Gesetzesänderungen aus dem "Sicherheitspaket" zusammengestellt.


Abschiebung, Ausweisung, Einreise:
Die Ausweisungs-Gründe werden erweitert. So können auch Flüchtlinge, denen Abschiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zustehen würde, des Landes verwiesen werden, wenn sie die Sicherheit gefährden oder einer den internationalen Terrorismus unterstützenden Gruppe angehören. Sie können auch ausgewiesen werden, wenn "Tatsachen belegen, dass der Ausländer einer terroristischen Vereinigung" angehört. Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus.

Asylverfahren:
Die Stimme des Ausländers darf aufgezeichnet und gespeichert werden – zur Feststellung, wo er herkommt, wie es heißt. Ausweisungsgründe werden ausgeweitet. Fingerabdrücke und andere Identität sichernde Unterlagen werden künftig zehn Jahre aufbewahrt. Die Daten dürfen unter bestimmten Einschränkungen an ausländische Stellen weitergegeben werden.

Ausländergesetz:
Die Gründe für die Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung werden erweitert. Versagungsgrund ist künftig auch die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der deutschen Sicherheit. Ein Versagungsgrund besteht weiter dann, wenn "Tatsachen belegen", dass der Ausländer eine terroristische Vereinigung unterstützt. Die Tatsachen stellt die Behörde fest. Auch die Ausweisungsgründe werden erweitert.

Ausländerzentralregister:
Die Sicherheitsdienste dürfen künftig den gesamten Datenbestand in einem automatisierten Verfahren abrufen. Es soll auch die Religionszugehörigkeit von Ausländern gespeichert werden; die Angabe ist jedoch freiwillig. Eine Speicherung der ethnischen Zugehörigkeit entfällt.

Bundeskriminalamt (BKA):
Das BKA darf auch künftig nicht ohne konkreten Anfangsverdacht ermitteln, seine Kompetenzen werden aber ausgeweitet. Es kann "Daten zur Ergänzung vorhandener Sachverhalte" erheben. Diese Formulierung kann (nach umstrittener Ansicht) das Tor zu verdachtsunabhängigen BKA-Ermittlungen öffnen. Das BKA ist jetzt auch für die Verfolgung von Anhängern ausländischer Terrororganisationen zuständig und kann bei schweren Formen von Datennetzkriminalität ermitteln. Seine Zentralstellenfunktion wird gestärkt. Bei der Informations-Beschaffung muss das BKA nicht mehr den Weg über die Länderpolizeien gehen.

Bundesgrenzschutz (BGS):
Der BGS soll generell Ausweise kontrollieren dürfen. Bisher war dies nur eingeschränkt möglich. Außerdem wird das Einsatzgebiet von bisher 30 auf 50 Kilometer im Grenzgebiet ausgeweitet. In Flugzeugen dürfen Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz als Sicherheitskräfte (so genannte Sky Marshals) eingesetzt werden, nicht aber private Sicherheitsdienste.

Geheimdienste:
Verfassungsschutz und BND dürfen bei Kreditinstituten, Luftverkehrsunternehmen, Post- und Kommunikations-Dienstleistern jederzeit Daten abfragen. und Auskünfte einholen, "im Einzelfall", wie es in der letzten Gesetzesfassung heißt. Diese Befugnisse, die auch weiterhin keiner Kontrolle durch die Justiz, sondern nur einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen sind, werden auch den Landesämtern für Verfassungsschutz eingeräumt. Wenn Geheimdienstler sich in Privatwohnungen begeben, darf, zu ihrem Schutz, dort der Lausch- und Spähangriff praktiziert werden.
Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes, Bundesnachrichtendienstes (BND) und Militärischen Abschirmdienstes (MAD) wird künftig auch die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen gehören, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Nach fünf Jahren soll der Bundestag entscheiden, ob die Befugnisse verlängert, verändert oder abgeschafft werden.

Handy-Erkennung:
Der Einsatz so genannter IMSI-Catcher wird rechtlich geregelt. Damit können Kennung und Standort eines Handys ermittelt werden. Für Daten unbeteiligter Dritter besteht ein absolutes Verwendungsverbot.

Pass/Personalausweis:
Künftig sollen in Pass und Ausweis so genannte biometrische Merkmale aufgenommen werden. Diese Merkmale dürfen verschlüsselt werden – das heißt, der Ausweisinhaber kann selbst nicht feststellen, welche Angaben auf dem Ausweis stehen. Ob dies ein Fingerabdruck oder beispielsweise die Iris oder die Form der Hand sein wird, soll noch vom Bundestag festgelegt werden. Eine bundesweite Zentraldatei für die geplanten biometrischen Elemente ist nicht vorgesehen.

Sicherheitsrelevante Bereiche:
Personen, die in sicherheitsempfindlichen und lebenswichtigen Einrichtungen arbeiten, werden vom Geheimdienst überprüft. Der betroffene Personenkreis wird im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand erheblich ausgeweitet. Welche Behörden und Betriebe dies betrifft, wird per Rechtsverordnung vom Bundesinnenminister festgelegt. Die gesetzliche Vorgabe dafür lautet: "Einrichtungen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde." Folge der Überprüfung kann sein: Faktisch nicht angreifbare arbeitsrechtliche Kündigungen – oder Nichteinstellung. Das Personal an wichtigen Stellen von Flughäfen, aber auch Beschäftigte beispielsweise in Wasser- und Energiewerken oder Rundfunkanstalten soll stärker überprüft werden. Die Neuregelungen zur Sicherheitsüberprüfung werden auf fünf Jahre befristet.

Vereinsgesetz:
Die Verbotsgründe für Ausländervereine werden erweitert: Sie können unter anderem verboten werden, wenn "ihr Zweck oder ihre Tätigkeit die politische Willensbildung oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet".


Auszüge aus einem Kommentar von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember 2001. Titel: "Man nannte ihn Rechtsstaat":

Immer wenn es Nacht wird, lässt man in Deutschland die Rollläden herunter. Ähnlich mechanisch reagiert die deutsche Politik: Immer wenn was passiert, produziert man ein Sicherheitspaket. Es herrscht mittlerweile der Ehrgeiz, das in Rollladengeschwindigkeit zu machen. Man zieht kräftig am Gurt, und das Ding knallt herunter. So war das mit dem Anti- Terrorismus-Gesetz, das am Freitag im Bundestag verabschiedet wurde.

Die Pakete werden im Übrigen immer größer. Würde man alle Sicherheitspakete, die der Gesetzgeber in den vergangenen 25 Jahren geschnürt hat, vor dem Deutschen Bundestag aufstapeln, man könnte damit, wie mit gewaltigen Legosteinen, das Brandenburger Tor nachbauen. Der Gesetzgeber hat Sicherheitspakete produziert, als kosteten sie nichts. Und in der Tat, oft war dies auch so. Der Preis war nur ein Abbau an Rechtsstaatlichkeit – aber den spürt man nicht sofort. ...

Verglichen mit dem neuen Sicherheitspaket sind freilich die bisherigen Pakete Päckchen. Diesmal also XXL: Neue, umfangreiche Kompetenzen für die Geheimdienste; noch mehr Überwachung auch von unbescholtenen Leuten, die davon in der Regel nichts erfahren; noch ein paar große Löcher mehr in der grundgesetzlich gewährleisteten Rechtsschutzgarantie, im Datenschutz, im Post- und Fernmeldegeheimnis; noch etliche Verschärfungen im Vereins-, im Ausländer- und Asylrecht, noch ein paar Zugaben zum Lausch- und Spähangriff; ungebundene Ermittlungskompetenzen für Geheimdienste und Bundeskriminalamt. Und nicht zuletzt: Ausweispapiere werden künftig Fingerabdrücke und „biometrische“ (zum Beispiel Gesichtsvermessungs-) Daten erhalten. Vielleicht haben die Grünen die „Biometrie“ ja deshalb für verträglich gehalten, weil darin das Wort „Bio“ vorkommt.

Vor gut dreißig Jahren, im Zug der Notstandsgesetze, wurde das Post- und Fernmeldegeheimnis erstmals stark eingeschränkt und die Rechtsschutzgarantie verbogen – weil nicht die Justiz, sondern ein parlamentarischer Ausschuss solche Geheimdienstaktionen (notdürftig) kontrolliert. Damals also wurde den Geheimdiensten erstmals ein Lauschangriff erlaubt, den seinerzeit das Bundesverfassungsgericht knapp passieren ließ. In der von drei Richtern veröffentlichten abweichenden Meinung findet sich der Satz: „...ob der mit der Verfassungsänderung vollzogene erste Schritt auf dem bequemen Weg der Lockerung der bestehenden Bindungen nicht Folgen nach sich zieht, vermag niemand vorherzusagen.“ Die vorsichtige Warnung war eine prophetische Warnung. Seit diesem Urteil von 1970 wurde das Abhören beständig ausgeweitet, explodierten die Überwachungszahlen. Zuletzt waren es 7512 allein im Rahmen von Ermittlungsverfahren (die nicht statistisch erfassten Lauschereien durch Geheimdienste kommen hinzu). Wem das wenig dünkt, der muss wissen, dass mit jedem abgehörten Anschluss eine Vielzahl von Gesprächen abgehört wird; in einem Fall waren es über 120000 Telefonate.

... Der Geist des Präventionsstaates sieht so aus: Jeder Bürger ist potenziell gefährlich; es muss also erst einmal festgestellt werden, dass er konkret nicht gefährlich ist – er muss sich also entsprechende Überprüfungen gefallen lassen. Bisher war dies umgekehrt. Man nannte das: Rechtsstaat.



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