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Mit Panzern gegen Demonstranten – Der Kampf der Bundeswehr im Landesinnern

Von Ulrich Sander *


Das Bundesverfassungsgericht hat den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren für verfassungsgemäß erklärt. Es überschritt seine Kompetenzen, denn die Verfassungsänderung – und dies ist eine – ist dem Bundestag mit zwei Drittel Mehrheit vorbehalten. Im folgenden Beitrag zeichnet der Autor nach, wie die Bundeswehr seit Jahren illegal Aufgaben okkupiert, die mit der Verfassung nicht im Einklang stehen. Diese Darstellung ist unvollständig; z.B. konnte der große Bereich der faktischen Wehrkunde an Bildungseinrichtungen hier nicht behandelt werden.


»Jederzeit, an jedem Ort«

Es war kurz vor Mitternacht im Reichstagsgebäude. Gewichtiges war zu verhandeln, dennoch wurde es in der Tagesordnung des Bundestages ganz nach hinten geschoben. An diesem 17. Februar 2005 wurde das Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes beschlossen. Kern des Gesetzes: Das Alter, bis zu dem Reservisten einberufen werden können, steigt von 45 auf 60 Jahre. Aber geregelt wird darin auch der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes. Ohne mündliche Aussprache - und fast ohne Berichterstattung der Medien - ging der Beschluss im Bundestag über die Bühne. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Bundeswehr mit der Aussetzung der Wehrpflicht nicht kleiner, sondern größer wird. Und sie wird auch nicht billiger.

Petra Pau, eine der beiden damaligen PDS-Abgeordneten, führte in ihrer schriftlich einge-reichten Rede aus: »Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden.« Es handelt sich laut Bundeswehr um mindestens 550.000 einsatzbereite Reservisten. Pau weiter: »Mit (dem) Gesetzentwurf wollen Sie (die Befürworter) den Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten. Sie weisen Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu.« Über zwei Jahre später meldet die Bundeswehrzeitschrift »Y«: »Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf.« Sie zitiert den damaligen Minister Franz Josef Jung (CDU): »Die flächendeckende Einführung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann.«

Der Einsatz der Bundeswehr im Innern kam durch die Hintertür und auf leisen Sohlen. Doch sie ist inzwischen längst auf die Situation eingestellt, für die das Bundesverfassungsgericht nun den Weg freigemacht hat: den bewaffneten Einsatz im Innern. Im Artikel 35 des Grundgesetzes ist für den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur vorgesehen: »Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall« (Artikel 35, Absatz 2). Die Regierung arbeitet nun mit dem schwammigen Begriff »Terroranschläge«, bei denen Reservisten zur Waffe greifen sollen.

Spätestens am 29. August 2009 wäre folgende Schlagzeile in den Medien fällig gewesen: »Bundesregierung will mit Bundeswehr Streiks bekämpfen«. Eine Antwort der Bundesregierung an die LINKE vom 28. August legt den Schluss nahe, dass die Kampfbedingungen der Gewerkschaften eingeschränkt werden sollen. Denn zumindest im öffentlichen Dienst ist nun auch der Einsatz von Streikbrechern aus den Reihen der Bundeswehr denkbar geworden. Das Bundesverteidigungsministerium schließt in der Antwort nicht aus, dass Zivil-Militärische-Zusammenarbeits-Kommandos bei Demonstrationen zum Einsatz kommen.

Sie umfassen derzeit 4.380 Dienstposten, ihre Aufstockung und der Zugriff auf andere Reservisten in ungenannter Zahl stehen bevor. Ein solcher Einsatz obliege allein den Landesbehörden, heißt es. Selbst der Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht ausgeschlossen - eine Entscheidung darüber sei »dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten«. Die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Ulla Jelpke, sagte dazu: »Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.«

Mit Panzern gegen Demonstranten

Als verheißungsvoll wird die Änderung der Wehrpflichtgesetzgebung seit 2005 vom Deutschen Reservistenverband aufgenommen. 123.000 der willigsten und aktivsten Militaristen sind in ihm - gesponsert von der Bundeswehr - vereinigt. Sie versichern, »sich militärisch, körperlich und geistig fit zu halten«, um sich jederzeit in den Streitkräften zu engagieren, ob im In- oder Ausland. In allen Landkreisen und kreisfreien Städten gibt es inzwischen ZMZ-Inneres-Kommandos der Bundeswehr. Der Reservistenverband hat sich in diesen Kommandos verankert, in denen er Einfluss nimmt auf Polizei, Feuerwehr und Verwaltung. Er hat darin eine Hausmacht, und mit ihr viele rechtslastige Kader. Diese Kommandos mit 4.500 Reserveoffizieren sind innerhalb einer Stunde einsatzbereit.

Die »Zivilmilitärische Zusammenarbeit« von Bundeswehr, Polizei, Geheimdiensten, Katastrophenschutzorganisationen und anderen Institutionen ist in den letzten Jahren mit Krisenstäben und Kreiskommandos in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten etabliert worden. Wer heute einsatzfähiger und ausgebildeter Reservist ist, und das sind weit über eine halbe Million Männer im Alter bis zu 60 Jahren, der muss nicht nur wie bisher mit Einberufungen zu Übungen rechnen, sondern mit Einsätzen wie in Heiligendamm im Jahr 2007 - die Süddeutsche Zeitung titelte: »Mit Panzern und Jets gegen Demonstranten« - und am Hindukusch. Reservisten gehörten bereits zu den Gefallenen. Neben dem Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow wurde im Bundesinnenministerium für die »Zuständigkeit für Terrorismus und Extremismus die neue Abteilung >Öffentliche Sicherheit geschaffen« (FAZ vom 20.7.08). Die Befehlshaber der Wehrbereichskommandos der Bundeswehr befehligen als Landeskommandeure gleichzeitig die Beauftragten der Bundeswehr für zivilmilitärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ) in allen Landkreisen und kreisfreien Städten.

Ohne viel Aufhebens zu machen, erobert somit die Bundeswehr Positionen in Ministerien, Rathäusern und Landratsämtern. Die letzten Verteidigungsbezirkskommandos der Bundeswehr aus der Zeit der Blockkonfrontation sind in den westlichen Bundesländern in den Jahren 2006 und 2007 aufgelöst worden. Im »Ernstfall« sollten sie helfen, die Reserven zu mobilisieren und den Objektschutz und den Luftschutz zu gewährleisten. An ihre Stelle sind die Bezirks- und Kreisverbindungskommandos in den Städten und Landkreisen getreten - der Begriff Verteidigung taucht nicht mehr auf, dafür heißt es jetzt »Heimatschutz«.

Ein Oberst vermittelt nun den Regierungspräsidenten, Landräten und Oberbürgermeistern den sogenannten militärischen Service. »Das ist die militärische Kompetenz, auf die sie sich bei Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen stützen können«, wird in Bundeswehr-Publikationen bestätigt. Die Urkunden für die ZMZ Inneres wurden in der Regel Oberstleutnants der Reserve, möglichst solchen, die im öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb einer Stunde abkömmlich sind, überreicht. Praktischerweise beziehen sie Büros in Rathäusern und Landratsämtern. Die einzelnen Verbindungskommandos bestehen aus jeweils zwölf Soldaten, die in der Region leben und die zivilen Verwaltungen in militärischen Fragen beratend unterstützen, wie es heißt. In Bremen wurde jetzt erstmals ein Modell erprobt, mit dem das ZMZ-Landeskommando RSU (Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte aus Reserveangehörigen) in erheblicher Zahl heranziehen kann. So soll es in allen Bundesländern gemacht werden. Dafür haben sich bundesweit bis Juli über 3.200 Männer und Frauen gemeldet. Sie sind Grundstock für Heimatschutzverbände unter dem Motto »Tu was für Dein Land«.

Nun heißt es innerer Friede

Die Regierenden haben in den letzten Jahren immer wieder betont: Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit seien von gestern. Verteidigungsminister Thomas de Maiziere übernahm von seinen Vorgängern - darunter Wolfgang Schäuble - die Konzepte, geht aber vorsichtiger zu Werke, besonders mit Worten: Innere Sicherheit heißt nun innerer Friede. Die Pläne für den Abschuss von Zivilflugzeugen, die unter »Terrorverdacht« stehen, schreiten voran. Die »Neue Rhein/Ruhrzeitung« aus der WAZ-Gruppe berichtete von der Herbstübung 2011 im Luftstreitkräfte-Hauptquartier Kalkar-Uedem: »Wir haben sie abgeschossen«, sagte der General über die Vernichtung eines angeblich von Terroristen gekaperten Zivilflugzeugs. Dass dies illegal ist, interessiert offenbar nicht.

Auf Bundesebene wurden integrierte Polizei-, Geheimdienst- und Militärbehörden wie das »Gemeinsame Terrorabwehrzentrum« in Berlin geschaffen. Erstmals seit 1945 sind dort wieder Militär, Geheimdienste und Polizei zusammengefasst. Auf den Ebenen darunter wurden zahlreiche Gremien zur »Beratung« geschaffen. Doch die »Beratung« ist höchst verbindlich. In den Krisenstäben der Städte und Kreise haben die Verbindungskommandeure auf ihre militärischen Vorgesetzten zu hören, nicht aber auf die Bürgermeister und Landräte. »Übergeordnete Stellen sind der Kommandeur des Landeskommandos, der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos, der Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos Köln und der Bundesverteidigungsminister in Berlin«, teilte der Göttinger Landrat Reinhard Schermann den fragenden Abgeordneten der LINKEN im Kreistag mit (Brief vom 26.11.2007).

Gegenüber den zivilen Behörden werden die Bundeswehrstellen per »Amtshilfe« tätig. Das ist ein Begriff aus dem Artikel 35 GG zur gegenseitigen Unterstützung von Behörden. Der Einsatzchef der Polizei durfte beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 die Tornados anfordern - und zwar »per Amtshilfe«. Der höchst brisante Vorgang, dass erstmals bewaffnete militärische Kräfte gegen Demonstrationen eingesetzt wurden, wurde nicht etwa der Bundesregierung zur Entscheidung vorgelegt. Die Polizeieinsatzführung durfte gemäß der rot-roten mecklenburg-vorpommerschen Polizeigesetzgebung Tornados anfordern.

Im Unklaren wird die Öffentlichkeit noch gelassen, auf welche Ausrüstung die Kommandos der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit zurückgreifen dürfen.

Bemerkenswert ist, dass die Mehrzahl der Reservistenübungen bei den Feldjägern, aber auch bei den Pionieren abgehalten wird. Auf die Planung von Maßnahmen gegen Demonstranten - angeblich dürfen sie auch nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht militärisch bekämpft werden - entwickeln Bundeswehr- und Reservistenkader erhebliche Aktivitäten.

Aus Blättern der Reservistenverbände aus Kulmbach und Jena erfuhren wir am 12. No-vember 2009: Ein Bürgerkriegsmanöver im bayerischen Schwarzenbach am Wald fand mit großer Reservistenbeteiligung statt. Dabei wurde der Umgang mit demonstrierenden Friedensaktivisten sowie die Verteidigung einer inländischen Radarstation gegen schwer bewaffnete Terroristen trainiert. Das Manöver widerlegte die von Berlin vorgebrachte Behauptung, die Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Inland diene nur der Hilfeleistung bei besonders schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen. Soldaten gegen Demokraten - das hatten wir schon.

* Ulrich Sander, Journalist, Autor und Bundessprecher der VVN-BdA.
Der vorliegende Beitrag wurde als Artikelserie im „neuen deutschland“ vom 28., 29. und 30. August veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor.
Der Beitrag ist auch erschienen auf der Website der VVN-BdA: http://www.nrw.vvn-bda.de



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