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Einsatz militärischer Waffen im Inland - Trennung von Polizei und Bundeswehr wird weiter aufgeweicht

Ein Beitrag von Andreas Flocken aus der Sendereihe des NDR "Streitkräfte und Strategien" *


Beginnen wollen wir .. mit dem Bundesverfassungsgericht. Die Bundeswehr darf in bestimmten Ausnahmesituationen militärische Waffen im Inland einsetzen. Das haben der erste und zweite Senat in Karlsruhe entschieden.

Auf den ersten Blick haben die Verfassungsrichter den Weg jetzt für die Streitkräfte freigemacht, Terrorangriffe abzuwehren, bei denen die Polizei eher hilflos wäre. Beispielsweise wenn Terroristen Berlin mit Drohnen angreifen, die mit chemischen Kampfstoffen beladen sind. Ein solcher Angriff könnte das von den Verfassungsrichtern abstrakt beschriebene Ereignis „katastrophischen Ausmaßes“ sein. Oder wenn Terroristen mit einem gekaperten Tanker auf einen Nordseehafen zu steuern, um ihn dort zur Explosion zu bringen. Die Polizei hätte nicht die Mittel, dieses Schiff zu stoppen. Die Bundeswehr schon. Marineschiffe wären in der Lage, mit ihren Rohrwaffen die Ruderanalage des Tankers zu beschädigen und das Schiff damit manövrierunfähig zu machen. Und von Terroristen gelenkte Drohnen könnten von Kampfflugzeugen oder Flugabwehrsystemen abgeschossen werden.

Bisher durfte die Bundeswehr in solchen Szenarien ihre militärischen Waffen nicht einsetzen. Das ist seit der vergangenen Woche anders – jedenfalls im Prinzip. Denn einen Pferdefuß hat die Karlsruher Entscheidung: Über den Einsatz der militärischen Mittel darf nur die komplette Bundesregierung entscheiden – das gilt auch für Eil-Fälle, wenn also Gefahr im Verzug ist und besonders schnell gehandelt werden muss. Die Entscheidung darf beispielsweise nicht auf den Vereidigungsminister delegiert werden, wie es im Luftsicherheitsgesetz von 2005 vorgesehen war. Notwendig ist immer ein Kabinettsbeschluss.

Was ist also durch die Entscheidung aus Karlsruhe gewonnen? Wie soll der Bundeswehr-Einsatz im Falle eines Terrorangriffs in der Praxis funktionieren? Etwas resignierend der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann im Deutschlandfunk:

O-Ton Hartmann
„Wir sind keinen Schritt weiter als vorher, um ganz offen zu sein. Denn das Gericht sagt ja, dass im Falle einer solchen Katastrophe, wenn ausnahmsweise auch bewaffnet Bundeswehr im Innern eingesetzt werden soll, die Bundesregierung als Kollegialorgan entscheiden muss. Und das Gericht sagt zugleich auch, dass die Situation schon eingetreten sein muss.“

Ähnlich kritisch äußert sich Burkhard Hirsch. Der FDP-Politiker hatte damals erfolgreich gegen das Luftsicherheitsgesetz der rot-grünen Bundesregierung geklagt. Nach diesem Gesetz sollten entführte Verkehrsflugzeuge im Notfall von Bundeswehr-Kampfflugzeugen abgeschossen werden dürfen. Ein Abschuss mit Unbeteiligten ist jedoch auch weiterhin nicht zulässig. Trotzdem hält Hirsch die jetzige Entscheidung für problematisch. Der ehemalige Bundestagsvizepräsident im Nordwest-Radio:

O-Ton Hirsch
„Ich halte das Urteil in seiner Unbestimmtheit, in seiner Auslegungsbreite für politisch außerordentlich gefährlich und wäre froh, wenn es nicht so ergangen wäre. ... Ich fürchte, nach allem was ich aus Berlin an triumphalischem Geheul höre, dass man versuchen wird, die Anwendung von militärischen Waffen im Inland gesetzgeberisch im Detail zu regeln. Und das kann nur schief gehen. Wir haben vor vielen Jahren der Polizei Maschinengewehre und Handgranaten genommen, vorsätzlich. Weil wir das nicht mehr wollten, dass so etwas im Inland eingesetzt wird. Und wenn man nun einfach von militärischen Waffen redet, das sind ja bewaffnete Drohnen, das ist theoretisch Artillerie, das sind Maschinengewehre. Das ist das ganze Arsenal, von denen das Grundgesetz immer gesagt hat: Nie im Inland, es sei denn, dass das Verfassungsgesetz es ausdrücklich vorschreibt. Und davon kann im Grundgesetz, nach der jetzigen Fassung, keine Rede sein.“

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold kann bei aller Kritik der Entscheidung der Verfassungsrichter aber auch etwas Positives abgewinnen. Für ihn wäre ein Einsatz der Bundeswehr wie beim G-8-Gipfel in Mecklenburg-Vorpommern 2007 mit Aufklärungstornados und Fennek-Spähpanzern nicht mehr möglich:

O-Ton Arnold
„Klar ist, der Verteidigungsminister alleine darf nicht mehr die Bundeswehr einsetzen. Denken Sie mal an das Szenarium in Heiligendamm, wo Kampfflieger, wie ich meine, rechtswidrig über Demonstranten geflogen sind. Das ist eindeutig geklärt. Dies darf der Verteidigungsminister nicht anordnen. Es wäre ein Rechtsbruch.“

Aber möglich wäre der Einsatz schon, nämlich dann, wenn das gesamte Kabinett zustimmt.

Die von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes ursprünglich beabsichtigte strikte Trennung von Polizei und Militär ist durch die Plenarentscheidung der Karlsruher Richter weiter gelockert worden.

Für manchen Beobachter ist die Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit jetzt praktisch aufgegeben worden. Normalerweise wäre dafür eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Für Kritiker haben das jetzt die Verfassungsrichter übernommen – und damit als eigentliche Hüter der Verfassung gegen den Geist des Grundgesetzes verstoßen.

Nur einer der 16 Verfassungsrichter wollte diese Entscheidung nicht mittragen. Reinhard Gaier stellt in einem Sondervotum fest, der Plenarbeschluss werde keineswegs zu einem besseren Schutz der Bevölkerung vor terroristischen Angriffen führen. In seiner Stellungnahme geht Gaier mit seinen Richter-Kollegen hart ins Gericht:

Zitat Gaier
„Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben.“

In der Tat. Was Ereignisse „katastrophischen Ausmaßes“ sind, die den bewaffnen Einsatz der Bundeswehr im Inland erlauben, droht zu einer Frage der Auslegung zu werden. Es besteht die Gefahr, die Regierung könnte die Bundeswehr im Innern für machtpolitische Zwecke instrumentalisieren und missbrauchen.

Und was sagt die Bundesregierung zum Karlsruher Beschluss? In einer dünnen Erklärung haben sich der Innen- und der Verteidigungsminister zufrieden geäußert. Man werde die Folgerungen aus der Entscheidung jetzt gründlich prüfen. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 25. August 2012; www.ndrinfo.de


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