Trennungsgebot erledigt
Jahresrückblick 2012. Heute: Innere Sicherheit. Gemeinsame Zentren auf dem Vormarsch
Von Ulla Jelpke *
Der Trend, Grundrechte im Namen angeblicher Sicherheit einzuschränken, hat sich 2012 fortgesetzt. Im Vordergrund standen weniger einschneidende Gesetze, sondern strategisch bedeutsame Grundsatzentscheidungen wie die Einrichtung neuer sogenannter Gemeinsamer Zentren zur »Extremismusbekämpfung«.
Während in den vergangenen Jahren stets »islamistische Terroristen« als Begründung für erweiterte Kompetenzen der Sicherheitsbehörden herhalten mußten, erfüllt derzeit die Neonazi-Terrorgruppe NSU diese Funktion.
Das als Reaktion auf die Aufdeckung von deren Mordserie gegründete »Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus« (GAR) hat seine Arbeit aufgenommen. Es ist nach dem Modell des seit 2004 in Berlin arbeitenden »Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums« (GTAZ) aufgebaut, das sich gegen islamistische Terroristen wendet. Das heißt: Geheimdienst- und Polizeibehörden aus Bund und Ländern kommen zweimal die Woche zu einer gemeinsamen Lagebesprechung zusammen und tauschen in mehreren Arbeitsgruppen ihre Erkenntnisse untereinander aus. Das Trennungsgebot reduziert sich praktisch auf eine rein organisatorische Frage und wird zur Makulatur, wenn etwa Verfassungsschützer Informationen aus Abhörmaßnahmen an die Polizei übermitteln, die diese nach Polizeirecht gar nicht hätten durchführen dürfen. Erschwerend kommt hinzu, daß Gemeinsame Zentren praktisch nicht durch Öffentlichkeit und Parlamente kontrollierbar sind. Sie sind keine Behörden, sondern »Informationsplattformen«. Der Bundestag kann nur Angaben über das Verhalten der Bundessicherheitsbehörden, aber keine über die Vorgänge in den Zentren verlangen.
Für eine gründliche Auswertung, ob das GAR den Kampf gegen Neonazis wirklich verbessert hat, war noch gar keine Zeit – da wurde es auch schon in ein im November neu gegründetes »Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum« (GETZ) überführt. Dies soll der Bekämpfung jeglichen »Extremismus’« dienen: Ausländerextremismus, Rechtsextremismus, Linksextremismus, dazu noch Spionage und Proliferation. In jedem dieser »Phänomenbereiche« gucken nun Geheimdienstler und Polizisten, außerdem noch der Generalbundesanwalt und der Zoll, einander über die Schulter.
Dasselbe Ziel verfolgt die Einrichtung gemeinsamer Dateien. Auch hier waren die »Islamisten« die ersten, die es traf, mit der 2007 beschlossenen »Anti-Terror-Datei«. In diesem Jahr folgte die Freischaltung einer neuen Datenbank über rechtsextreme Gewalttäter. Polizeibehörden und Geheimdienste sind verpflichtet, ihre Erkenntnisse in diese einzuspeisen und so allen anderen Beteiligten zugänglich zu machen. Für die Geheimdienste gibt es allerdings Ausnahmen, etwa um ihre V-Leute zu schützen.
An diesen soll nämlich trotz des NSU-Skandals festgehalten werden. Dies beschloß Anfang Dezember die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern, die sich zugleich dafür aussprach, dem Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber den Ländern mehr Kompetenzen einzuräumen.
Eine Grundsatzentscheidung, die voraussichtlich ebenfalls Langzeitfolgen haben wird, hatte der Bundestag bereits zu Jahresbeginn beschlossen: Unbemannte Flugobjekte (»Drohnen«) sind seitdem im Luftverkehrsgesetz als »gleichberechtigte« Luftfahrzeuge anerkannt. Begründet wurde das vor allem mit den Interessen der Wirtschaft, aber auch die Sicherheitsbehörden werden diese Aufwertung von Drohnen nutzen. Sie werden heute schon vereinzelt zur Überwachung von Demonstrationen eingesetzt. Anders als fest installierte Kameras auf Polizeiwagen sind sie praktisch kaum mit bloßem Auge auszumachen; hier wird gegen das Versammlungsrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen. Weitere Grundrechtseinschränkungen drohen gegen Fußballfans: Diskutiert werden Ganzkörperkontrollen vor Stadionbesuchen und die Umlage der Kosten für Polizeieinsätze auf die Vereine. Bei aller Distanz gegenüber gewalttätigen Hooligans: Es wäre nicht das erste Mal, daß Fußballfans als Erprobungsobjekt neuer polizeilicher Einsatztaktiken bei Massenveranstaltungen herhalten müssen.
An einem Punkt kamen die Vorstellungen von Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich (CSU) allerdings nicht voran: Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland nach wie vor nicht gestattet. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Vorhaben, die Verbindungsdaten sämtlicher Telefonate und Internetnutzungen zu speichern, gekippt. Union und FDP hatten nach dem Urteil verschiedene Entwürfe vorgelegt, wie die zugehörige EU-Richtlinie umzusetzen sei, konnten sich aber nicht einigen.
Auf europäischer Ebene sind die Grundrechte ebenfalls weiterhin auf dem Rückzug. Der sogenannte »Grundsatz der Verfügbarkeit«, der besagt, daß Daten, die erhoben wurden, überall zur Verfügung stehen sollen, fand seinen Niederschlag in einem entsprechenden Bundesgesetz, das deutsche Polizeibehörden verpflichtet, jeder Polizeibehörde aus einem EU-Staat die gleichen Daten zu übermitteln wie einer deutschen Polizeistelle. Das gilt auch für den Bereich der »Verhütung von Straftaten«. Damit wird einem weiteren Ausbau bloßer Verdächtigen-Dateien überall in der EU Vorschub geleistet. Darin eingeschlossen sind Dateien über politische Aktivisten.
Auch das Europäische Parlament erweist sich nicht als Förderin der Grundrechte. Im Frühjahr verabschiedete es das neue Passagierdatenabkommen mit den USA. Insgesamt 19 Datensätze von Reisenden mit dem Ziel USA werden vor Beginn des Fluges dem US-Heimatschutzministerium übermittelt, darunter sämtliche Kontaktdaten, Kreditkartennummer, Informationen zum Gepäck usw. Die Speicherfrist von 15 Jahren spricht allen Datenschutzgrundsätzen Hohn. Die Innenminister der EU-Staaten wollen ein ähnliches Passagierdatensystem auch für EU-Binnenflüge. Es wird sich zeigen, ob die Sozialdemokraten im Europaparlament bei ihrem derzeitigen Widerstand gegen das Vorhaben bleiben.
Die europäische Grenzschutzagentur Frontex arbeitet beständig daran, ihre grenzpolizeilichen Zuständigkeiten zu erweitern. Bislang nur auf die Abwehr unliebsamer Flüchtlinge konzentriert, nimmt sie nun auch die allgemeine grenzüberschreitende Kriminalität ins Visier. Bei einem von Frontex koordinierten Einsatz an der polnisch-ukrainischen Grenze während der Fußballeuropameisterschaft ging es nicht nur um irreguläre Migration, sondern auch um Schmuggel von Zigaretten und Alkohol. Diese Kontrollen an den Außengrenzen Europas sind bislang weitgehend der Kontrolle durch die Parlamente entzogen.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 03. Januar 2013
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