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"Cyberpeace" gegen Onlinekrieg

Friedenspolitisch aktive IT-Fachleute initiieren Kampagne gegen Militarisierung des Internets

Von Sebastian Watzek *

Einen Gegenentwurf zum fortschreitenden politischen und militärischen Missbrauch des Internets hat das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF) in Berlin präsentiert. Vom 17. bis 19. April veranstaltete es ein Kampagnenwochenende zum Thema »Cyberpeace«. Die Teilnehmer engagieren sich für die friedliche Verwendung von Informationstechnik und Computernetzwerken. Öffentliches Bewusstsein dafür zu schaffen, wie umfangreich und mit welchen Methoden das Internet bereits militärisch genutzt wird, ist ein zentrales Anliegen der FIfF-Kampagne, über deren weitere Gestaltung am Wochenende beraten wurde.

»Wenn die Menschen sich der Ausmaße bewusst sind, könnte daraus eine breite politische Bewegung entstehen«, erklärte Thomas Reinhold am Wochenende gegenüber jW. Der Lübecker Informatiker ist Aktivist von »Cyberpeace« und arbeitet als Wissenschaftler am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. »Im nächsten Schritt muss der politische Druck erhöht werden, um wichtige Forderungen des FIfF umsetzen zu können. Der Ächtung jeder Form von Cyberkriegsführung, zu der auch die mittlerweile umfassende Überwachung zählt, kommt dabei eine zentrale Rolle zu.« Das FIfF fordert außerdem, öffentliche Kommunikationsnetze ausschließlich zivil zu nutzen.

Ein Leben ohne Informationstechnik und globale Kommunikationsnetze ist kaum noch vorstellbar. Gerade ihre alltägliche Präsenz lenkt jedoch von den Gefahren ab, die durch Missbrauch drohen.

Wer vor einigen Jahren vor globaler Überwachung des Internets durch Geheimdienste warnte, wurde schnell zum Verschwörungstheoriker erklärt. Spätestens seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden herrscht diesbezüglich Gewissheit. Die reale Dimension der Geheimdienstaktivitäten dürfte dabei vermutlich noch weit über das derzeit Bekannte hinausgehen.

Das FIfF weist mit seiner Kampagne darauf hin, dass die weltweite Überwachung der Kommunikation nur eine erste Stufe der Eskalation im Cyberkrieg darstellt. Mit dem gesammelten Wissen können anschließend Schwachstellen von IT-Systemen ausgenutzt werden, um reale Funktionsstörungen bei diesen zu verursachen. Lebenswichtige Infrastrukturen wie Wasser- und Stromversorgung oder öffentliche Verkehrsmittel werden heute überwiegend durch Computersysteme gesteuert und sind immer häufiger miteinander verbunden. Angriffe auf diese Netze verursachen nicht nur materielle Schäden, sondern unter Umständen zahlreiche zivile Todesopfer. Flugsicherung, Chemiefabriken oder Kernkraftwerke stellen attraktive Angriffsziele dar.

Wie real solche Szenarien bereits sind, zeigt ein Beispiel aus dem aktuellen »Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland« des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Angreifern gelang es, über das Internet in das Büronetzwerk eines Stahlwerks einzudringen und von dort aus weiter in die Produktionsstrukturen. Sie blockierten Steuerungskomponenten der Anlage, woraufhin sich ein Hochofen, der heruntergefahren werden sollte, nicht mehr kontrolliert regeln ließ. Er befand sich längere Zeit in »undefiniertem Zustand«. »Die Folge waren massive Beschädigungen der Anlage«, berichtet das BSI.

Viele Funktionen von Hard- und Software sind nicht sichtbar, was deren Missbrauch erleichtert. Unternehmen kooperieren teilweise mit Staaten, indem sie in Hard- und Software Schwachstellen und »Hintertüren« einbauen, um Daten abzuzapfen oder sie für aggressive Zwecke zu manipulieren. In welchem Umfang Staaten bereits kriegerisch in Datennetzen agieren, lässt sich nur erahnen. Der Stuxnet-Computerwurm etwa, mit dessen Hilfe sich Industrieanlagen manipulieren lassen, führte 2010 vermutlich zu Zwischenfällen und Zerstörungen in iranischen Atomanlagen. Die Herkunft von Stuxnet ist bisher unbekannt. Aufgrund der Komplexität des Programms gehen Fachleute jedoch davon aus, dass staatlicher Einfluss wahrscheinlich ist. Das FIfF warnt, dass Cyberkrieg in eine Rüstungsspirale führe und die Hemmschwelle für kriegerische Handlungen senke.

Das FifF wurde 1984 gegründet. Bundesweit engagieren sich rund 700 Personen im Forum. Viele von ihnen sind Informatiker oder arbeiten in Berufen im IT-Umfeld. Das Forum ging aus der Friedensbewegung und dem Widerstand gegen die damalige Volkszählung hervor. Ein Ziel ist die kritische Auseinandersetzung mit den Fachgebieten Informationstechnik und Informatik sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen. Besonders werden die Zusammenhänge zwischen Informationstechnik und Rüstung sowie Militärtechnologie thematisiert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. April 2015


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