Alternativen für Rio+20 gesucht
Weltsozialforum 2012 dreht sich thematisch vor allem um Umweltfragen
Von Andreas Behn, Porto Alegre *
Heute wird das elfte Weltsozialforum eröffnet. Im brasilianischen Porto Alegre will die Bewegung der Globalisierungskritiker bis Sonntag (29. Jan.) unter dem Motto »Kapitalistische Krise, soziale und ökologische Gerechtigkeit« über Alternativen zur gängigen neoliberalen Politik diskutieren. Dabei wird auch ein »Gipfel der Völker« vorbereitet, der parallel zum UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro im Juni stattfinden soll.
»Das Weltsozialforum entstand in Porto Alegre vor zwölf Jahren als Antwort auf die neoliberale Arroganz des Weltwirtschaftsforums in Davos«, sagt Candido Grzybowski, einer der Gründer des wichtigsten Treffens der globalisierungskritischen Bewegung. »Damals behaupteten wir: ›Eine andere Welt ist möglich.‹ Jetzt müssen wir den Weg dahin beschreiten, die Alternativen schaffen.«
Um diesem Vorsatz gerecht zu werden, lädt Porto Alegre nun nicht zu einem Welt-, sondern zu einem Thematischen Sozialforum (FST) ein. Der Forumsprozess hat sich im Laufe der Jahre dezentralisiert, es gibt allerorten regionale Treffen. Die weltweite Bewegung kam zuletzt im Januar 2011 in Senegal zusammen.
Das Motto des FST, das heute mit einer Demonstration beginnt, ist so allgemein wie aktuell: »Kapitalistische Krise und Soziale wie Ökologische Gerechtigkeit«. Das Forum ist in erster Linie als inhaltliche Vorbereitung für die UN-Konferenz über Nachhaltige Entwicklung und den Peoples Summit Rio+20 geplant, die im Juni in Rio de Janeiro stattfinden werden.
Wie bei allen Sozialforen wird es auch dieses Mal eine Vielzahl von Veranstaltungen und Seminaren geben, die von unterschiedlichen sozialen Organisationen veranstaltet werden. Hinzu kommen mehrere Parallelforen, wie das Bildungsforum, das Gesundheitsforum und das Forum Freier Medien.
Mittelpunkt des FST wird die seit Monaten vorbereitete Diskussion über Transformationsprozesse sein. Die vielfältigen Themenstränge sollen mit Blick auf Rio+20 gebündelt und in Form von politischen Plattformen, Kampagnen und konkret formulierten Alternativen präsentiert werden. In den Debatten wird es um Begriffe wie Öffentliche Güter, Solidarökonomie, digitale Kultur, andere Produktions- und Konsumweisen und nachhaltige Städte gehen.
Ziel ist es, den von den Vereinten Nationen und vielen Regierungen für die Konferenz Rio+20 vorgegebenen Themen realistische Alternativen entgegenzusetzen. Denn die geplanten neuen Millenniumsziele für Nachhaltigkeit werden als sinnentleerte Worthülsen kritisiert und das von der Industrie bejubelte Konzept der Green Economy gilt den meisten Vertretern von sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen als plumper Versuch, die ökologische Krise mit ihren Ursachen zu bekämpfen - mit noch mehr Wachstum, mit fragwürdigen Marktmechanismen und mit der kapitalistischen Aneignung öffentlicher Güter wie Wasser, Biodiversität oder von Indigenen bewohnten Territorien.
Dieser Aussicht sollen Konzepte entgegengestellt werden, die teils lange diskutiert, teils aber auch schon umgesetzt werden. Dazu zählen die ökologische und familiäre Landwirtschaft, Entwürfe solidarischer Ökonomie und eine an menschlichen Bedürfnissen orientierte Wachstumsphilosophie.
Darüber hinaus soll der Forumsprozess zum Arabischen Frühling, der Occupy-Bewegung oder den streikenden chilenischen Studierenden in Bezug gesetzt werden. »Das FST soll ein Treffpunkt der Unzufriedenen und der systemkritischen Bewegungen aus aller Welt sein, die sich im Juni beim Peoples Summit in Rio de Janeiro wiedertreffen werden«, schreiben die Organisatoren.
Mehr als 1000 Veranstaltungen sind angekündigt. 20 000 Teilnehmer werden erwartet, darunter Prominente wie Boaventura de Sousa Santos, Emir Sader, Ignacio Ramonet und João Pedro Stédile von der Landlosenbewegung MST. Auch die Präsidentin Brasiliens Dilma Rousseff hat zugesagt. Eventuell kommen ihre Amtskollegen aus Argentinien, Uruguay und Paraguay.
Doch nicht alle Aktivisten sind vom Fahrplan des FST überzeugt. Viele radikalere Organisationen werden nicht präsent sein. Sie kritisieren mangelnde Transparenz im Vorbereitungsprozess und eine wachsende Nähe zur Regierung, die zum großen Teil die gigantische Infrastruktur finanzierte. »Das Ganze wirkt immer mehr wie ein Megaevent, wie eine Fußball-WM oder eine Olympiade«, moniert Rodrigo Nunes, der bei vielen Sozialforen dabei war. Er meint, die wichtigste Frage werde nicht gestellt: »Dient das Forum wirklich noch als Raum, in dem sich soziale Bewegungen organisieren?«
Porto Alegre im Fokus
Die Brasilianer und ihre Visionen. So richtig ernst nahm im Mai 2000 im Berliner Mehringhof keiner der deutschen Internationalisten die Ankündigung von Antonio Martins: »Wir planen zum Beispiel für Ende Januar 2001 ein großes, globales Treffen in Porto Alegre, sozusagen ein Alternativ-Treffen zum Weltwirtschaftsforum in Davos«, ließ der brasilianische Attac-Mitbegründer im nd-Interview verlauten. Die Idee des Weltsozialforums war damit in Deutschland angekommen. Doch die Skepsis, dass sich daraus etwas entwickeln würde, überwog. Schließlich ist es selten genug, dass sich das optimistische Szenario durchsetzt. Doch das Weltsozialforum (WSF), das sich als Gegenveranstaltung zum nahezu zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos begreift, findet 2012 bereits zum elften Mal statt - dieses Mal nach dem Abstecher in Senegals Hauptstadt Dakar - wieder im Ausgangsort Porto Alegre, das bis auf 2004 (Mumbai in Indien), 2007 (Nairobi in Kenia) und 2009 (Belém in Brasilien) immer Austragungsort war, sofern ein zentrales WSF veranstaltet wurde.
Beim WSF geht es um eine Weltordnung, die das soziale Element über das wirtschaftliche Element stellt - gemäß dem WSF-Slogan »Eine andere Welt ist möglich«. Viel mehr als symbolischen Beistand für soziale Bewegungen vermag das Weltsozialforum bisher nicht zu leisten - lautet ein an die Adresse des Weltsozialforums gerichteter Vorwurf. Von Erschöpfungssignalen ist die Rede, von der Dominanz der großen Nichtregierungsorganisationen und vom Fehlen handfester Aktionsprogramme. Doch selbst die Kritiker gestehen ein: Schon durch seine Existenz hat das WSF ein Versprechen eingelöst, mit dem es alljährlich antritt - »Eine andere Welt ist möglich«. Wie die einmal aussehen soll, bleibt freilich ebenso umstritten wie der Weg dorthin.
ML
* Aus: neues deutschland, 24. Januar 2012
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