"Streiten Sie mit uns für die Tobin-Steuer, Herr Tobin!"
Attac setzt sich gegen ungerechtfertigte Vorwürfe zur Wehr und geht selbst zum Angriff über
Die sog. "Tobin-Steuer" ist in aller Munde, doch nur wenige wissen, was damit gemeint ist. Dass nun sogar eine Kontroverse zwischen dem Urheber der Tobinsteuer-Idee, James Tobin, und den Befürwortern einer solchen Steuer entstanden ist, mag viel verwirren. Wir wollen mit der folgenden Dokumentation ein wenig zur Aufklärung beitragen.
Im Folgendenzunächst eine kurze Erläuterung der Tobin-Steuer. Dann folgen zentrale Ausschnitte aus einem Spiegel-Interview mit James Tobin, worin Tobin die Globalisierungsgegner angriff. Und schließlich folgt eine Erwiderung eines der Sprecher von "Attac", Peter Wahl.
Was ist die Tobin-Steuer?
Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger 1981 James Tobin, entwickelte schon 1972 die Idee, alle Devisengeschäfte an den Börsen mit einer Abgabe von einem Prozent zu belegen - und so nicht nur einen erklecklichen Batzen Geld abzuschöpfen und sinnvoll einzusetzen, sondern auch ein wenig Sand ins Getriebe der Finanzmärkte zu streuen. Heute ist die Tobin-Steuer fast so etwas wie ein Markenzeichen der "Globalisierungsgegner" geworden. Viele Nichtregierungsorganisationen fordern die Einführung einer Spekulationsteuer in Höhe von 0,1 bis 0,25 Prozent, um mit den Einnahmen der Dritten Welt zu helfen. Im August 2001 trat erstmals auch ein Regierungschef eines großen westlichen Industriestaates, der französische Ministerpräsident Lionel Jospin, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der er die Tobin-Steuer als ein wirkungsvolles finanzpolitisches Instrument empfahl. Mit dieser Meinung allerdings steht Jospin in Europa ziemlich allein. Selbst sein eigener Finanzminister, Laurent Fabius, hält nichts von der Idee seines Chefs. In Deutschland finden manche Spitzenpolitiker die Idee an sich ganz sympathisch. Sie könne aber nur funktionieren, so ließ etwa Finanzminister Hans Eichel verlautbaren, "wenn sie in allen Ländern der Welt eingeführt wird" - und "das ist illusorisch." Bundeskanzler Schröder erwähnt auf seiner ersten größeren Rede zur Globalisierung (auf der Internationalen Wirtschaftstagung der SPD am 4. September 2001) die Devisensteuer ŕ la Tobin nicht einmal! (Siehe
"Globalisierung gestalten oder begrenzen?")
James Tobin im SPIEGEL-Interview (Auszüge
...
SPIEGEL: Die Protestorganisation Attac hat sich ursprünglich nach
Ihnen benannt, Demonstranten fordern lautstark die Tobin-Tax.
Freut es Sie gar nicht, dass Ihre vor 30 Jahren vorgestellte Idee
einer Spekulationsteuer auf Devisengeschäfte endlich Anhänger
findet?
Tobin: Natürlich freut mich das, aber der meiste Applaus kommt
von der falschen Seite. Sehen Sie, ich bin Ökonom und wie die
meisten Ökonomen ein Anhänger des Freihandels. Ich befürworte
außerdem den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die
Welthandelsorganisation - all das, wogegen diese Bewegung
anrennt. Die missbrauchen meinen Namen.
SPIEGEL: Diese Bewegung will die Einführung einer Steuer auf
Devisengeschäfte. Damit sollen die Kapitalmärkte gebändigt und mit
den zusätzlichen Einnahmen die Entwicklungshilfe verstärkt
werden. Klingt das nicht wie Ihr Vorschlag?
Tobin: Ich hatte vorgeschlagen, die Einnahmen der Weltbank zur
Verfügung zu stellen. Aber darum ging es mir gar nicht. Die
Devisenumsatzsteuer war dafür gedacht,
Wechselkursschwankungen einzudämmen. Die Idee ist ganz simpel:
Bei jedem Umtausch von einer Währung in die andere würde eine
kleine Steuer fällig, sagen wir von einem halben Prozent des
Umsatzes. So schreckt man Spekulanten ab. Denn viele Investoren
legen ihr Geld sehr kurzfristig in Währungen an. Wird dieses Geld
plötzlich zurückgezogen, müssen die Länder die Zinsen drastisch
anheben, damit die Währung attraktiv bleibt. Hohe Zinsen aber sind
oft desaströs für die heimische Wirtschaft, wie die Krisen in Mexiko,
Südostasien und Russland während der neunziger Jahre gezeigt
haben. Meine Steuer würde Notenbanken kleiner Länder
Handlungsspielraum zurückgeben und dem Diktat der Finanzmärkte
etwas entgegensetzen.
SPIEGEL: Spekulanten abschrecken, Diktat der Finanzmärkte - ist
das nicht die Sprache der Globalisierungskritiker?
Tobin: Denen geht es, glaube ich, hauptsächlich um die Einnahmen
aus der Steuer, mit denen sie ihre Projekte zur Weltverbesserung
finanzieren wollen. Für mich aber ist das Geldeintreiben gerade
nicht der Schwerpunkt. Ich wollte den Devisenhandel bremsen,
Steuereinnahmen sind für mich nur ein Nebenprodukt.
...
SPIEGEL: Müsste die Einführung dieser Spekulationsteuer nicht
überall zeitgleich erfolgen, um Schlupflöcher und Steueroasen zu
vermeiden? Wer soll das steuern? Eine internationale
Tobin-Steuer-Behörde?
Tobin: Das könnte doch der Internationale Währungsfonds (IWF)
machen. Der hat Erfahrung mit dem weltweiten Währungssystem.
Fast alle Länder sind dort Mitglied.
SPIEGEL: Ausgerechnet der IWF? Nicht nur unter
Globalisierungsgegnern gilt er als Erfüllungsgehilfe des globalen
Kapitalismus, der am besten abgeschafft gehört.
Tobin: Im Gegenteil: Ich denke, der IWF muss gestärkt und
vergrößert werden. Sicher hat er viele Fehler gemacht, kein
Zweifel. Aber ihm stehen, ebenso wie der Weltbank, viel zu wenig
Mittel zur Verfügung, um den Mitgliedsländern zu helfen, besonders
den armen und unterentwickelten Volkswirtschaften. Weltbank und
IWF sind nicht Teil einer Verschwörung, die Globalisierung heißt.
SPIEGEL: Gilt das auch für die Welthandelsorganisation WTO?
Tobin: Selbstverständlich. Schon ihr Vorläufer GATT hat viel Gutes
dafür getan, den Welthandel auszuweiten.
SPIEGEL: Nicht jeder sieht das so positiv. Zehntausende
Globalisierungsgegner stürmten 1999 in Seattle die
WTO-Ministerkonferenz.
Tobin: Die WTO braucht mehr Macht, auch über die USA. Die WTO
müsste etwa verbieten können, dass Industrieländer Importe aus
Entwicklungsländern mit Handelshemmnissen aller Art aussperren.
SPIEGEL: Fakt ist, dass die Industrieländer die Dritte Welt mit
Produkten beliefern und sie als Billigarbeiterpotenzial nutzen.
Tobin: Diese ganze Idee, IWF, Weltbank und
Welthandelsorganisation seien die Feinde der Entwicklungsländer,
halte ich für fehlgeleitet. Die Probleme der Globalisierung werden
nicht dadurch gelöst, dass man sie aufhält. Alle Länder und ihre
Einwohner profitieren vom freien Austausch von Gütern und Kapital.
...
SPIEGEL: Einzelne Länder mögen profitieren, doch global gesehen
werden die Reichen reicher und die Armen ärmer.
Tobin: Armut kann viele Ursachen haben, die meisten liegen in den
Ländern selbst. Die werden ihre Lage nicht durch solche
Maßnahmen verbessern können, wie sie die Globalisierungsgegner
empfehlen, etwa die weltweite Einführung von westlichen
Arbeitsplatzstandards. Damit vermindert man die
Wettbewerbsfähigkeit von Importen aus armen Ländern in reiche
Märkte.
SPIEGEL: Sie bezichtigen Attac, ein schlechter Anwalt armer
Länder zu sein?
Tobin: Ich kenne wirklich die Details der Attac-Vorschläge nicht
genau. Die jüngsten Proteste sind ziemlich widersprüchlich und
uneinheitlich, ich weiß nicht einmal, ob all das Attac widerspiegelt.
Im großen Ganzen sind deren Positionen gut gemeint und schlecht
durchdacht. Ich will meinen Namen nicht damit assoziiert wissen.
...
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich, dass Ihre Steueridee unter
Politaktivisten viele Anhänger hat, Wirtschaftsexperten sie jedoch
kritisieren?
Tobin: Tun ja nicht alle. Die meisten Ökonomen ignorieren meinen
Entwurf schlicht. Allerdings gibt es eine Reihe von Büchern und
Artikeln über die Tobin-Tax. Einige sind dafür, andere kritisieren sie,
manche sind unentschieden.
...
SPIEGEL: Glauben Sie, dass Ihre Tobin-Steuer einmal verwirklicht
wird?
Tobin: Keine Chance, fürchte ich. Die entscheidenden Leute in der
internationalen Finanzszene sind dagegen.
SPIEGEL: Die europäischen Wirtschafts- und Finanzminister
werden auf ihrer Konferenz Ende September in Lüttich die
Tobin-Tax diskutieren.
Tobin: Das wird wahrscheinlich eine reine Show. Ich bezweifle,
dass ernsthaft darüber nachgedacht wird. Die wollen den
Finanzsektor doch nicht mit einer zusätzlichen Steuer belasten. Die
wichtigsten Finanzminister der Welt sind gegen die Tobin-Steuer,
einschließlich der der Vereinigten Staaten - ob es nun Clintons
Mann war oder Bushs.
...
Aus: DER SPIEGEL 36/2001
Erwiderung von Peter Wahl (Attac)
Seit den globalisierungskritischen Protesten von Genua ist die Tobin-Steuer zur
Eindämmung von spekulativen Devisentransaktionen überall in der Diskussion - nun
meldet sich auch ihr Erfinder, Nobelpreisträger James Tobin im SPIEGEL zu Wort.
Dabei verteilt er auch einige polemische Seitenhiebe auf Attac als einem der
Hauptprotagonisten für die Einführung der Steuer.
Attac freut sich, dass Tobin sich in die Diskussion einmischt und die Notwendigkeit
der Steuer noch einmal begründet. Auch anderen Positionen Tobins kann Attac
problemlos zustimmen. Wir haben uns die Tobin-Steuer vor allem wegen ihrer
Lenkungswirkung auf die Fahnen geschrieben und nicht wegen "der Einnahmen aus
der Steuer, mit denen Projekte zur Weltverbesserung finanzieren wollen". Wenn als
"Nebenwirkung" Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe anfallen, dann will auch
Attac, ganz im Sinne Tobins, dass dieses Geld den Armen zu gute kommt.
Hauptzweck der Steuer bleibt es aber, Sand ins Getriebe der Spekulation zu werfen
und damit dem "Diktat der Finanzmärkte", wie Tobin es formuliert, etwas
entgegenzusetzen. Die Tobin-Steuer kann hierzu sicherlich nur ein erster Baustein
sein und weitere Schritte gehören dazu. Etwa die Schließung von Steueroasen, die
Stabilisierung der Leitwährungen, der Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen oder eine
Stärkung der Börsen- und Bankenaufsicht.
Der Vorwurf, dass Attac internationale Institutionen pauschal ablehnen würde, trifft
nicht zu. Zunehmend globalisierten Märkten muss ein globaler Ordnungsrahmen
entgegengesetzt werden, der die Allmacht der Märkte wieder unter demokratische
Kontrolle bringt. WTO, IWF und Weltbank könnten theoretisch hierfür durchaus
geeignete Institutionen sein. Solange sie jedoch unter der Fuchtel der Industrieländer
und der neoliberalen Marktideologie stehen, nutzen sie hauptsächlich den reichen
Ländern und müssen deshalb grundlegend reformiert werden. Beispielsweise haben die
Strukturanpassungsprogramme des IWF keineswegs die Situation des Südens
verbessert. Vielmehr haben die neoliberalen Patentrezepte, wie die wahllose
Liberalisierung des Außenhandels und Kapitalverkehrs, Senkung der Steuersätze,
Privatisierung und eine strikte Haushaltsdisziplin gerade in Krisenzeiten die Probleme
weiter verschärft. Attac ist durchaus für Globalisierung, aber für die Globalisierung
von sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz und Demokratie.
Die Seitenhiebe Tobins Auf ATTAC scheinen auf Unkenntnis zu beruhen. Er sagt
selbst, er kenne "die Details der Attac-Vorschläge nicht genau." Von daher sehen wir
ihm Entgleisungen im Stile von "Anti-Globalisierungs-Revoluzzern" nach.
Entschieden müssen wir jedoch einigen anderen seiner Äußerungen wiedersprechen.
Zu bestreiten, dass die Armut in der Welt zugenommen habe, läuft allen empirischen
Tatsachen zuwider Wir empfehlen ihm den jüngsten Weltbankbericht "Attacking
Poverty", dort findet Herr Tobin alle einschlägigen Statistiken. Tobin ist ein guter
Finanzökonom, von Entwicklung scheint er jedoch nicht viel zu verstehen, denn
gerade Südkorea ist ein Beispiel dafür, wie durch Protektionismus und rigide staatliche
Regulierung das entwicklungspolitische Take off geschafft wurde. Erst danach, als
sich die Entwicklung als stabil erwiesen hatte, wurde liberalisiert. Sequenzing sagen
die Entwicklungsökonomen dazu.
Ebenso von der Wirklichkeit überholt ist die These, alle Länder und ihre Einwohner
würden vom freien Austausch von Gütern und Kapital profitieren. Auch hier gibt es
Weltbankstudien, die belegen, dass ohne geeignete Verteilungsmechanismen in einem
Land, die unteren Einkommensschichten bei Handelsliberalisierungen sogar noch
draufzahlen. Die liberale Vorstellung alle Länder könnten in ganz unterschiedlichen
Entwicklungsstadien ebenbürtig miteinander konkurrieren erscheint ebenso weltfremd,
wie ein Fussballspiel an einem steilen Hang als fair zu bezeichnen - oben der Norden,
unten der Süden. Auch bei der Behauptung, die Globalisierungskritiker würden die
weltweite Einführung von "westlichen Arbeitsstandards" in den Entwicklungsländern
fordern, ist Tobin nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Bei der Diskussion um
Sozialstandards in der WTO geht es um die fünf Kernarbeitsnormen der ILO. Hier
haben sich die EU, vorneweg die Bundesregierung, und die USA in der WTO an die
Spitze der Bewegung gesetzt!
Wenn Tobin schließlich die nur auf Preisstabilität bedachte Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank kritisiert, so können wir dem aus vollem Herzen zustimmen.
Auch hier erweist sich Tobin als kompetenter Kritiker neoliberaler Politik, die die
Bedienung der Interessen von Finanzanlegern als einziges Ziel von Wirtschaftspolitik
ansieht. Also, streiten Sie mit uns, gegen die Diktatur der Finanzmärkte, nicht gegen
ATTAC, Herr Tobin!
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