Globalisierung gestalten oder begrenzen?
Bundeskanzler Schröder entdeckt sein Herz für Globalisierungsgegner - Eine passende Antwort von Elmar Altvater
Nachdem vor kurzem sogar der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber Verständnis für die Globalisierungsgegner geäußert hat, wollte sich der deutsche Bundeskanzler nicht lumpen lassen. Auf der 5. Internationalen Wirtschaftstagung der SPD in Berlin am 4. September 2001 mahnte er die Zuhörer die Anliegen der Globalisierungskritiker ernst zu nehmen. Auch wenn es kein analytischer Höhenflug war, zu dem Gerhard Schröder ansetzte, ist seine Rede doch interessant, weil in ihr jene Punkte benannt werden, die künftig bei den sog. Sonntagsreden sozialdemokratischer Politiker vorzugsweise auftauchen und vielleicht sogar Gegenstand kosmetischer Retuschen im neuen Wahl- und Regierungsprogramm der SPD für das Wahljahr 2002 werden.
Da traf es sich gut, dass am selben Tag in der Frankfurter Rundschau ein Beitrag des Berliner Ökonomieprofessors Elmar Altvater (Autor von "Grenzen der Globalisierung", zusammen mit B. Mahnkopf) erschien, der sich fast wie eine Antwort auf das Kanzlerwort liest. Der Beitrag von Altvater ist natürlich schon vorher und in Unkenntnis der Kanzlerrede verfasst worden. Er passt aber: Eine kritische Widerlegung durchsichtiger Anbiederungsversuche der Regierenden an ihre Kritiker.
Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus der Rede des Kanzlers sowie aus dem Zeitungsbeitrag Elmar Altvaters.
Gerhard Schröder:
"Mit mir ist eine Amerikanisierung der Gesellschaft nicht zu machen"
... (..) seit einiger Zeit bemerken wir eine Unruhe, eine Sorge bei vielen
Menschen, die uns nicht gleichgültig lässt. Die Unruhe betrifft ganz
allgemein das Phänomen der sogenannten "Globalisierung".
So töricht es war und wäre, dieses Phänomen als
"Mode-Erscheinung" von einigen Uneinsichtigen abzutun, die
Herausforderung einer international vernetzten Wirtschaft nicht
anzunehmen - so kurzsichtig wäre es, die Fragen nicht zur Kenntnis
zu nehmen, die sich viele Menschen heute stellen. Da zischt mit
hoher Geschwindigkeit ein riesengroßes Rad durch unser Leben - und
wir wissen nicht, wer es dreht. Das ist die Wahrnehmung bei vielen.
Und sie wollen wissen: Haben diejenigen, die an diesem rasant
beschleunigten Fortschritts-Prozess beteiligt sind, ob als Politiker,
Wirtschaftsmanager oder Wissenschaftler, überhaupt noch einen
Einfluss auf die Entwicklung?
Oder ist die Globalisierung eine Art Naturgewalt, die über uns
hinwegfegt? Göteborg, Seattle und Genua sind zu Synonymen
geworden für den Protest vor allem junger Menschen - ich spreche
hier ausdrücklich nicht vom Krawall-Block. Sondern von der
überwiegenden Mehrheit engagierter Jugendlicher, die nicht
nachlassen, uns zu ermahnen, dass auch wirtschaftliche Entwicklung
in großen Dimensionen einen sozialen Sinn haben muss. Sie kritisieren
die vermeintlichen Auswirkungen der Globalisierung auf die einzelnen
Menschen, auf das gesellschaftliche Zusammenleben, auf die
Entwicklung von einzelnen Ländern und ganzen Kontinenten, auf das
globale ökologische Gleichgewicht und auf die Qualität von
Demokratie.
Politik scheint mir gut beraten, diesen Protest, auch wenn er häufig
keine präzise politische Richtung zu haben scheint, durchaus ernst zu
nehmen. Ich spreche, wie gesagt, nicht von den Gewalttätern, die
diese Gipfeltreffen bloß zum Anlass nehmen für blindwütige Randale.
Aber die vielen Aktiven zum Beispiel aus kirchlichen Gruppen oder
Dritte-Welt-Initiativen, die eine unkontrollierte Herrschaft der
internationalen Finanzmärkte und Großkonzerne befürchten und für
globale Gerechtigkeit und Solidarität eintreten - das sind ja
keineswegs nur Spinner. Sie beklagen das, was der Autor Peter
Schneider einmal die "Weltraumkälte der Globalisierung" genannt hat.
Ich halte überhaupt nichts davon, diese jungen Menschen pauschal
als "Globalisierungsgegner" oder "Globalisierungsfeinde" in eine
Schublade zu packen. Denn gleichgültig, ob ihr Protest moralisch,
religiös, ökologisch oder wirtschaftlich motiviert ist: Sie wissen in
aller Regel sehr genau, dass die Globalisierung nicht rückgängig
gemacht werden kann. Aber mit ihrer Kritik an ungleichen
Handelsbeziehungen oder Finanzspekulationen, die ganze
Volkswirtschaften an den Rand des Ruins bringen, sind sie ja in guter
Gesellschaft.
Michael Moore, der Generaldirektor der WTO, hat erst vor kurzem in
aller Öffentlichkeit gesagt, er selbst teile bis zu 80 Prozent der
Argumente jener Kritiker. Nun weiß er natürlich genauso wie wir, dass
wir nicht Zuschauer der Globalisierung sind. Sondern dass wir selbst,
in der WTO und anderswo, diese Entwicklung der weltweiten
Marktbeziehungen steuern müssen. Wir stellen dabei nicht die
weltweite wirtschaftliche Arbeitsteilung in Frage und auch nicht
länderübergreifende Firmenzusammenschlüsse. Wir wissen, dass die
internationale Zusammenarbeit nicht nur bei uns in Deutschland und
Europa viele Arbeitsplätze sichert, sondern auch und gerade für die
armen und ärmsten Länder neue Chancen und große Vorteile bietet.
Es geht überhaupt nicht darum, die sogenannten Entwicklungsländer
dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen. Gerade deshalb
setzen wir uns so entschieden für die Gestaltung von
Globalisierungsprozessen durch Politik ein. Für die Durchsetzung von
politisch-ethischen Prinzipien auch in der Weltwirtschaft, einen
Ordnungsrahmen für die internationalen Finanzmärkte - die schließlich
Entwicklung fördern sollen. Es geht, kurz gesagt, um eine Rückkehr
der Politik. Um eine politische, demokratische Steuerung der
Globalisierung.
Übrigens: Wenn sich junge Menschen für die Einhaltung der
Menschenrechte, für Entwicklung und Wohlstand in allen Regionen
dieser einen Welt einsetzen, dann ist das zunächst einmal Ausdruck
einer lebendigen demokratischen Kultur.
Und Ausdruck der Lebendigkeit unserer politischen Werte. Denn hier
artikuliert sich nicht nur der Anspruch auf Teilhabe und Mitsprache in
öffentlichen Belangen, sondern auch die Bereitschaft zur Anteilnahme
am Schicksal des anderen und Bereitschaft zur weltweiten
Solidarität.
...
Natürlich stoßen in einer weltweit integrierten Produktion, mit "Global
Players", die für ihre jeweiligen Aktivitäten weltweit nach dem für sie
günstigsten Standort suchen, und mit transnationalen
Unternehmensnetzwerken nationale Regierungen mit ihren
Handlungsspielräumen auch an Grenzen. Aber deswegen ist Politik
noch lange nicht ohnmächtig. Sie entscheidet und sie handelt.
So setzt sich die Bundesregierung für die Einführung internationaler
Umwelt- und Sozialstandards ein. Wir engagieren uns für eine
bessere internationale Finanzarchitektur und für klare Regeln im
Kampf gegen Wirtschafts- und Währungskrisen. Mit vielen anderen
arbeiten wir für die Bekämpfung von Geldwäsche, und wir setzen uns
für wirksame Beschränkungen bei sogenannten "Steueroasen" ein.
Beim Weltwirtschaftsgipfel in Köln haben wir auf Initiative der
Bundesregierung eine Entschuldungsinitiative für die ärmsten Länder
verabredet. Bislang sind diesen ärmsten Ländern bereits mehr als 100
Milliarden Mark erlassen worden. Das verschafft ihnen neue
Möglichkeiten für eine friedliche und gedeihliche Entwicklung.
Wir haben, trotz der bekannten, erheblichen Widerstände, auf der
Klimakonferenz in Bonn die Umsetzung des Kyoto-Protokolls auf den
Weg gebracht. Und wir Deutschen haben dabei die Verantwortung
angenommen, dass man bei der Verbesserung von Energie-Effizienz
und der Reduktion von Treibhausgasen auch einmal vorangehen
muss, um andere zum Mitmachen zu ermuntern. Es ist schon so:
Ohne unser Engagement wäre der Kyoto-Prozess längst tot und
begraben.
Schließlich haben wir mit großem Nachdruck die Bitte des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, aufgegriffen,
ein internationales Programm zur Bekämpfung von Aids aufzulegen.
...
Und jawohl, ich betrachte es als eine große Errungenschaft, dass
sich die europäischen Gesellschaften nicht mit schreienden
Einkommensgegensätzen und sozialer Ausgrenzung abfinden. Wir
haben klare Vorstellungen von Mitgefühl und Menschenwürde. Und
genau das habe ich im übrigen gemeint, als ich in einem anderen
Zusammenhang gesagt habe: Mit mir ist eine Amerikanisierung der
deutschen Gesellschaft nicht zu machen.
Elmar Altvater:
Die Globalisierung ist kein Naturereignis
... Der deutsche Bundestag hat eine Enquete-Kommission eingesetzt, die sich mit
der "Globalisierung der Weltwirtschaft" befasst und in diesen Wochen den
Zwischenbericht nach eineinhalbjähriger Arbeit verabschieden und demnächst dem
Parlament unterbreiten wird. Wer von dem Bericht eine Antwort auf die vielen Fragen erwartet, die gegenwärtig
diskutiert werden, wird enttäuscht sein. Die Wissenschaftler streiten sich ebenso
über eine Bewertung der Globalisierung wie die Politiker. Für die Liberalen unter
ihnen ist die Globalisierung gleichbedeutend mit mehr Freiheit und Wohlstand.
Daraus leiten sie ab, weiter machen zu können wie bisher. Nur müssten die letzten
Globalisierungshemmnisse abgebaut und die Regierungen verpflichtet werden, sich
den ehernen Gesetzen des Weltmarkts anzupassen. Dies sei eine Chance, die
man sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht entgehen lassen sollte.
Diese Position ist attraktiv, da sie den Einzelnen jeweils die Verantwortung für ihr
Schicksal auf globalen Märkten belässt. Aber sie ist gefährlich wie süßes Gift.
Denn mit der Anerkennung der globalen Sachzwänge wird nicht nur die
demokratische Selbstbestimmung eines Volkes ausgehebelt, es werden auch die
Krisen der Globalisierung mit ihren desaströsen Folgen für die Menschen in
Südostasien, Lateinamerika, Russland oder in der Türkei hinwegerklärt.
Doch ein auf diese Weise liberal geschöntes Bild der Globalisierung wird nicht
mehr akzeptiert. Dies haben die Proteste von Seattle, Prag, Göteborg und Genua
so deutlich werden lassen, dass auch die liberalen Befürworter sich - wenn sie
denn sensibel genug sind - zerknirscht fragen, wo der Fehler in ihrem Modell liegen
könne.
Die Antwort auf diese rhetorische Frage lautet in der Regel: Man müsse die
Globalisierung zwar akzeptieren, aber zugleich gestalten. Der Kanon ... reicht
von verbesserter Transparenz auf Finanzmärkten über Maßnahmen zur
Stabilisierung der Wechselkurse bis zu einer Demokratisierung der internationalen
Finanzinstitutionen und einer Entschuldung der hochverschuldeten
Entwicklungsländer. Das sind vernünftige Maßnahmen. Trotzdem ist es schwer,
dafür Mehrheiten zu gewinnen. Denn Modelle einer völlig liberalisierten
Weltwirtschaft und die Freiheit der Geschäfte, die ohne hinderliche Regulierung
genutzt werden kann, und zwar bis zum Crash, sind zu attraktiv. Sollte dieser
drohen, kann davon ausgegangen werden, dass der IWF zur Seite springt. Das ist
ein Geschäft ohne Risiko: Den Schuldnern werden Gelder zugeführt, damit sie die
Kredite der Gläubiger bedienen und diese nicht in einen Konkurs mitreißen. Dass
Schuldner nach einer solchen Rettungsaktion höher verschuldet sind als zuvor, ist
ein Schönheitsfehler, der aber selten zum Nachdenken über die Prinzipien der
globalen Finanzmärkte provoziert.
Entgegen der liberalen Deregulierungsrhetorik geht es also ohne politisch
gespanntes Sicherheitsnetz für die Finanzjongleure auf dem Hochseil ihrer
riskant-spekulativen Geschäfte nicht. Dabei hat man nicht allein deren Sicherheit
vor Augen, sondern die Konsequenzen, die ein Absturz für andere bedeuten würde:
für den Staatshaushalt, die Beschäftigung, die Einkommen der Massen.
Doch reicht das defensive Sicherheitsnetz aus? ... Weder von den weichen Maßnahmen, die von mehr
Transparenz bis zur Verpflichtung zur Kooperation (von Finanzdrehscheiben mit der
OECD) reichen, noch von einer Tobin-Steuer oder Zielzonen für Wechselkurse ist
die Krisenfreiheit einer kapitalistischen Weltwirtschaft zu erwarten. Die hat es nie
gegeben, und die wird es auch nicht geben können.
Also sind auf globaler Ebene Maßnahmen vor allem danach zu beurteilen, ob sie
Krisentendenzen fördern oder dämpfen und ob sie geeignet sind, beim Ausbruch
der Krise als "Gegengift" verwendet zu werden. Diese Überlegungen laufen darauf
hinaus, nicht nur nach Regeln einer "Gestaltung der Globalisierung" zu suchen, so
als ob Globalisierung ein unabänderliches Naturereignis wäre, das man durch
Gartenpflege menschengerecht machen könne. Es geht nicht nur um eine reaktive
Ordnungspolitik, die den Akteuren der Globalisierung alle Freiheiten belässt,
sondern um Eingriffe ins Wirtschaftsgeschehen nach der Maßgabe von politischen
Zielvorgaben wie Einkommens- und Beschäftigungssicherung oder
Verteilungsgerechtigkeit.
Sollen diese Ziele der Globalisierung geopfert werden? Das mag wie ein gradueller
Unterschied klingen. Doch ist es entscheidend, nicht nur die Globalisierung zu
gestalten, sondern den Akteuren der Globalisierung Grenzen zu setzen. Es darf
nicht mehr sein, dass des kurzfristigen spekulativen Profits wegen ganze
Volkswirtschaften in eine Krise gestürzt werden. Jüngstes Beispiel ist Argentinien.
In den letzten zehn Jahren sind durch die Finanzkrisen an die 20 Prozent des
Sozialprodukts der betroffenen Länder vernichtet worden. Dieser Preis ist zu hoch.
Die Rede von einem "fairen Interessenausgleich" zwischen Nord und Süd, oben
und unten ist sympathisch, aber verharmlosend - oder paradox, wie der
Sponti-Imperativ von annodunnemal: "Du hast keine Chance, also ergreife sie!"
Aus: Frankfurter Rundschau, 4. September 2001
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