Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir haben Alternativen – eine andere Welt ist moeglich!"

Dokumentiert: Die Erklaerung der Versammlung sozialer Bewegungen von Erfurt, 24. Juli 2005

Der Ausgang des Referendums zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden ebenso wie die Regierungskrise in Deutschland beweisen:
Immer weniger vertrauen die Buergerinnen und Buerger auf Empfehlungen und Aussagen der herrschenden Politikerinnen und Politiker. Die neoliberale Politik der vergangenen Jahre steckt in einer tiefen Legitimationskrise. Es hat sich als falsch erwiesen, dass durch Sozialabbau die Erwerbslosigkeit gesenkt wird. Das Gegenteil ist eingetreten und wird durch das Festhalten an der Lissabon-Strategie weiter verschaerft: die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, Jung und Alt, Menschen mit und ohne genehmen Pass, in "Leistungserbringer" und "Alimentenbezieher". Die Gewerkschaften und die abhaengig Beschaeftigten sehen sich einem Generalangriff auf Tarifautonomie, Mitbestimmungsrechte und Kuendigungsschutz ausgesetzt. Demokratieabbau und steigende Repressionen gehen einher mit Militarisierung. Die Massnahmen zum Schutz der natuerlichen Umwelt sind voellig unzureichend. Die Kluft zwischen GlobalisierungsgewinnerInnen und -verliererInnen wird tiefer. All das erfuellt zahlreiche Menschen mit wachsender Sorge um eine lebenswerte Zukunft – global, in Europa und auch hier in Deutschland.

Als Teil der internationalen und globalisierungskritischen Bewegung trafen wir uns in Erfurt – nicht nur, um die politischen und sozialen Verhaeltnisse grundlegend zu kritisieren, sondern auch, um unsere Alternativen zu entwickeln fuer eine solidarische, demokratische, oekologische, nicht-patriarchale und sozial gerechte Gesellschaft.

Soziales und Arbeit neu denken. Wir fordern eine komplette Neuausrichtung der Sozial- und Arbeitspolitik. Wir brauchen ein existenzsicherndes Mindesteinkommen/ Grundeinkommen fuer jede und jeden jetzt als Alternative zu Hartz IV, einen gesetzlichen Mindestlohn, eine menschenwuerdige Rente ohne Diskriminierung, massive Arbeitzeitverkuerzung.

Wir treten ein fuer eine solidarische Gesellschaft, ohne Ausgrenzung und Massenerwerbslosigkeit, ohne Armut und soziale Spaltung, in der jeder und jede sich umfassend bilden und entwickeln und in unterschiedlichen Formen taetig werden kann, chronisch Kranke und behinderte Menschen gleichgestellt sind, jeder Mensch das Recht auf Zugang zu oeffentlichen Guetern und Dienstleistungen hat. Die Privatisierungen in diesen Bereichen muessen gestoppt werden. Wir wollen eine Gesellschaft, in der jede und jeder am gesellschaftlihen Reichtum angemessen und sicher teilhat. Geld ist genug da! Solidarische Einfachsteuer jetzt!

Eine nach innen und aussen friedliche Gesellschaft, die auf militaerische Gewalt verzichtet und auch oekonomisch auf der Basis von Gleichberechtigung und Solidaritaet mit anderen Laendern und Weltregionen zusammenarbeitet. Wir lehnen den "Krieg gegen den Terror" ab – er wird zum Vorwand genommen, um demokratische Rechte einzuschraenken und Musliminnen und Muslime zu stigmatisieren. Wir fordern die Ruecknahme der Antiterrorgesetze und des Zuwanderungsgesetzes sowie den sofortigen Stopp aller Deportationen von Fluechtlingen! Wir brauchen keine weltweit einsatzfaehige Interventionsarmee, sondern Krisenpraevention und zivile Konfliktbearbeitung. Stoppt die milliardenschweren Aufruestungsprogramme! Die ausserhalb Deutschlands stationierten Bundeswehrtruppen muessen abgezogen werden. Die faktische Unterstuetzung der Besatzungsherrschaft und der US-Kriegsfuehrung im Irak muss beendet werden. Fuer einen gerechten Frieden in Palaestina! Wir bleiben bei unserem konsequenten Nein zur EU-Verfassung!

Eine oekologische zukunftsfaehige Gesellschaft, die den Ausstoss von Klimagasen und umweltbelastenden Stoffen sowie den Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen auf ein international vertraegliches Mass senkt. Das bedeutet bei uns eine oekologisch konsequente Landwirtschaft-, eine Siedlungs-, Energie- und Verkehrspolitik auf der Basis regenerativer Energien und den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.

Eine geschlechtergerechte Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt leben und in der Maenner nicht ueber die Koepfe der Frauen entscheiden. Dies ist zur Zeit in Politik, Gesetzgebung sowie in der Arbeitswelt immer noch die diskriminierende Realitaet.

Eine demokratische Gesellschaft – mit weit ueber Wahlkaempfe und Wahltage hinausgehender demokratischer Teilhabe und aktiver Partizipation sowie Entscheidungskompetenz fuer alle Einwohnerinnen und Einwohner auf allen Ebenen: von der unmittelbaren Interessenvertretung ueber oekonomische Entscheidungsprozesse, betriebliche Mitbestimmung bis hin zu allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Fragen – von der kommunalen Ebene bis zur europaeischen und globalen. Wege dahin sind die Ausweitung von BuergerInnenbegehren und BuergerInnenentscheiden auf allen Ebenen sowie Beteiligungshaushalte.

Eine andere Welt ist moeglich, wenn wir gemeinsam die totale Vermarktung der Menschen und ihrer Umwelt stoppen und globales Zusammenleben neu gestalten. Dazu brauchen wir Austausch und Begegnung wie bei diesem Sozialforum in Erfurt:

Verstaerkte Vernetzung der sozialen Bewegungen vor Ort, nicht zuletzt in Form der lokalen Sozialforen, um die Menschen zu befaehigen, Akteure direkter Demokratie zu werden. Dazu gehoert auch die Verknuepfung zu ueberregionalem Austausch und gemeinsamer Aktion.

Globalisierung von unten: Kommunikation und Kooperation unabhaengig von Kultur, Religion, Geschlecht und Hautfarbe. Der gemeinsame Kampf weltweit fuer globale soziale Rechte fuer alle ist unsere Aufgabe. Wir fordern Schuldenstreichung und das Ende der neoliberalen Strukturanpassungsprogramme.

Ob es gelingt, weiteren neoliberalen Umbau zu verhindern, haengt entscheidend von den Protesten der sozialen Bewegungen vor und nach den Bundestagswahlen ab. Wer auch immer regieren wird und weiteren Sozialabbau betreibt, er muss mit unserem massiven Widerstand rechnen.

Als gemeinsame Aktionen der naechsten Monate schlagen wir vor:
  • Einen dezentralen bundesweiten Aktionstag am 5. September: Soziale Bewegungen melden sich zum Wahlkampf zu Wort!
  • Eine Aktions- und Strategiekonferenz der sozialen Bewegungen am 19./20. November 2005.
  • Die Mobilisierung zum europaeischen Aktionstag fuer ein soziales Europa am 15. Dezember 2005 in Bruessel sowie die Fortsetzung der Kampagne gegen die EU-Verfassung und die Proteste gegen die EU-Richtlinien zu Dienstleistung, Arbeitszeit und Militarisierung.
  • Bundesweite globalisierungskritische Aktionstage im Zusammenhang mit der Fussball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006: Gegen Ueberwachungswahn, gegen die ausbeuterische Poduktionsweise von Nike und Co. sowie gegen Rassismus.
  • Eine Kampagne gegen die Politik der G 8 anlaesslich ihres Gipfels im Juli 2007 in Heiligendamm.
Wir laden im Herbst 2007 zu einem zweiten Sozialforum in Deutschland ein.

Ausserdem unterstuetzen wir folgende Veranstaltungen und Aktionen:
  • Die Aktionen gegen Gentechnik in der Landwirtschaft "Tanz in den Mais" am 30./31. Juli 2005.
  • Die Aktionen der Friedensbewegung am Hiroshimatag und Antikriegstag.
  • Das Aktionswochenende gegen Lager und fuer Bewegungsfreiheit am 24./25. September.
  • Die Aktionen der Friedensbewegung gegen die Verlaengerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr im Oktober 2005.
  • Den Kongress "Grundeinkommen. In Freiheit taetig sein" in Wien, 7.–9. Oktober 2005.
  • Die landesweiten Aktionen in Baden-Wuerttemberg gegen Wohnungsnot und Armut am 12. Oktober 2005
  • Die Demonstration gegen Atomkraft und fuer erneuerbare Energien am 5. November in Lueneburg sowie die nachfolgenden Aktionen gegen die Castor-Transporte.
  • Den Buergerkonvent "Fuer ein anderes Europa" in Rom am 12./13. November 2005.
  • Den weltweiten Aktionstag am 10. Dezember gegen die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong: "Stoppt die WTO-Konzern- Agenda"!
  • Das internationale Symposium ueber Isolation von Gefangenen vom 17. bis 20. Dezember in Paris.
  • Die Proteste gegen die Einfuehrung von Studiengebuehren und Abschaffung der Lehrmittelfreiheit im Herbst 2005 und Fruehjahr 2006.
  • Gegenaktionen zur NATO-Sicherheitskonferenz vom 3.–5. Februar 2006 in Muenchen.
  • Einen bundesweiten Aktionstag der lokalen Sozialforen fuer ein lebenswertes Europa im Zusammenhang mit einer europaeischen Initiative am 4. Maerz 2006.
  • Die Beteiligung am naechsten Europaeischen Sozialforum in Athen im April 2006.
  • Die Ostermaersche der Friedensbewegung im Fruehjahr 2006.
  • Europaeische Maersche fuer ein soziales, demokratisches und friedliches Europa zum EU-Gipfel nach Wien im Juni 2006.



Zur Seite "Globalisierung"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage