"Wir haben Alternativen – eine andere Welt ist moeglich!"
Dokumentiert: Die Erklaerung der Versammlung sozialer Bewegungen von Erfurt, 24. Juli 2005
Der Ausgang des Referendums zur EU-Verfassung in Frankreich
und den Niederlanden ebenso wie die Regierungskrise in
Deutschland beweisen:
Immer weniger vertrauen die Buergerinnen und Buerger auf
Empfehlungen und Aussagen der herrschenden Politikerinnen und
Politiker. Die neoliberale Politik der vergangenen Jahre steckt in
einer tiefen Legitimationskrise. Es hat sich als falsch erwiesen,
dass durch Sozialabbau die Erwerbslosigkeit gesenkt wird. Das
Gegenteil ist eingetreten und wird durch das Festhalten an der
Lissabon-Strategie weiter verschaerft: die zunehmende Spaltung
der Gesellschaft in Arm und Reich, Jung und Alt, Menschen mit
und ohne genehmen Pass, in "Leistungserbringer" und
"Alimentenbezieher". Die Gewerkschaften und die abhaengig
Beschaeftigten sehen sich einem Generalangriff auf Tarifautonomie,
Mitbestimmungsrechte und Kuendigungsschutz ausgesetzt.
Demokratieabbau und steigende Repressionen gehen einher mit
Militarisierung. Die Massnahmen zum Schutz der natuerlichen
Umwelt sind voellig unzureichend. Die Kluft zwischen
GlobalisierungsgewinnerInnen und -verliererInnen wird tiefer. All das
erfuellt zahlreiche Menschen mit wachsender Sorge um eine
lebenswerte Zukunft – global, in Europa und auch hier in
Deutschland.
Als Teil der internationalen und globalisierungskritischen Bewegung
trafen wir uns in Erfurt – nicht nur, um die politischen und sozialen
Verhaeltnisse grundlegend zu kritisieren, sondern auch, um unsere
Alternativen zu entwickeln fuer eine solidarische, demokratische,
oekologische, nicht-patriarchale und sozial gerechte Gesellschaft.
Soziales und Arbeit neu denken. Wir fordern eine komplette
Neuausrichtung der Sozial- und Arbeitspolitik. Wir brauchen ein
existenzsicherndes Mindesteinkommen/ Grundeinkommen fuer
jede und jeden jetzt als Alternative zu Hartz IV, einen gesetzlichen
Mindestlohn, eine menschenwuerdige Rente ohne Diskriminierung,
massive Arbeitzeitverkuerzung.
Wir treten ein fuer eine solidarische Gesellschaft, ohne
Ausgrenzung und Massenerwerbslosigkeit, ohne Armut und
soziale Spaltung, in der jeder und jede sich umfassend bilden und
entwickeln und in unterschiedlichen Formen taetig werden kann,
chronisch Kranke und behinderte Menschen gleichgestellt sind,
jeder Mensch das Recht auf Zugang zu oeffentlichen Guetern und
Dienstleistungen hat. Die Privatisierungen in diesen Bereichen
muessen gestoppt werden. Wir wollen eine Gesellschaft, in der
jede und jeder am gesellschaftlihen Reichtum angemessen und
sicher teilhat. Geld ist genug da! Solidarische Einfachsteuer jetzt!
Eine nach innen und aussen friedliche Gesellschaft, die auf
militaerische Gewalt verzichtet und auch oekonomisch auf der
Basis von Gleichberechtigung und Solidaritaet mit anderen
Laendern und Weltregionen zusammenarbeitet. Wir lehnen den
"Krieg gegen den Terror" ab – er wird zum Vorwand genommen,
um demokratische Rechte einzuschraenken und Musliminnen und
Muslime zu stigmatisieren. Wir fordern die Ruecknahme der
Antiterrorgesetze und des Zuwanderungsgesetzes sowie den
sofortigen Stopp aller Deportationen von Fluechtlingen! Wir
brauchen keine weltweit einsatzfaehige Interventionsarmee,
sondern Krisenpraevention und zivile Konfliktbearbeitung. Stoppt
die milliardenschweren Aufruestungsprogramme! Die ausserhalb
Deutschlands stationierten Bundeswehrtruppen muessen
abgezogen werden. Die faktische Unterstuetzung der
Besatzungsherrschaft und der US-Kriegsfuehrung im Irak muss
beendet werden. Fuer einen gerechten Frieden in Palaestina!
Wir bleiben bei unserem konsequenten Nein zur EU-Verfassung!
Eine oekologische zukunftsfaehige Gesellschaft, die den Ausstoss
von Klimagasen und umweltbelastenden Stoffen sowie den
Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen auf ein international
vertraegliches Mass senkt. Das bedeutet bei uns eine oekologisch
konsequente Landwirtschaft-, eine Siedlungs-, Energie- und
Verkehrspolitik auf der Basis regenerativer Energien und den
sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.
Eine geschlechtergerechte Gesellschaft, in der alle Menschen
gleichberechtigt leben und in der Maenner nicht ueber die Koepfe
der Frauen entscheiden. Dies ist zur Zeit in Politik, Gesetzgebung
sowie in der Arbeitswelt immer noch die diskriminierende Realitaet.
Eine demokratische Gesellschaft – mit weit ueber Wahlkaempfe
und Wahltage hinausgehender demokratischer Teilhabe und aktiver
Partizipation sowie Entscheidungskompetenz fuer alle
Einwohnerinnen und Einwohner auf allen Ebenen: von der
unmittelbaren Interessenvertretung ueber oekonomische
Entscheidungsprozesse, betriebliche Mitbestimmung bis hin zu
allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Fragen – von der
kommunalen Ebene bis zur europaeischen und globalen. Wege
dahin sind die Ausweitung von BuergerInnenbegehren und
BuergerInnenentscheiden auf allen Ebenen sowie
Beteiligungshaushalte.
Eine andere Welt ist moeglich, wenn wir gemeinsam die totale
Vermarktung der Menschen und ihrer Umwelt stoppen und globales
Zusammenleben neu gestalten. Dazu brauchen wir Austausch und
Begegnung wie bei diesem Sozialforum in Erfurt:
Verstaerkte Vernetzung der sozialen Bewegungen vor Ort, nicht
zuletzt in Form der lokalen Sozialforen, um die Menschen zu
befaehigen, Akteure direkter Demokratie zu werden. Dazu gehoert
auch die Verknuepfung zu ueberregionalem Austausch und
gemeinsamer Aktion.
Globalisierung von unten: Kommunikation und Kooperation
unabhaengig von Kultur, Religion, Geschlecht und Hautfarbe. Der
gemeinsame Kampf weltweit fuer globale soziale Rechte fuer alle
ist unsere Aufgabe. Wir fordern Schuldenstreichung und das Ende
der neoliberalen Strukturanpassungsprogramme.
Ob es gelingt, weiteren neoliberalen Umbau zu verhindern, haengt
entscheidend von den Protesten der sozialen Bewegungen vor und
nach den Bundestagswahlen ab. Wer auch immer regieren wird
und weiteren Sozialabbau betreibt, er muss mit unserem massiven
Widerstand rechnen.
Als gemeinsame Aktionen der naechsten Monate schlagen wir vor:
-
Einen dezentralen bundesweiten Aktionstag am 5. September:
Soziale Bewegungen melden sich zum Wahlkampf zu Wort!
- Eine Aktions- und Strategiekonferenz der sozialen Bewegungen
am 19./20. November 2005.
- Die Mobilisierung zum europaeischen Aktionstag fuer ein soziales
Europa am 15. Dezember 2005 in Bruessel sowie die Fortsetzung
der Kampagne gegen die EU-Verfassung und die Proteste gegen
die EU-Richtlinien zu Dienstleistung, Arbeitszeit und Militarisierung.
- Bundesweite globalisierungskritische Aktionstage im
Zusammenhang mit der Fussball-Weltmeisterschaft im Sommer
2006: Gegen Ueberwachungswahn, gegen die ausbeuterische
Poduktionsweise von Nike und Co. sowie gegen Rassismus.
- Eine Kampagne gegen die Politik der G 8 anlaesslich ihres
Gipfels im Juli 2007 in Heiligendamm.
Wir laden im Herbst 2007 zu einem zweiten Sozialforum in
Deutschland ein.
Ausserdem unterstuetzen wir folgende Veranstaltungen und
Aktionen:
-
Die Aktionen gegen Gentechnik in der Landwirtschaft "Tanz in
den Mais" am 30./31. Juli 2005.
- Die Aktionen der Friedensbewegung am Hiroshimatag und
Antikriegstag.
- Das Aktionswochenende gegen Lager und fuer Bewegungsfreiheit
am 24./25. September.
- Die Aktionen der Friedensbewegung gegen die Verlaengerung des
Afghanistan-Mandats der Bundeswehr im Oktober 2005.
- Den Kongress "Grundeinkommen. In Freiheit taetig sein" in Wien,
7.–9. Oktober 2005.
- Die landesweiten Aktionen in Baden-Wuerttemberg gegen
Wohnungsnot und Armut am 12. Oktober 2005
- Die Demonstration gegen Atomkraft und fuer erneuerbare
Energien am 5. November in Lueneburg sowie die nachfolgenden
Aktionen gegen die Castor-Transporte.
- Den Buergerkonvent "Fuer ein anderes Europa" in Rom am
12./13. November 2005.
- Den weltweiten Aktionstag am 10. Dezember gegen die
WTO-Ministerkonferenz in Hongkong: "Stoppt die WTO-Konzern-
Agenda"!
- Das internationale Symposium ueber Isolation von Gefangenen vom 17. bis 20.
Dezember in Paris.
- Die Proteste gegen die Einfuehrung von Studiengebuehren und
Abschaffung der Lehrmittelfreiheit im Herbst 2005 und Fruehjahr 2006.
- Gegenaktionen zur NATO-Sicherheitskonferenz vom 3.–5. Februar 2006 in
Muenchen.
- Einen bundesweiten Aktionstag der lokalen Sozialforen fuer ein
lebenswertes Europa im Zusammenhang mit einer europaeischen Initiative am 4.
Maerz 2006.
- Die Beteiligung am naechsten Europaeischen Sozialforum in
Athen im April 2006.
- Die Ostermaersche der Friedensbewegung im Fruehjahr 2006.
- Europaeische Maersche fuer ein soziales, demokratisches und
friedliches Europa zum EU-Gipfel nach Wien im Juni 2006.
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