Spiegelbild der Zivilgesellschaft
Nichtregierungsorganisationen zwischen Macht und Gegenmacht
Von Susanne Götze *
Auf UN-Gipfeln heißen sie kurz »NGOs«. Nichtstaatliche Organisationen sind seit dem Erdgipfel von Rio von der internationalen politischen Bühne nicht mehr wegzudenken.
Kopenhagen, Dezember 2009: Auf den Gängen des UN-Konferenzzentrums drängeln sich Schaulustige, um die erste Demonstration von NGO-Vertretern innerhalb des Verhandlungsgebäudes zu bestaunen. Die Security wird leicht nervös, rund 100 akkreditierte Aktivisten bewegen sich lärmend und schreiend auf den Konferenzsaal zu, in dem Vertreter aus 191 Staaten über einen gemeinsamen Klimavertrag verhandeln. Die Demo machte auch vor den Pforten des Konferenzsaales nicht halt - die Verhandlungen müssen unterbrochen werden. Die Folge: Der Saal wird von da an streng bewacht, die Zahl der NGO-Vertreter auf dem Gelände limitiert.
Die »Konferenzdemo« von Kopenhagen war ein Beispiel dafür, den Protest von der Straße in die Verhandlungszimmer zu tragen, Ansonsten sind radikale Manifestationen auf UN-Konferenzen eher selten, meist setzen NGOs auf Lobbyarbeit, versuchen Druck über Medien und Gespräche auf die Konferenzteilnehmer zu machen.
Tausende Vertreter nichtstaatlicher Organisationen akkreditieren sich bei UN-Gipfeln. Sie verfolgen sehr unterschiedliche Ziele: Manche sehen sich als Bindeglied zur Gesellschaft, andere setzen auf Lobbyarbeit und Vernetzung, wieder andere verstehen sich als Bindeglied zur Macht. Auf dem Erdgipfel von Rio 1992 einigten sich die NGO-Vertreter auf 46 alternative Vertragsentwürfe. In Johannesburg 2002 schlossen die rund 8000 anwesenden NGOs Partnerschaften und legten Umsetzungsvorschläge vor. Auch bei Rio+20 sollen Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt ein Alternativforum haben. Dieses Mal wird es extra ein »Online-Wiki« geben, in dem Vorschläge, Statements und Beschlüsse gesammelt werden.
»Es gibt NGOs, die vor den Pforten der Macht stehend protestieren, und jene, die ihre kritischen Impulse in die Verhandlungen direkt einbringen - beides ist unabdingbar«, meint Christoph Bals von der Nord-Süd-Initiative Germanwatch. Viele NGOs hätten Zugang zu den Delegationen der Staaten und stünden in direktem Kontakt zu den Verhandlungsführern. Obwohl beachtliche Erfolge erzielt wurden, seien viele NGO-Vertreter vor allem durch die mangelnde Umsetzung der vielen Beschlüsse zu den Millenniums- oder den Nachhaltigkeitszielen ernüchtert, meint Bals, der seit Mitte der 1990er Jahre insbesondere an UN-Klimakonferenzen teilnahm.
Die NGOs legen indes nicht nur detaillierte Vorschläge vor, sie begleiten die Konferenzen auch als Experten. Auf der bevorstehenden Rio-Konferenz gibt es wie schon in Kopenhagen die »Negotiator Tracker« - meist junge Leute, die von einem NGO-Bündnis angeheuert werden, um »den Mächtigen« auf die Finger zu schauen und den Verhandlungsprozess minutiös mitzuverfolgen. Mit einer Demo im Konferenzzentrum ist kaum zu rechnen, denn der Rahmen der Supertreffen hat sich professionalisiert.
Zudem muss genau hingeschaut werden, wer sich eigentlich bei UN-Konferenzen einschreibt: Neben den etablierten Umweltverbänden, sozialen und entwicklungspolitischen Initiativen oder aktionsorientierten linken Netzwerken wie Avaaz und Attac nutzen auch Wirtschaftsverbände und der private Sektor die Konferenzen als Ort für ihr Lobbying. Wasserkonzerne, Autofirmen und Grüne-Technologie-Unternehmen haben ihren eigenen Ausstellungsbereich, veranstalten »Side-Events« für Medien und Regierungsvertreter. Ziel ist neben Werbung in eigener Sache, auf die Berichterstattung und soweit möglich auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen. Innerhalb des Rio-Netzwerkes »Business Action for Sustainable Development 2012« sollen »neue Märkte erschlossen« und gemeinsam das Kapital für eine bessere Welt locker gemacht werden.
Dass die NGO-Teilnehmer ein Spiegelbild der Zivilgesellschaft sind, damit ist Germanwatch-Mitarbeiter Bals an sich einverstanden: »Ich habe nichts dagegen, dass in einer Halle Unternehmen ihre neuesten technischen Errungenschaften präsentieren.« Problematisch seien hingegen »Pseudo-Stiftungen und Pseudo-NGOs«, die im Gegensatz zu ihrem Namen nicht im Dienst einer guten Sache, sondern von Unternehmenslobbys stehen. Früher sei etwa die »Global Climate Coalition« politisch einflussreich gewesen, inzwischen finanzierten Konzerne wie Koch-Industries oder Exxon andere konservative Thinktanks. Diese Organisationen würden unter dem Deckmantel von Unabhängigkeit und öffentlichem Interesse versuchen, ihre Interessen politisch durchzusetzen und wissenschaftliche Positionen zu diskreditieren, warnt Bals.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Juni 2012
Teil 5 der nd-Serie zur Rio+20-Konferenz.
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