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Die Wut auf die Banken hält an

Aktivisten hatten sich vorgenommen, den Jahrestag ihrer Bewegung an deren Geburtsort zu feiern

Von Max Böhnel, New York *

Gestern wurde »Occupy Wall Street« ein Jahr alt. Am 17. September 2011 waren Demonstranten in Manhattans Finanzbezirk marschiert und hatten im Namen der »99 Prozent« gefordert, die Spekulanten zu zügeln. Die Bewegung breitete sich aus, doch nach gewaltsamen Räumungen ihrer Camps und etlichen Verhaftungen von Aktivisten wurde es ruhiger um sie. Ist »Occupy Wall Street« tot?

Montagmorgen um acht Uhr in der Nähe der Wall Street: vier Fahrradfahrer in Eisbärkostümen, dicht gefolgt von Polizisten auf Mopeds. Gesichts- und Ausweiskontrollen an eigens errichteten Checkpoints. Fahrzeuge der »Homeland Security«, die den Broadway hinunterrasen. Hubschrauber der New Yorker Polizei. Was sich in den folgenden Stunden bis zur Eröffnung der Börse in Downtown Manhattan abspielt, kommt der Besetzung des Finanzbezirks gleich. Dafür sorgen bis zu 1000 Demonstranten, die sich vorgenommen haben, den ersten Jahrestag von »Occupy Wall Street« entsprechend zu feiern.

Ein paarmal gelingt es kleineren Grüppchen, den Verkehr zu stoppen. Vor einigen Banken und einmal sogar in der Eingangslobby von »Morgan Chase« gelingt es mit Hilfe des »menschlichen Lautsprechers«, antikapitalistische Inhalte und Forderungen zu verbreiten. Aber die Präsenz von Polizeibeamten in Uniform und in Zivil sowie von Angestellten privater Sicherheitsfirmen ist so massiv, dass die meisten geplanten Blockaden im Ansatz vereitelt werden. Das größte Verkehrshindernis sind an diesem Morgen die Beschützer des Status Quo selbst. Denn jede Festnahme und jeder Prügeleinsatz findet zwangsläufig auf der Straße statt. Die Hochhausschluchten rund um die Wall Street, die mit Betonbarrikaden abgesperrt ist, lassen auf den Fußgängerwegen nur wenig Platz.

Dass sie immer noch da sei, wollte die Bewegung »Occupy Wall Street« ein Jahr nach ihrer Gründung unter Beweis stellen. Der Sonnabend hatte unter dem Motto »Aufklärung« gestanden. An der New York University hatte sich eine bunte Menge von Studenten, Menschenrechtlern, Friedensaktivisten und Kapitalismuskritikern versammelt, um sich - argwöhnisch von der Polizei belauert - auf den Jahrestag einzustimmen. Am Sonntag folgten unter dem Motto »celebration« Konzerte. Der Montag sollte mit direkten Aktionen zivilen Ungehorsams so nahe wie möglich an der Börse der Höhepunkt des ersten Jahrestags werden.

Occupy-Aktivisten bestanden darauf, dass der Jahrestag keine nostalgische Rückschau bleiben sollte. Vielmehr sieht sich die Bewegung im zweiten Lebensjahr erst am Anfang. Trotzdem haben sich viele nach den Räumungen der meisten Occupy-Zeltlager zurückgezogen. Das verbliebene Spektrum, dem sich junge Aktivisten angeschlossen haben, ist mangels einer zentralen Führung in mehrere unabhängig voneinander diskutierende Fraktionen zerfallen.

Ähnlich wie in Spanien engagieren sich die Aktivisten in der politischen und sozialen Kleinarbeit auf örtlicher Ebene, zusammen mit anderen fortschrittlichen Organisationen. Beispielsweise unterstützt die Chicagoer Occupy-Gruppierung derzeit den großen Streik der Lehrergewerkschaft.

Seit Monaten war in den US-amerikanischen Massenmedien von Occupy nichts mehr zu vernehmen gewesen - bis zu diesem Wochenende. Aber darauf legen die Aktivisten zurzeit wenig Wert. Der Alt-68er und Soziologieprofessor Todd Gitlin hält das für ein großes, aber nicht das einzige Problem. Neben dem Desinteresse der Medien und der polizeilichen Repression mache der Präsidentschaftswahlkampf in den USA einen Neuaufschwung derzeit unmöglich. Eine Wiederwahl Barack Obamas könne der Bewegung links der Demokraten aber neue Spielräume eröffnen, sagt Gitlin.

Der Herausgeber des kanadischen Magazins »Adbusters«, Kalle Lasn, der vor mehr als eineinhalb Jahren zur Besetzung öffentlicher Plätze aufgerufen hatte, gibt sich optimistischer. Unabhängig vom Wahlkampf habe sich »Occupy Wall Street« auf »Occupy Main Street« verlagert und Tausenden jungen Menschen die Zuversicht gegeben, dass gesellschaftliche Veränderungen möglich sind.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. September 2012


"Occupy" feiert Geburtstag

Kundgebungen in New York zum ersten Jahrestag der Protestbewegung

Von Simon Loidl **


Ein Jahr nach Beginn der »Occupy Wallstreet«-Proteste haben am Montag in New York bis zu 1000 Menschen an mehreren Kundgebungen und Demonstrationen teilgenommen. Obwohl diese friedlich verliefen, wurden bis zum Abend (Ortszeit) mindestens 200 Menschen festgenommen. Bereits am frühen Morgen hatten sich Gruppen von Demonstranten im New Yorker Stadtteil Manhattan in der Gegend um den Finanzdistrikt versammelt. Sie blockierten kurzzeitig Straßenkreuzungen und protestierten mit Sprechchören gegen die Macht von Banken, Konzernen und Wallstreet-Spekulanten. Die Polizei sperrte den Zuccotti-Park ab. Dort war im Herbst 2011 ein mehr als zwei Monate bestehendes Protestcamp aufgeschlagen worden, das zum Vorbild für zahlreiche ähnliche Zeltlager in den USA und Europa wurde.

Die Beteiligung an den Aktionen am Montag war angesichts der Größe der Protestwelle im vergangenen Herbst gering. Die anwesenden Aktivisten ließen sich dadurch aber nicht beirren. »Das ist eine Bewegung, und es gibt sie erst ein Jahr«, zitiert die Washington Post einen der Teilnehmer, »es wird mehrere Jahre dauern, bis diese sich entwickelt und wir herausfinden, wer wir genau sind«.

Die großen US-Medien konnten sich angesichts des raschen Abbröckelns der Bewegung am Jahrestag hämische Kommentare nicht verkneifen. Diese werde »eine Fußnote in den Geschichtsbüchern werden«, schrieb etwa Andrew Ross Sorkin, Finanzkolumnist der New York Times, »sofern sie überhaupt Erwähnung findet«. »Occupy Wallstreet« habe zwar durchaus erreicht, daß es einen nationalen Dialog über ökonomische Ungleichheit gegeben habe, von den großen Zielen der Bewegung – etwa neue gesetzliche Regulierungen von Spekulationsgeschäften – sei aber letztlich nichts erreicht worden. Der einzige Erfolg, so Sorkin sarkastisch, sei gewesen, daß einige der großen US-Banken nach Protesten den Plan zurückgezogen hätten, neue Kreditkartengebühren einzuführen.

Viele der im Zuge von »Occupy« öffentlich diskutierten Themen bewegten auch Bevölkerungsgruppen, die sich nicht unmittelbar an den Protesten beteiligten. Das spiegelt auch die laufende Wahlkampagne von US-Präsident Barack Obama wider. Den Wirtschaftskonzepten der Demokraten werden da die »Romney Economics« gegenübergestellt, wobei letztere das repräsentieren, wogegen die »Occupy«-Bewegung protestierte. Die im November stattfindenen Präsidentschaftswahlen werden von Obamas Partei als Richtungsentscheidung zwischen einer Politik für alle US-Amerikaner und einer Elitenpolitik dargestellt; auf den Kampagnenseiten finden sich zahlreiche Argumente, die genau so auch von den moderateren Teilen der Protestbewegung formuliert wurden. Obamas Herausforderer, der Republikaner Mitt Romney, wird dagegen als Inbegriff aller Feindbilder gezeigt, die von »Occupy« identifiziert wurden.

Romney selbst läßt dabei keine Gelegenheit aus, die Einschätzung zu bestätigen, daß seine Politik ausschließlich den US-Eliten diene. Am Montag sorgte in den USA ein Video für Aufregung, in dem der republikanische Präsidentschaftskandidat bei einer Veranstaltung für wohlhabende Unterstützer seiner Wahlkampagne zu sehen ist. Darin sagt er, daß »47 Prozent der Menschen« in jedem Fall für Obama stimmen würden, weil sie glaubten, Opfer zu sein und Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch den Staat zu haben. Er sehe es nicht als seine Aufgabe, sich über diese Leute Gedanken zu machen, so Romney weiter: »Ich werde sie nie überzeugen, daß sie Verantwortung übernehmen und sich um ihr eigenes Leben kümmern müssen.«

Die Hoffnung vieler »Occupy«-Aktivisten, daß im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften ein dauerhafter Widerstand gegen diese Art von Politik entstehen würde, hat sich indes nicht erfüllt. Daß ein Jahr nach dem plötzlichen Auftauchen der Bewegung deren Anliegen von den demokratischen Wahlkampfstrategen als populistische Slogans aufgegriffen werden, zeugt ebenfalls davon, daß die Dynamik von »Occupy« längst verloren gegangen ist.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. September 2012


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