Nairobi: "Ein Marktplatz der sozialen Bewegungen"
Weniger Teilnehmer als erwartet - Strategiedebatten - Demos: Weitere Berichte vom Weltsozialforum 2007 in Nairobi (Kenia)
Über 100.000 Teilnehmer wurden zum siebten Weltsozialforum erwartet, das vom 20. bis 25. Januar 2007 in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, und damit zum ersten mal in Afrika stattfand. Diese Zahl wurde offenbar nicht erreicht. Das tat der Stimmung und dem Ertrag an Erfahrung und Wissen der teilnehmenden Delegationen aus rund 100 Ländern der Erde aber keinen Abbruch.
Im Folgenden dokumentieren wir weitere Artikel von Berichterstattern vor Ort.
Eine andere Welt ist möglich? Die Armen wollen sie!
Kenias Hauptstadt ist dieser Tage ein Marktplatz der sozialen Bewegungen
Von Haidy Damm, Nairobi *
Kenias Hauptstadt Nairobi ist noch bis Donnerstag (24. Januar) Schauplatz des 7. Weltsozialforums, für das sich
nach Angaben der Organisatoren bisher 46 000 Teilnehmer registrieren lassen haben.
Die Auftaktdemonstration beginnt pünktlich um 10 Uhr in Kibera. Diesem Stadtteil Nairobis wird der
zweifelhafte Ruhm zugeschrieben, der größte Slum Afrikas zu sein. Gerade wirbt die Regierung für
ein Wohnungsbauprogramm: 600 moderne Hochhäuser sollen entstehen. Dafür werden Hütten
abgerissen. Der erste Spatenstich allerdings ist noch nicht getan. »Aber es sind ja noch Wahlen in
diesem Jahr«, sagt einer der Männer, die sich das bunte Treiben des Weltsozialforums vom Rande
ansehen. Ein Ansporn also für Präsident Mwai Kibaki, der gegenwärtig bei seinen Landsleuten nicht
gerade hoch im Kurs steht. Zwar soll er die Demokratisierung Kenias vorangetrieben haben, aber
sein Versprechen, mit der Korruption aufzuräumen, blieb uneingelöst.
Anne Njeri lebt in Kibera. Die 35-Jährige ist mit anderen Frauen aus ihrer Kirchengemeinde zur
Demonstration gekommen. Sie ist froh, dass das Weltsozialforum in ihrem Stadtteil beginnt. »Wir
haben hier so viele Probleme – Aids/HIV, Arbeitslosigkeit –, da ist es gut, dass wir jetzt darauf
aufmerksam machen können«, sagt sie und tanzt davon.
Debatten ums Geld
Später im Uhuru-Park, dem Park der Freiheit, zur Kundgebung spricht auch der ehemalige Präsident
Sambias über diese Probleme. Kenneth Kaunda ist mittlerweile 83 Jahre alt, vergessen haben ihn
die Menschen nicht. Er wird begeistert empfangen. Kaunda spricht über den Unabhängigkeitskampf
gegen die Kolonialherrschaft – ein Thema, das in Kenia lange tabu war. Denn die Mau-Mau-Bewegung, die offen gegen die britische Kolonialmacht gekämpft hatte, wurde auch nach der
Unabhängigkeitserklärung 1963 verschwiegen. Heute, zur Eröffnung des Weltsozialforums, ist das
anders. An der Bühne prangt ein großes Banner mit dem Konterfei Dedan Kimathis, der 1957
gehängt wurde. »Es ist besser, aufrecht zu sterben, als auf den Knien zu leben«, wird er zitiert.
Sambias Altpräsident Kaunda spricht aber nicht nur über die Vergangenheit. Er fordert
Geschlechtergerechtigkeit und einen wirksameren Kampf gegen die Armut. Seit 1986 berührt ihn
auch das Thema Aids besonders. Damals starb sein Sohn an dieser Krankheit. Für Kaunda und
seine Frau war das Anlass, an die Öffentlichkeit zu gehen. »Das ist jetzt 20 Jahre her, und noch
immer gibt es viel zu tun«, sagt er und beendet seine Rede mit einem Lied. Die Menschen hören ihm
zu, nach der ersten Strophe fallen viele in den Refrain ein.
Szenenwechsel. Es ist der erste Tag des Sozialforums. Das Stadion »Moi International« in Kasarani
füllt sich langsam. Rund um die Arena sind Reihen von Pavillons aufgebaut. Einige sind noch leer,
um andere drängen sich schon Trauben von Interessierten. An den Wänden hängen Transparente
und Plakate: »Eine andere Welt ist möglich – auf der Asche des Neoliberalismus«. Dazwischen
laufen Wasserverkäufer herum. Vincent ist einer von ihnen. »Eigentlich bin ich Elektriker, aber jetzt
habe ich keine Arbeit mehr.« So geht es vielen hier, die Arbeitslosenrate liegt bei rund 40 Prozent.
Kein Wunder, dass viele auf das Sozialforum und seine 100 000 Besucher gehofft haben. Mavis
zum Beispiel hat wie zwei seiner Freunde seine Wohnung leer geräumt. Sein Freund habe sogar 30
Betten herangeschafft und einen Kühlschrank, bei Mavis hätte es zwei Gästezimmer gegeben. Er
selbst, Radiomoderator, und sein Mitbewohner wären so lange ins eigentliche Gästezimmer
gezogen, das früher für Hausangestellte bestimmt war. »Und weißt du, was passiert ist? Niemand ist
gekommen! Alle wohnen in den großen Hotels. Dabei haben mir die Leute vom
Vorbereitungskomitee gesagt, da würden Hunderttausende kommen.«
Das Weltsozialforum ist auch ein ökonomischer Faktor. Und während Mavis und seine Freunde
keine Lust mehr haben, auf eine Veranstaltung zu gehen, sagt der Wasserverkäufer, für
Veranstaltungsbesuche habe er keine Zeit.
Viele andere hätten wohl Zeit und würden gerne kommen, aber sie können die Registrierungsgebühr
von 500 kenianischen Schilling – das ist ein durchschnittlicher Wochenlohn – nicht aufbringen. »Ihr
sagt, eine andere Welt ist möglich. Wir Armen sagen: Wir wollen eine bessere Welt«, empört sich
eine der Aktivistinnen auf einer Pressekonferenz des Organisationskomitees. »Wir wollen am
Weltsozialforum teilnehmen, denn wir sind die Menschen, um die es in einer anderen Welt geht.
Aber wir sind nicht bereit, 500 Schilling zu bezahlen, um mit euch über unsere Armut zu diskutieren.«
»Wissen Sie, dass 60 Prozent aller Kenianer unter der Armutsgrenze leben und weniger als einen
US-Dollar am Tag haben?«, stand auf einem selbst gemalten Schild, das Aktivisten des
kenianischen »People's Parliament« (Volksparlament) bei der Auftaktkundgebung vor sich her trugen.
Oduor Ongwen weiß das. Er ist Kenianer und gehört zum Organisationskomitee. Und er weiß auch,
dass mehr Einheimische anwesend wären, wenn der Eintritt frei wäre. Und dass es hässliche
Szenen an den Toren gab. Als er gefragt wird, warum am ersten Tag die Tore nicht für alle geöffnet
wurden, sagt er: »Wie gerne hätten wir das getan, aber es geht nicht!« Die Gründe sind schlicht: Das gesamte Forum hat 5 Millionen US-Dollar gekostet. Und anders als im brasilianischen Porto
Alegre gibt es in Kenia keine Unterstützung durch die Regierung. »Sollen wir deshalb das Forum nur
in Ländern ausrichten, deren Regierungen uns freundlich gesonnen sind?«, fragt Moema Miranda
vom brasilianischen Organisationsteam. »Nein, denn das untergräbt die Autonomie des Sozialforums!«
Um trotzdem möglichst allen eine Teilnahme zu ermöglichen, gibt es Veranstaltungen in der ganzen
Stadt. Außerdem hat das Komitee einen Fonds eingerichtet, aus dem 7000 Menschen die
Teilnahme am Forum finanziert wird. Auch der Verkauf von Tagestickets für 50 Schilling wurde
beschlossen. Ongwen wendet aber auch ein: »Es sind häufig dieselben Leute, die mir sagen ›Mach
das Tor auf!‹ und sich später beschweren, wenn ihre Kamera weg ist.« Mit der kenianischen
Regierung haben die Organisatoren zwar über Sicherheitsfragen beraten, direkte finanzielle
Unterstützung gab es jedoch nicht. Trotzdem haben sich nach Angaben der Organisatoren 8000
Kenianer registrieren lassen.
Frauen in Schwarz
Gegen Abend des ersten Tages erschallt »Malibongwe« über den Platz. Das stammt aus der Xhosa-
Sprache und bedeutet etwa »Lob den Frauen«. Die Frauen in Schwarz (Women in Black) sind
nämlich da. Während immer wieder einzelne Frauen vortreten und ein Lied anstimmen, stehen die
anderen im Kreis und halten Schilder in den Händen: »Entwicklung schafft Armut«, steht darauf,
oder »Globalisierung ist Völkermord.« Es liegt viel Energie in der Luft. Aber auch viel Wut. »Wir
wollen nicht nur über die Gewalt sprechen, die Frauen täglich erleben. Wir wollen auch über die
Weisheit der Frauen sprechen, die durch ihre eigene Geschichte entstanden ist. Und darüber, dass
auch Armut eine Geschichte hat«, sagt eine Frau aus Indien am Rande der Demonstration. Drinnen
ruft derweil eine kleine, alte Frau, die alle respektvoll »Mama« nennen: »Es lebe die Frau! Nieder mit
der Globalisierung!« Der Chor antwortet ihr vielstimmig.
Im Stadion finden derweil überall Veranstaltungen statt. Die Tribüne ist in einzelne Abschnitte
unterteilt worden. In einem debattieren rund 50 Menschen über den Krieg in Irak und dessen
gesellschaftliche Folgen. Eine ältere Frau meldet sich zu Wort, zunächst spricht sie nur langsam,
aber je länger sie redet, desto mehr bricht die Wut aus ihr heraus. »Wir Muslime haben Angst. Jeden
Tag kann eine Bombe unser Haus zerstören. Aber wo soll ich hin? Wenn ich in die USA wollte, hätte
ich wieder Angst. Diesmal, weil Mr. Bush mich womöglich nach Guantanamo bringt und behauptet,
ich wäre eine Terroristin. Dabei bin ich ein friedlicher Mensch, ich will nur Sicherheit für mich und
meine Kinder.« Das Publikum applaudiert ihr, als sie aufgeregt wieder auf die Stadionbank sinkt.
Schulden sind der Tod
Mittlerweile geht der erste Tag zu Ende. Es wird merklich kühler, die Straße ums Stadion und die
großen Veranstaltungszelte leeren sich. Thomas Okollah vom Kenianischen Netzwerk für den
Schuldenerlass ist zufrieden mit dem Tag. Seine Plakate und Flugblätter sind alle weg, er hat mit
sehr vielen Menschen gesprochen. »Schulden sind Sklaverei. Schulden sind der Tod«, ist seine
Losung. Der Aktivist sieht den Sinn des Weltsozialforums in erster Linie in der Möglichkeit des
Austausches und der Vernetzung. »Wir erfahren hier, was andere so machen, und durch unsere
gemeinsamen Diskussionen kommen wir am Ende auf eine gemeinsame Strategie«, hofft er.
Für den G 8-Gipfel hat er nur eine Bitte an die deutsche Regierung: »Erlauben Sie allen Aktivisten,
nach Deutschland zu kommen und ihre Meinung zu dem Ganzen zu sagen. Unsere Forderung ist
die nach bedingungsloser Schuldenstreichung.« Vor dem Weltsozialforum hatte die kenianische
Regierung Aktivisten gerade aus afrikanischen Staaten ein Visum verweigert. Von der deutschen
Regierung erhofft sich der Kenianer ein besseres Demokratieverständnis.
Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2007
Strategiedebatte in Nairobi
Weltsozialforum biegt auf Zielgerade ein / Weniger Teilnehmer als erwartet
Von Haidy Damm, Nairobi **
Heute findet in Nairobi die Abschlusszeremonie des siebten Weltsozialforums statt. Gestern stand
die Strategiedebatte der Globalisierungskritiker im Mittelpunkt des Treffens.
Eine Demonstration aus Afrikas angeblich größtem Slum, Kibera, machte den Anfang, ein
Slummarathon bildet heute den Abschluss des siebten Weltsozialforums in Nairobi.
Wie es weiter geht mit dem größten Treffen der Sozialen Bewegungen und
Nichtregierungsorganisationen, ist noch unklar. Einen zweijährigen Wechsel von großem Forum und
dezentralen Aktionswochen, die Idee von inhaltlichen Fachforen, aber auch der Wunsch, die lokale
Bevölkerung und deren Basisaktivisten mehr einzubeziehen, wird derzeit in Nairobi verhandelt. Sicher wird es einen Aktionsplan für verschiedene Themen geben.
»Es ist Zeit für Aktionen, auch wenn wir noch diskutieren werden. ›Genug ist genug‹ – das muss als
Slogan deutlich werden«, sagte Fatima Aloo, Mitglied im Vorbereitungskomitee in Kenia. »Wir
müssen wieder stärker auf der Straße präsent sein und vor allem müssen wir die Menschen aus den
Gemeinden einbeziehen, denn die sind es, die auch für Demonstrationen und Aktionen mobilisieren
können«, sagt auch eine Teilnehmerin aus Indien. Das Forum hatte in diesem Jahr neben der
großen Eröffnung und dem Slummarathon heute am Abschlusstag sehr wenig Aktionen außerhalb
des Stadions. Stattdessen gab es immer wieder kleinere Aktionen und Märsche direkt im Stadion.
Zur Demokratisierung gehöre es auch, sich von den intellektuellen Hörsaalveranstaltungen zu
verabschieden, so Oded Grajew aus Brasilien, einer der so genannten Väter des WSF. In diesem
Jahr gab es erstmals am vierten Tag kaum Veranstaltungen, stattdessen Vernetzungs- und
Strategietreffen.
Kritik gab es daran, dass das Forum innerhalb Kenias wenig bekannt war. Ein weiterer Streitpunkt
war der Zugang und die Teilnahme der armen Bevölkerung. Nach energischen Protesten, bei denen
rund 200 Aktivisten kurzzeitig Straße blockierten und ein Tor eingerissen, hatte das
Organisationsteam für alle Kenianer freien Eintritt beschlossen.
In der Debatte um die Zukunft des Forums spielte auch die Frage der Autonomie eine Rolle. So
plädierten gerade die brasilianischen Delegierten für eine starke Unabhängigkeit von politischen
Parteien und Regierungen, auch wenn sie fortschrittlich sind.
Thematische Schwerpunkte waren die Landfrage, Zugang zu Wasser, HIV/Aids, Menschenrechte
und Handelsabkommen. Besonders bei diesen Fragen zeichnet sich ab, dass die USA nicht mehr
allein für Militarisierung und Ausbeutung verantwortlich gemacht werden. So gibt es mit der sehr
präsenten Kritik an den geplanten Europäischen Freihandelsabkommen (EPA) eine Debatte, die
auch auf die Verantwortlichkeit der Europäer zielt.
Neben dem Aktionsplan für das kommende Jahr, ist das Netzwerk Steuergerechtigkeit auf dem
Sozialforum mit seiner Afrika Kampagne an die Öffentlichkeit getreten. »Jede finanzielle
Unterstützung in Form von Krediten oder Hilfe fließt mittlerweile in achtfacher Höhe aus dem
Kontinent zurück; Geldwäsche und kriminelle Fonds machen den afrikanischen Kontinent zu einer
Paradies«, so Alvin Mosioma, Koordinator der Kampagne in Kenia. In den vergangenen zehn Jahren
seien 25 Milliarden US-Dollar Kredite und Unterstützung nach Afrika geflossen, geschätzte 200
Milliarden flossen in die andere Richtung, bezifferte das Netzwerk.
Die Resonanz auf das Weltsozialforum blieb unter den Erwartungen. Nur 46.000 Registrierungen
verzeichnet das Organisationsteam, davon kommen 8000 allein aus Kenia.
Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2007
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