Tatort Börse
Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte von Michael Moore
Von Gunnar Decker *
Den Deutschen hat es anscheinend so gut gefallen, mit Milliarden an Steuergeldern die Banken zu retten, dass sie gleich die FDP in die Regierung gewählt haben! Eine bemerkenswerte Folgerung aus der Finanzkrise. Nun wird weiter das Geld vor der Steuer - »Mehr Netto vom Brutto« - gerettet, die jedoch im Zweifelsfalle wieder das an der Börse verspekulierte Geld wird retten müssen.
Warum das eigentlich so ist, darüber hat Michael Moore einen Film gemacht: »Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte«. Mit fröhlicher Direktheit fördert er darin die alltäglichen Ungeheuerlichkeiten zutage. Da versteht man dann Goyas »Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor« gleich viel besser - auch wenn diese Ungeheuer heute alle freundlich lächeln und regelmäßige Fitness-Studiobesucher sind. Reichsein ist zum Sport geworden, da achtet man auf seine Gesundheit - arm sein dagegen bleibt ungesund. Dies ist ein weiteres Kapitel von Moores Amerika-Epos nach »Bowling for Columbine« und »Fahrenheit 9/11«. Eine Geschichte, wie sie Charles Dickens nicht schauriger hätte erfinden können - direkt aus dem Herzen der Finsternis eines Kapitals, das sich nicht einmal mehr die Mühe macht, irgend etwas von mehr oder weniger vorhandenem Wert auf den Markt zu bringen, sondern nur noch mit Geld zockt. Derivatehandel heißt der Schlüssel zum ganz schnellen und faulen Geldzauber - und wie dieser Handel eigentlich funktioniert, das kann vor Moores Kamera nicht einmal ein Wirtschaftsprofessor vernünftig erklären. Ist ja auch nicht vernünftig. Eher ein trickreiches Spiel mit Illusionen, das lange Zeit aus gutem Grund von Gesetz wegen verboten war. Doch wenn weiterhin die lichte Aussicht besteht, die riesigen Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu vergesellschaften, warum dann damit aufhören?
Eine Albtraumszenerie aus dem Mutterland des amerikanischen Traums, der doch ursprünglich ein Mittelstandslebensgefühl war. Aber der Mittelstand stürzt gerade ab ins soziale Nichts. Moore, der Patriot, das »Gewissen Amerikas«, will nicht stillschweigend mit ansehen, wie eine Mafia aus Bankern und den ihnen hörigen Politikern das Land ruiniert und öffentlich bei jedem neuen Finanzcrash die Hände in Unschuld wäscht. Und er geht in Robin-Hood-Manier direkt auf sein Thema los.
Auf ihn wirkt die groß angelegte »Bankenrettung« wie ein inszenierter ökonomischer Staatsstreich. Und tatsächlich, blickte man auf die Bush-Regierung, dann sah man das Finanzressort komplett von Goldman Sachs unterwandert. Ob das nun tatsächlich anders wird? Moore jedenfalls sperrt schon mal eigenmächtig mit einem gelben Tatort-Band die Wall Street weiträumig ab und steht an den Toren der Finanzpaläste mit einem großen Dollarsack, das 700-Milliarden-Dollar-Geschenk an die Banker wieder abzuholen. Das ist die Art von Aktion, die die Amerikaner an ihm mögen. Immer forsch und ganz direkt - aber nicht auf eigene Rechnung unterwegs, sondern als Chronist eines stetig wachsenden Schattenreiches in der amerikanischen Gesellschaft.
Der Reichtum einiger explodiert unaufhörlich weiter - trotz des schweren Unfalls auf der Geldautobahn. Auch die Armut vieler wächst unaufhörlich - und sie wächst auch dort, wo man sie nicht vermutet. Moore reiht Beispiel an Beispiel. Er interviewt einen Piloten einer US-Airline, der im Jahr 17 000 Dollar verdient, was nicht zum Leben reicht. Darum hat der Pilot einen Zweitjob - Blutplasmaspender. Mangel, Not hier und ungezügelte Geldgier da. Moore dokumentiert die Praktiken vieler Unternehmen, die auf ihre Mitarbeiter - »tote Bauern« genannte einfache Angestellte - ohne deren Wissen Lebensversicherungen abschließen. Wenn dann einer stirbt, kassiert das Unternehmen diesen »Bonus«. Ein privates Gefängnis wird gezeigt, in dem Jugendliche wegen Bagatellvergehen oft viele Monate einsaßen - weil der Richter einen Deal mit den Betreibern hatte. Orwells Fantasie hätte nicht ausgereicht, sich so etwas auszumalen.
Eine ganze Schicht von Hausbesitzern (schuldenfrei) wurde mit dem Bankerslogan »Dein Haus ist deine Bank« überredet, Hypotheken zu Konsumzwecken aufzunehmen. Die Zinsen explodierten dann folgerichtig, wie im Kleingedruckten verklausuliert angekündigt - und aus Hausbesitzern wurden Obdachlose. Jedoch traf dies Schicksal zu viele, sodass die Banken mit den ihren Wert verlierenden Häusern nichts mehr anfangen konnten - also machten sie dann aus den Schulden wieder neue scheinbar lukrative Immobilienfonds. Hört das nun auf? Moore ist skeptisch. Anrührend, wie er mit seinem alten Vater spricht, der sein ganzes Leben in einer großen Fabrik gearbeitet hat - und wir sehen an dieser Stelle nur noch eine einzige Brache.
Moore spielt die Rede des todkranken Roosevelt von Anfang der 40er Jahre ein, in der er das Recht auf Arbeit jedem Bürger verfassungsmäßig garantieren wollte. Doch dann habe Amerika das versäumt, was es selbst in anderen Staaten wie in Westdeutschland nach dem Kriege mit initiiert habe: einen starken Sozialstaat aufzubauen. Ist es damit auch bei uns nun bald ganz vorbei, wie es die Neoliberalen wollen? Da klingt es plötzlich weder nostalgisch, noch pathetisch, wenn Moore den - erfolgreichen - Arbeiteraufstand der Fensterhersteller in Chicago vor vielen Jahrzehnten dokumentiert und zu den Tönen der Internationale zur Revolution aufruft.
In der akuten Phase der Finanzkrise schienen sich viele einig, dass die asoziale Macht der Börsenzocker global eine existenzgefährdende Dimension erreicht hat. Doch schon ist es wieder schulterzuckend vergessen. Das ist das eigentlich Ungeheuerliche am Kapitalismus: Er pervertiert Hoffnungen.
* Aus: Neues Deutschland, 12. November 2009
Über Moores Film lesen Sie auch:
"Capitalism: A Love Story"
Der neue Film von Michael Moore in den Kinos angelaufen. Eine Besprechung aus der Schweizer Wochenzeitung WOZ
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