Für eine andere Welt
Bunter Protest gegen G-8-Gipfeltreffen im Norden Irlands
Von Florian Osuch, Belfast *
Im Norden Irlands begann am Montag das jährliche Spitzentreffen der sieben reichsten westlichen Industrienationen plus Rußland. Ein mehrere Quadratkilometer umfassendes Gebiet um den Austragungsort in der ländlichen Region Fermanagh wurde zum gesperrten Bereich erklärt. Ein rund fünf Kilometer langer und drei Meter hoher Zaun riegelt die »Rote Zone« um das Luxushotel am See Erne ab, wo sich die Regierungsschefs von Kanada, Japan, den USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Rußland treffen. Mehrere tausend Sicherheitskräfte sind zusammengezogen worden. Für die nordirische Polizei ist es der bisher größte Einsatz seit Beginn des Friedensprozesses in Nordirland. Unterstützt wird der Police Service of Northern Ireland von mehreren tausend Kräften aus England und Schottland sowie von Beamten des britischen Geheimdienstes und dem der USA. Ab den frühen Morgenstunden kreisten Polizeihubschrauber über Belfast, und Straßen waren abgesperrt.
Am Vormittag traf US-Präsident Barack Obama am Internationalen Flughafen rund 25 Kilometer nördlich von Belfast ein und wurde per Helikopter in die Stadt gebracht. Dabei dürfte ihm die gigantische Parole »G-8 warcriminals« (G-8 Kriegsverbrecher) nicht entgangen sein, die von Aktionskünstlern in der Nacht zuvor an die Hänge der Black Mountain aufgebracht worden war. Die Gruppe »Gael Force Art« hatte bereits beim Besuch der englischen Queen in Belfast mit riesigen weißen Planen den Slogan »Unsere einzige Königin ist Irland« an den Hügeln befestigt, die Belfast gen Westen umgeben. Nach einer Debatte mit 2000 mehrheitlich jungen Nordiren in der Belfaster Waterfront Hall ging es für den US-Präsidenten weiter ins Golfhotel nach Fermanagh.
In Enniskillen, der Ort, der dem G-8-Gipfel am nächsten liegt, hatten Kapitalismus-Gegner am Sonntag ein kleines Protestcamp errichtet. Für Montag abend – nach jW-Redaktionsschluß – war in der 13000-Einwohner-Stadt ein Marsch Richtung »Rote Zone« geplant. Busse brachten Demonstranten aus allen Teilen Irlands, nördlich und südlich der Grenze, nach Enniskillen.
Das ganze Wochenende hatten bereits Kritiker des G-8-Treffens in Belfast demonstriert und bei zahlreichen Veranstaltungen Alternativen zum Kapitalismus debattiert. Am Samstag zogen mehrere tausend Menschen unter dem Motto »Eine andere Welt ist möglich« durch die nordirischen Metropole. Der Protestzug wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet, das in dieser Form selbst für die Unruheprovinz ungewöhnlich war. Gepanzerte Fahrzeuge standen in den Seitenstraßen der Innenstadt bereit, und mit Maschinenpistolen ausgestattete Beamte standen an großen Kreuzungen. Im Vorfeld hatte die Polizei, die etablierte Politik sowie einige Vertreter des Anti-G-8-Kommittees vor Gewalttätigkeiten gewarnt und mögliche Krawallmacher (»Troublemakers«) zum Fernbleiben aufgefordert.
Die bunte Demonstration verlief jedoch friedlich und war von Internationalismus geprägt. An der Spitze des Marsches formten mit Masken verkleidete Aktivisten aus Buchstaben den Slogan »Free Bradley Manning«. Andere trugen Fahnen von Kuba und Venezuela oder Banner für die Freilassung der »Cuban Five«. Auf zahlreichen Transparenten äußerten Demonstrationsteilnehmer ihre Solidarität mit dem Befreiungskampf der Palästinenser und forderten ein Ende der israelischen Apartheidpolitik.
Nahezu alle Spektren der Linken, von bürgerlichen Kräften bis zu revolutionären und kommunistischen Organisationen waren vertreten. Gewerkschafter der Verbände ICTU (Irish Congress of Tradeunion) und NIPSA (Northern Ireland Public Service Alliance) stellten die größte Gruppe der Demonstranten. Vertreten waren Umweltschutzgruppen, die gegen Frackinganlagen protestierten sowie Initiativen gegen die militärische Nutzung des Shannon-Flughafens im Westen Irlands, einem der wichtigsten Drehkreuze für die US-Armee und ihre Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan. Anwesend waren zahlreiche sozialistische und kommunistische Organisationen aus Irland und Großbritannien ebenso wie irisch-repulikanische Gruppierungen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte Schilder mit der Aufschrift »Obama: Guantánamo schließen!« und für freie Meinungsäußerung in Rußland verteilt.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. Juni 2013
»Merkel, halt's Maul!«
Bunter und internationaler Protest beim G8-Gipfel in Nordirland
Von Katharina Millar, Enniskillen **
Enniskillen, unweit vom Austragungsort des G8-Gipfels Lough Erne gelegen, atmet auf. Die bis dato größte Sicherheitsoperation in Nordirland geht ihrem Ende zu.
Am Montag führte ein farbenfroher Protestzug von Enniskillen bis zum Sicherheitszaun, welcher noch bis Ende des Monats das luxuriöse Lough Erne Golf-Ressort umgeben wird. Die Polizeikräfte, die am Morgen dicht an dicht in der Innenstadt standen, hielten sich während des Marsches der etwa 2000 Demonstranten am frühen Abend zurück, die Straßen waren von Anwohnern gesäumt. Von »Kein Fracking hier«, »Bienen statt Bomben«, »Imperialisten raus aus Irland« zur Forderung nach der sofortigen Schließung von Guantanamo und der Freilassung der russischen Punkband Pussy Riot reichten die zahlreichen Transparente und Sprechchöre, auch ein »Merkel, halt’s Maul« Transparent aus München war vertreten.
Auf der Abschlusskundgebung beschrieb Padraig Mulholland, Präsident der Gewerkschaft NIPSA (Northern Ireland Public Service Alliance) die G8-Gipfelteilnehmer als »Pack von Gangstern, Mördern, Zuhältern und Dieben« und rief zur Geschlossenheit im Kampf gegen Sparmaßnahmen und Unterdrückung auf. Gegen Ende der Veranstaltung durchbrachen zwar etwa 50 Protestierer die Stacheldrahtbarrieren am »Ring aus Stahl«, standen aber sofort mehreren Hundert Mitgliedern der Bereitschaftspolizei gegenüber und traten gemächlich wieder den Rückzug an. Für die extra eingesetzten Sondergerichte und 300 temporären Polizeizellen fand sich im gesamten Zeitraum keine Verwendung – als Bilanz wurden zwei Verhaftungen am Wochenende vermeldet.
Umfassende Straßensperrungen in weiten Teilen des Nordens hatten am Montag zu vielen Verspätungen und Behinderungen für die Öffentlichkeit geführt, am Dienstag war die Lage außerhalb von Enniskillen wieder entspannt. Weitere Gegenproteste waren nicht geplant, an den Erfolg des viertägigen Alternativfestivals in Belfast soll jedoch nächstes Jahr angeknüpft werden.
Anwohner und Geschäftstreibende in Enniskillen blieben gelassen. Zwar mussten die Blumenkästen abmontiert werden, aber dafür sind nun alle Fassaden entlang der Hauptstraße auf Staatskosten neu gestrichen und Fenster und Türen leer stehender Geschäfte mit Fototapeten verschönert. Versprochene positive Nebenwirkungen für den Tourismus werden indes mit Skepsis erwartet.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. Juni 2013
Stippvisite hinterm Zaun
Demonstranten gegen G-8-Gipfel in Nordirland überwinden Absperrung
Von Florian Osuch, Enniskillen ***
Bei Protesten gegen den diesjährigen G-8-Gipfel in Nordirland haben Kapitalismusgegner am Montag abend Absperrungen überwunden. Im Anschluß an eine Demonstration in Enniskillen in der Region Fermanagh wurde eine Barriere aus Stacheldraht niedergerissen. Dutzende Aktivisten drangen in die »Rote Zone« rund um das Tagungshotel der Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Kanada, Deutschland, Japan, Großbritannien, Italien, den USA und Rußland ein. Sicherheitskräfte beobachteten die Ereignisse, griffen jedoch nicht ein. Nach etwa einer halben Stunde zogen sich die zumeist jungen Demonstranten zurück.
An der Protestkundgebung hatten sich nur etwa eintausend Menschen beteiligt. Begleitet wurde sie von einem großen Polizeiaufgebot. Bereits viele Kilometer vor der Kleinstadt hatten Sicherheitskräfte Brücken gesperrt, gepanzerte Fahrzeuge standen an großen und kleinen Verkehrsknotenpunkten und in fast jeder Ortschaft. Der von Aktivisten der Anti-Fracking-Bewegung angeführte, bunte Protest war Abschluß mehrtägiger Aktionen gegen das G-8-Treffen. Zahlreiche Initiativen in verschiedenen Regionen der Insel, nördlich und südlich der Grenze, machten gegen das auch in vielen anderen Weltregionen zur Debatte stehende Förderverfahren mobil. Beim Fracking werden mit Chemikalien versetzte Flüssigkeiten in die Tiefe gepumpt, um gastragendes Gestein aufzubrechen. Die Methode ist umstritten, weil giftige Flüssigkeit in der Erde verbleibt und dort das Grundwasser kontaminieren kann.
Der Demonstrationszug führte von Enniskillen durch das Umland der 13000-Einwohner-Stadt bis an die massiven Absperrungen, die um den Austragungsort des G-8-Gipfels errichtet worden waren. Während Redner auf der Abschlußkundgebung ein Ende der mörderischen Kriegspolitik in Afghanistan und des Einsatzes von Kampfdrohnen der USA forderten, begannen einige Demonstranten, ein Hindernis aus Stacheldraht niederzutrampeln und drangen in die »Rote Zone« ein. Zum Disput kam es, als Vertreter des Organisationskomitees »G8 not welcome« per Megaphon die Eindringlinge zur Rückkehr hinter die Barrieren aufforderten. Ausschreitungen blieben aus. In verschiedenen Medien war zuvor über Gewalttätigkeiten spekuliert worden. Auch die irische Linkspartei Sinn Féin hatte vor »Krawallmachern« gewarnt und diese aufgefordert fernzubleiben. 260 mobile Arrestzellen und 16 Sonderrichter standen für den Fall von Massenverhaftungen bereit. Nach Angaben der BBC wurden während der mehrtägigen Proteste jedoch lediglich zwei Personen tatsächlich festgenommen. Internationale Aktivisten waren bei ihrer Einreise an Flughäfen in Nordirland bzw. Dublin im Süden Irlands ausführlich kontrolliert worden.
Bereits am Samstag hatten bis zu 5000 Menschen in Belfast demonstriert. Am Sonntag fanden zahlreiche Veranstaltungen statt. Es ging dabei um Solidarität mit der Bolivarischen Revolution, um den Befreiungskampf in Palästina und die Situation in der Türkei. Kritik richtete sich insbesondere gegen die imperialistische Kriegspolitik des Westens, die Einmischung arabischer Regimes und einiger Staaten des Westens in Syrien sowie die Aufrechterhaltung des Gefangenenlagers der USA in Guantánamo.
*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. Juni 2013
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