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Festung Fermanagh

Großdemonstration gegen G-8-Gipfel in Nordirland geplant. Polizei auf Ausschreitungen und Massenfestnahmen eingestellt

Von Florian Osuch, Belfast *

Dem Norden Irlands steht in den kommenden Tagen der größte Polizeieinsatz seit Beginn des Friedensprozesses bevor. Um das jährliche Spitzentreffen der sieben führenden westlichen Industrienationen plus Rußland abzuschirmen, sind mehrere tausend Sicherheitskräfte zusammengezogen worden. Die nordirische Polizei »Police Service of Northern Ireland« (PSNI) wird von 8000 Beamten aus England und Schottland unterstützt. Davon trafen die ersten 2000 Beamten bereits am Donnerstag abend ein. Nach Meldungen der Rundfunkanstalt BBC hatten sich die Männer und Frauen freiwillig für den Einsatz gemeldet. Von Ausbildern des PSNI wurden sie zuvor in Formen der Aufstandsbekämpfung trainiert, wie sie seit Jahren in der Unruheprovinz praktiziert werden.

Das G-8-Treffen mit den Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, den USA, Japan, der BRD, Italien, Kanada, Rußland und Großbritannien findet am Montag und Dienstag abgeschirmt in einem Luxushotel in der ländlichen Region Fermanagh statt. Das Fünfsterne-Golfressort wurde mit einem rund fünf Kilometer langen Metallzaun weiträumig abgeriegelt. Proteste sind am Wochenende in Belfast sowie zu Gipfelbeginn in der Stadt Enniskillen nahe des Tagungsortes geplant.

Der PSNI erhält auch Unterstützung von Kollegen der irischen Polizei. Bis zu 900 Angehörige der Gardaí bewachen die innerirische Grenze. Der Independent zitierte Polizeiführer Kieran Kenny, daß seine Beamten insbesondere auf republikanische Splittergruppen achten würden, die das Gebiet zwischen der Republik Irland im Süden und dem zu Großbritannien gehörenden Norden als Rückzugsgebiet nutzen. Verschiedene Splittergruppen halten am bewaffneten Kampf für ein vereinigtes Irland fest und könnten die internationale Öffentlichkeit nutzen, um mit Anschlägen auf sich aufmerksam zu machen, so Kenny.

Die Sicherheitskräfte sind auf Massenfestnahmen eingestellt und haben dafür 260 mobile Arrestzellen in Omagh und Belfast aufgebaut. Darin können im Bedarfsfall mehrere hundert Personen inhaftiert werden; 16 Richter sind einzig für die »Bearbeitung« solcher Festnahmen abgestellt. Ein Aktivist der sozialistischen Gruppierung Éirígí war diese Woche bereits beim Anbringen von Anti-G-8-Plakaten in Belfast festgenommen worden. Weil er seinen Namen gegenüber den Polizisten in irischer Sprache äußerte, wurde er mehrere Stunden festgehalten.

Der Widerstand gegen das Gipfeltreffen ist gespalten. Insbesondere am Wochenende debattieren und demonstrieren Gewerkschaften, linke Gruppen und republikanische Vereinigungen getrennt. Der irische Gewerkschaftsverband ICTU (Irish Congress of Trade Unions) begann bereits am Donnerstag unter dem Motto »Eine andere Welt ist möglich« mit einem umfangreichen Programm. Höhepunkt ist eine Demonstration am Samstag in Belfast, zu der mehrere tausend Personen erwartet werden. Am Sonntag finden Veranstaltungen u.a. zu Palästina, dem Recht auf Abtreibung sowie zu Venezuela nach dem Tod von Hugo Chavez statt.

Die Veranstalter der Großdemonstration haben derweil vor »troublemakers and thugs« (Krawallmacher und Rowdys) gewarnt. »Wenn jemand auf Randale aus ist, soll er sich fernhalten. Wir werden es nicht zulassen, daß unsere Demo übernommen wird«, erklärte Gary Mulcahy von der Kampagne »G8 Not Welcome« gegenüber dem Belfast Telegraph. Ähnlich äußerte sich auch die Linkspartei Sinn Féin. Martin McGuinness, ehemaliger Kommandeur der IRA und mittlerweile erster stellvertretender Ministerpräsident in Nordirland, forderte »Anarchisten und radikale Antikapitalisten« auf, sich von den großen Protesten fernzuhalten.

Das Linksbündnis »People Before Profit« veranstaltet am Sonntag ebenfalls einen Kongreß. Die Partei »Republican Sinn Féin«, eine Abspaltung der irischen Linkspartei, hat bereits am Freitag ein »Antiimperialistisches Forum« eröffnet und für die Freiheit der irisch-politischen Gefangenen demonstriert.

Der einzig gemeinsame Protest findet am Montag in Enniskillen statt, dem Ort, der dem G-8-Treffen am nächsten gelegen ist. Aus allen Regionen Irlands werden Busse die Demonstranten in die 13000-Einwohner-Stadt, bringen die durch einen verheerenden Anschlag der IRA berühmt wurde. Am 8. November 1987 starben durch eine Bombe zwölf Personen.

www.­anotherworldispossiblebelfast.org

* Aus: junge welt, Samstag, 15. Juni 2013


Kür des schönen Scheins

Beim G-8-Gipfel in Nordirland wollen die sieben alten Industrieländer plus Rußland an der Weltgeschichte werkeln. Viel wird dabei nicht herauskommen

Von Rainer Rupp **


Es scheint eher eine Protokollveranstaltung: Das Sommertreffen der Staats- und Regierungschefs der sieben größten westlichen Industriestaaten plus Rußland (G 8) findet dieses Jahr vom 17. bis 18. Juni im nordirischen Enniskillen statt. Die Wahl des Tagungsortes »Lough Erne« entbehrt nicht einer gewissen Symbolik: Das noble Golfhotel ist in der Finanzkrise pleite gegangen und jetzt für die Tagung wieder hergerichtet worden. Allerdings hat es den Vorzug, auf einer in den See hineinreichenden Landzunge zu liegen – wo es für Globalisierungsgegner nur schwer zugänglich ist. Das soll die Aufgabe der 8000 eingesetzten Sicherheitskräfte erleichtern, die die Führer der westlichen Demokratien vor den demonstrierenden Demokraten schützen sollen. Letztere fordern u.a., daß die arbeitslose Jugend den westlichen Regierungen mindestens so »systemrelevant« sein müßte wie die Banken, für die keine Rettung zu teuer ist.

Laut Gastgeber David Cameron wird sich beim G-8-Gipfel alles um die drei T, nämlich Trade (Handel), Tax (Steuern) und Transparency (Transparenz) drehen. Der schrumpfende Welthandels soll mit noch mehr neoliberaler Globalisierung wieder beschleunigt werden. Dazu soll er auch noch von den verbliebenen nationalen Schutzmaßnahmen gesäubert werden. Tatsächlich ist jedoch derzeit weltweit eine zunehmende Rückbesinnung auf Schutz und Stärkung der nationalen Ökonomien durch neue Gesetze zu beobachten. Andere Länder versuchen, durch gezielte Abwertung der eigenen Währung – ähnlich wie in den 1930er Jahren – ihre Exporte auf Kosten ihrer Konkurrenten zu stimulieren. So hat z.B. Japan durch das Anwerfen der Gelddruckpresse die internationalen Finanzmärkte in diesem Jahr mit Yen überschwemmt und dessen Wechselkurs gegenüber anderen Währungen erheblich gedrückt. Das hat bei den Export-Konkurrenten, wie z.B. Südkorea und China, bereits Forderungen nach Gegenmaßnahmen laut werden lassen. Daher dürfte es sich beim ersten T der Gipfel-Tagesordnung nur um Augenwischerei über mehr Wachstum und Arbeitsplätze handeln.

Auch beim zweiten, nämlich der Verbesserung der Bekämpfung der »weltweiten Steuerflucht und Steuer­umgehung« der großen, transnationalen Unternehmen, handelt es sich um ein Placebo für die Abgaben zahlende Bevölkerung der G-8-Staaten. Diese will nicht einsehen, warum sie für die Billionen Dollar, Euro oder Yen zur Rettung der Privatbanken und des Finanzsystems allein herangezogen wird. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso betonte daher im Vorfeld des Gipfels, daß »es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders dringlich ist, daß die ehrlichen Steuerzahler und Unternehmer entlastet werden und sehen, daß auch diejenigen, die sich nicht an die Spielregeln halten, zur Verantwortung gezogen werden«.

Durch »Steuerflucht und Steuerumgehung« würde den EU-Staaten jährlich eine Billion Euro an Einnahmen entgehen, so Barroso. Tatsächlich könnte die steuerliche Erfassung der fast 30 Billionen Euro, welche die Reichen und Superreichen in internationalen Steuerparadiesen versteckt haben, eine noch höhere Summe erbringen. Eine der weltweit größten »Oasen« dieser Art liegt mitten im US-Bundesstaat Delaware, die meisten anderen von Bedeutung befinden sich unter britischer Kontrolle (die Kanalinseln und etliche in der Karibik). Barack Obama und Cameron bräuchten also nur diese zu schließen, und schon wäre der größte Teil des Problems gelöst. Die Tatsache, daß das nicht zur Debatte steht, zeigt, daß nur der schöne Schein von Steuergerechtigkeit erzeugt werden soll.

Auch der letzte Punkt auf der offiziellen Tagesordnung, »die Transparenz«, ist reiner Bluff. Es geht laut dem vom ehemaligen Maoisten zum Neoliberalen mutierten Barroso um die »unfaire Verteilung des nationalen Reichtums in den Entwicklungsländern«. Diese Schieflage entstehe durch die von großen Rohstofffirmen im Gegenzug für die Erteilung von Schürflizenzen an die Eliten dieser Länder gezahlten Schmiergelder. Das Projekt hört sich gut und sehr sozial an – und soll Otto Normalverbraucher offensichtlich auch vermitteln, daß bei ihm zu Hause und überhaupt in der EU der nationale Reichtum fair verteilt sei. Denn wenn an den bösartigen Behauptungen, daß bei uns zehn Prozent der Oberschicht 90 Prozent des nationalen Reichtums besitzen, auch nur etwas dran wäre, dann würde sich der G-8-Gipfel nämlich mit der Lage bei uns und nicht mit der in Afrika beschäftigen.

Da von den drei T nichts als Lippenbekenntnisse für mehr Wachstum und überhaupt eine bessere Welt zu erwarten sind, dürften sich die wirklichen Gipfeldiskussionen – wie bereits von Premier Cameron angekündigt – hauptsächlich darum drehen, Wege zu finden, wie syrischen »Rebellen«, die vor laufender Kamera das Blut ihrer Feinde trinken, weiter geholfen werden kann.

* Aus: junge welt, Samstag, 15. Juni 2013


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