G20-Gipfel in Toronto: "Wir haben wenige Illusionen"
Die Mächtigen bremsen sich wieder gegenseitig aus / Hugo Braun (Attac) über Erwartungen an den Gipfel und die Aktivitäten der Globalisierungskritiker
Der Euromarsch-Aktivist Hugo Braun ist Mitglied des bundesweiten Koordinierungskreises von Attac Deutschland.
ND: Beim G20-Gipfel in Toronto wird das erste Mal auf internationaler Ebene ernsthaft über die Finanztransaktionssteuer gesprochen: Sollte die globalisierungskritische Szene nicht applaudieren?
Braun: Wir haben wenige Illusionen, dass die Finanztransaktionssteuer hier tatsächlich beschlossen wird. Es gibt starken Widerstand. Aber wir sind befriedigt darüber, dass die deutsche und französische Regierung die zwölf Jahre alte Attac-Forderung für eine solche Steuer nun endlich übernommen hat.
Warum ist es wichtig für Globalisierungskritiker, nach Toronto zu fahren?
Wir wollen weiter Druck machen, dass unsere Forderungen tatsächlich durchgesetzt werden. Und es geht natürlich – für den Fall, dass diese Steuer tatsächlich kommt – auch darum, wie das Geld dann verteilt wird: Es sollte nicht zur Sicherung des internationalen Finanzsystems, sondern zur Beseitigung der Armut in der Welt genutzt werden. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum wir den Druck nicht aufgeben wollen.
Was erwarten Sie von der Bundeskanzlerin, wenn die Steuer international auf Ablehnung stößt?
Die Bundesregierung muss sich dann dafür stark machen, dass diese Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene durchgesetzt wird – mindestens aber in der Euro-Zone.
Was ist auf dem zu Ende gegangenen zivilgesellschaftlichen Gegengipfel, dem »Peoples Summit«, passiert?
Es war ein Alternativgipfel ganz im Stil europäischer Protestkultur. Rund 800 Teilnehmer diskutierten in rund 100 Veranstaltungen zu einem breitgefächerten Angebot an Themen. Natürlich ging es angesichts der derzeitigen Situation vor allem um die Finanzkrise und den möglichen Widerstand der Zivilgesellschaft. Der Gipfel war ein gemeinsames Projekt aller emanzipatorischen Kräfte aus Europa und den USA. Es gab ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Attac – ein richtiges Spiegelbild der Gesellschaft.
Viele Globalisierungskritiker sprechen den G20-Regierungen die politische Legitimation ab, über weltweit relevante Fragen zu entscheiden. Wie wurde dies auf dem Gegengipfel diskutiert?
Die Frage der Delegitimierung steht nach wie vor zur Debatte. Es gibt aber inzwischen auch andere Stimmen, die ich hier mit Aufmerksamkeit verfolgt habe. Beispielsweise einige Nichtregierungsorganisationen aus Südafrika: Sie wollen ihre Regierung benutzen, um im Rahmen der G20 Veränderungen durchzusetzen. Die Tatsache, dass auch China, Indien und andere nicht so strikt neoliberal handelnde Länder mit dabei sind, haben die Diskussionen hier beeinflusst.
Wie groß wird die Protestbewegung in Toronto und werden gewaltsame Ausschreitungen wie beim letzten G20 Gipfel in London erwartet?
Es wird am Wochenende (26. Juni) eine große Demonstration geben, zu der mehrere 10 000 Menschen erwartet werden. Im Unterschied zu den europäischen sozialen Bewegungen gibt es hier eine deutlich zweigeteilte Protestkultur: Die autonome Szene agiert völlig unabhängig von dem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis aus Gewerkschaften, Attac und Nichtregierungsorganisationen – es gibt auch keine Querverbindungen. Von der autonomen Seite gibt es Ankündigungen zu massiven Straßenaktionen.
Fragen: Susanne Götze
Die Gipfel
Die G8- und G20-Gipfel lässt sich die kanadische Regierung satte 1,1 Milliarden kanadische Dollar (rund 860 Millionen Euro) kosten. Nach dem gestrigen Treffen der sieben wichtigsten Industrieländer plus Russland (G8) im idyllischen Huntsville beginnt heute der zweitägige Gipfel der Gruppe der 20. Daran nehmen auch die Regierungen großer Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika teil. Der Austragungsort Toronto – die 2,6-Millionen-Metropole ist Kanadas Finanzzentrum – wurde passend gewählt. Die G20 hat im November 2008 das globale Management der Finanz- und Wirtschaftskrise übernommen. Doch nicht mal beim Kernthema Finanzmarktreform sind die politisch Mächtigen dieser Welt weit vorangekommen. Die Vorgabe lautete: Jeder Marktteilnehmer, jedes Finanzprodukt und jeder Finanzplatz sollen angemessen reguliert werden. Wichtige Details:
Um künftige Krisen zu verhindern, sollen Banken mehr und hochwertigeres Eigenkapital vorhalten müssen. Die Finanzhäuser sollen auch Risikopuffer für schlechte Zeiten anlegen. Eigentlich sollten alle großen G20-Finanzzentren bis Ende 2012 die neuen Regeln umgesetzt haben. Es zeichnet sich ab, dass die Bankenlobby durchsetzen kann, dass Reformen später kommen und milder ausfallen.
Der gigantische außerbörsliche Handel mit risikoreichen Derivaten soll transparenter und sicherer werden. Statt direkt zwischen Marktteilnehmern soll er über Börsen laufen. Es gibt Verzögerungen, da nun auch Kreditausfallversicherungen und ungedeckte Leerverkäufe berücksichtigt werden sollen.
Wichtige Schwellenländer wie Brasilien und Indien, aber auch Kanada und Australien lehnen eine Bankenabgabe oder Finanztransaktionssteuer ab, da sich ihre Banken in der Krise gut geschlagen haben.
Hedgefonds sollen beaufsichtigt werden und Informationen über ihr Geschäft geben. Washington befürchtet, dass US-Fonds gegenüber europäischen benachteiligt werden. dpa/ND
* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2010
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