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Respekt für die Demonstrierenden

Bücher kritisieren Entrechtung durch präventiven Sicherheitsstaat während des G8-Gipfels

Von Niels Seibert *

Grundrechtseinschränkungen, Desinformationspolitik, unmenschliche Inhaftierungen, Polizeibrutalität - zwei Bücher dokumentieren staatliche Ein- und Übergriffe anlässlich der G8-Proteste im vergangenen Jahr.

Die Demonstrationsbeobachter des Komitees für Grundrechte und Demokratie und der Anwaltliche Notdienst berichten in Neuerscheinungen über ihre Arbeit während des G8-Gipfels 2007.

Politik und Polizei haben eine systematische Eskalation betrieben, resümiert das Grundrechtekomitee. [Siehe hierzu auch den folgenden Beitrag: Razzien im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm waren rechtswidrig.] Schon lange vor Gipfelbeginn wurde mit dem Bau eines 13 Kilometer langen Zauns um Heiligendamm, mit einer räumlich noch weitergehenden allgemeinen Verbotsverfügung und mit den Razzien bei G8-Gegnern die Einschränkung von Grundrechten vorbereitet und terroristische Gefahren konstruiert. Während der Proteste, so das Komitee, stiftete die Polizei durch ihr willkürlich erscheinendes oder teils brutales Auftreten Chaos, was zu Verunsicherungen führte und zu weiteren Eskalationen beitrug.

Mit 29 Demonstrationsbeobachtern verfolgte das Grundrechtekomitee das Geschehen rund um Heiligendamm. Seine an Grundrechten und Demokratie orientierte Auswertung macht den Ablauf der Demonstrationen und die Breite der Proteste nachvollziehbar.

Der Anwaltliche Notdienst unter dem Dach des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) war mit rund 100 Anwälten aus dem In- und Ausland vertreten. Er hat dort polizeiliches Fehlverhalten öffentlich angeprangert und Repression abgemildert. Viele Rechtsanwälte wurden jedoch an ihrer Arbeit gehindert und waren selbst von Repression betroffen. Ihre Erfahrungen und Einschätzungen beleuchten zwei Dutzend Anwälte und Journalisten in 20 thematischen Aufsätzen. Manch einer der überwiegend juristischen Beiträge gehört in die Lehrbücher für angehende Polizeibeamte und Studierende der Rechtswissenschaften.

In beiden Büchern geht es um rechtswidrige Platzverweise gegen potenzielle Demonstranten, den Einsatz von verdeckten Ermittlern und Agent Provocateurs, die Käfighaltung in der Gefangenensammelstelle, den Bundeswehreinsatz im Innern, das innerhalb der polizeilichen Sonderbehörde »Kavala« aufgehobene Trennungsverbot von Landes-, Bundespolizei und Geheimdiensten und anderes Unerfreuliches mehr. Dem setzen die Autoren rechtstaatliche Grundsätze und radikaldemokratische Perspektiven entgegen. Darüber hinaus muss es den linken Bewegungen aber um mehr gehen, »als nur auf verfassungsrechtliche Minimalia zu pochen«, wie Markus Euskirchen in seinem Beitrag für den RAV-Band betont.

Beide Veröffentlichungen zollen den G8-Gegnern Respekt, weil sie mehr Möglichkeiten des Demonstrierens nutzten als polizeilich erlaubt wurde. Letztlich haben diese mit den Blockaden am Zaun um Heiligendamm das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verteidigt. Die politischen Inhalte der Demonstrationen finden in den Büchern jedoch nur am Rande Erwähnung. Hier wären die Aktivisten selbst gefragt, diese Lücke mit einer eigenen Publikation zu schließen.

RAV/Legal Team (Hg.): FeindbildDemonstrant. 176 S., 10 Euro, ISBN 978-3-935936-68-2.

Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Gewaltbereite Politik und der G8-Gipfel. 192 S.,10 Euro, ISBN 978-3-88906-125-6.


* Aus: junge Welt, 11. Januar 2008


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