Teures Treffen im Konstantin-Palais
Der Syrien-Konflikt droht die Beschäftigung mit den Problemen der Weltwirtschaft zu überschatten
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti wusste Ende August zu berichten, USA-Präsident Obama habe sich doch noch zu einem Treffen mit dem Gipfel-Gastgeber bereit erklärt. Doch nun sorgt der bevorstehende Angriff der USA gegen Syrien für neue Probleme.
Moskau besteht in Sachen Syrien auf eine politische Lösung, Washington setzt auf Gewalt. Der Vorsitzende des außenpolitischen Duma-Ausschusses, Alexei Puschkow, forderte daher sogar, Obama den Friedensnobelpreis abzuerkennen. Die Verleihung, so auch der russische Nobelpreisträger für Physik Schores Alfjorow, sei ein großer Fehler gewesen. Die Differenzen zum Umgang mit Syrien, darin sind sich russische Beobachter weitgehend einig, werden nicht nur die bilateralen Konsultationen am Rande des Gipfels, sondern auch diesen selbst überschatten. Zum Leidwesen Russlands, das Ende 2012 für ein Jahr die Präsidentschaft in der G20-Gruppe übernahm.
Sie kostete den Steuerzahler insgesamt 6,5 Milliarden Rubel, rund 116 Millionen Euro. Knapp ein Drittel davon ging für den Gipfel drauf. Er findet am Finnischen Meerbusen statt, wo 2006 bereits der G8-Gipfel tagte, der erste, den Moskau nach Aufnahme in den Klub der weltweit größten Industrienationen ausrichten durfte. Und wie damals werden Gäste und Berichterstatter vor allem auf dem Wasserweg zum Tagungsort gefahren. Bei der Vorbereitung, so der zuständige Chef des Präsidentenamtes, Sergei Iwanow, hätten zwei Faktoren im Vordergrund gestanden: maximale Wirtschaftlichkeit und minimale Beeinträchtigungen für die Bevölkerung von St. Petersburg.
Im aufwendig restaurierten Konstantin-Palais und in Peterhof – der einstigen Sommerresidenz der Zaren – werden sich die 20 Staats- und Regierungschefs, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu insgesamt vier Arbeitssitzungen treffen. Zentrales Thema ist die Förderung eines starken, nachhaltigen und ausgewogenen Wachstums der Weltwirtschaft. Die G20-Staaten repräsentieren zwei Drittel der Weltbevölkerung, auf sie entfallen rund 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Die Agenda für den jeweiligen Gipfel bestimmt das Land, das ihn ausrichtet.
Für Russland haben Maßnahmen gegen Steuerflucht, Regulierung der Finanzmärkte und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit absolute Priorität. Mit Teilaspekten setzten sich vor dem Gipfel bereits die Fachminister auf ihren Treffen auseinander. So einigten sich die Finanzminister im Juli in Moskau auf Grundzüge eines von der OECD – der UNO-Unterorganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – initiierten Plans gegen Kapitalabfluss. Der Entwurf sieht unter anderem einen Informationsaustausch über Steuerzahler vor. Das, lobt Putin in seiner in Auszügen bereits bekannten Grußadresse an den Gipfel, sei »der größte Schritt bei der Koordinierung der Steuerpolitik in den letzten 100 Jahren«.
Der Gipfel der Staatschefs muss das Dokument allerdings noch bestätigen. Und das ist nicht ganz sicher. Seit die G20-Gruppe sich 2009 auf dem Höhepunkt der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gründete, ist sie von Interessenkonflikten gebeutelt. Die Mitglieder sind politisch unterschiedlich verfasst, die alten Industrienationen und deren wachstumsmüde, auf Verarbeitung und Veredelung orientierte Wirtschaft setzen zudem andere Prioritäten als die Rohstoff exportierenden, schnell wachsenden Schwellenländer, zu denen auch Russland gehört. Beide wissen allerdings um die Abhängigkeit vom jeweils anderen – ohne Nachfrage nach Öl oder Gas kein Absatz. Dazu kommt, dass die Schwellenländer selbst ihre Interessen nicht als geschlossener Block durchsetzen können, weil sie sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln. Russland ist es allerdings zu verdanken, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit Differenzen zwischen Geber- und Empfängerländern inzwischen weitgehend ausgeräumt wurden. Die G20-Gruppe hatte 2010 den »Seoul Action Plan« verabschiedet, der die Bemühungen zur Entwicklung von Infrastruktur und Humankapital sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen bündelt,. Der Maßnahmekatalog, versichert Vizefinanzminister Sergej Stortschak, sei bereits zu mehr als der Hälfte erfüllt.
Auch in Sachen Syrien hat Präsident Putin zuletzt neue Töne angeschlagen. In einem Fernsehinterview erklärte er, wenn es »überzeugende« Beweise gäbe, müssten sie im UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden. Er wolle dann auch »nicht ausschließen«, einen westlichen Militärschlag zu billigen. Putin warnte jedoch vor einem Angriff ohne UN-Mandat.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. September 2013
Währungsgipfel nach dem Absturz
Schwellenländer geraten wegen der alten Industriestaaten unter Druck
Von Hermannus Pfeiffer **
Dieser G20-Gipfel kommt zu spät: Währungen und Wirtschaften der Schwellenländer stürzen bereits ab. Schuld daran sind altbekannte und neue Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten.
Seit der Lehman-Pleite haben die G20- die G8-Gipfel in ihrer Bedeutung abgelöst. Seither treffen sich wie an diesem Donnerstag regelmäßig die Staatschefs, Finanzminister und Notenbanker der zwanzig führenden Wirtschaftsmächte. Doch die G20-Agenda von London und Pittsburgh 2009 ist bestenfalls halbherzig umgesetzt. Es wurden zwar strengere Regeln für Banken und Ratingagenturen in Angriff genommen, aber die ökonomischen Ungleichgewichte blieben unberührt. Einige Staaten wie Deutschland, Japan und China weisen extrem hohe Handelsbilanzüberschüsse auf, andere kaufen deren Waren auf Pump und haben sich hoch im Ausland verschuldet. Entsprechend verzehrt ist das globale Währungssystem.
Vor zwei Jahren war erstmals die Forderung nach einem festen Anker laut geworden. »Auf den Devisenmärkten kommt es immer wieder zu exzessiven Schwankungen«, schimpfte der damalige Präsident des Internationalen Währungsfonds (IWF) Michel Camdessus. Der IWF schlug zusammen mit Fachleuten wie dem früheren US-Notenbankchef Volcker und Chinas Zentralbank vor, die »Sonderziehungsrechte« des IWF zu einer globalen Leitwährung auszubauen, um nach Euro-Vorbild mehr oder weniger feste Wechselkurse festzulegen. Dazu kam es nicht. Unter anderem, weil die USA auch unter Präsident Obama auf einer hegemonialen Sonderrolle beharren und weil Euroland genug mit sich selber zu tun hat.
Nun folgt der Währungsverfall. In Indonesien etwa ist die Währung seit Anfang Juli um fast zwölf Prozent eingebrochen, obwohl die Wirtschaft jahrelang wuchs und die Notenbank ihre Rupiah mit Milliarden verteidigt. Noch schlimmer hat es die indische Rupie und den brasilianischen Real erwischt. Gleichzeitig taumeln die Aktienkurse und schrumpft das Wachstum des Bruttoinlandproduktes. Vor kurzem feierten Ökonomen die Schwellenländer als die neuen Konjunkturlokomotiven der Weltwirtschaft. Doch nun könnte der G20-Gipfel im Währungsstreit enden.
Die Schwellenländer sehen sich in die Mangel genommen. In Japan wurde mit den »Abenomics« Druck aufgebaut: Mittels eines »ultra-expansiven Programms«, so die Analysten der NordLB, lässt der im Dezember gewählte Ministerpräsident Japans, Shinzō Abe, seine Zentralbank die Finanzmärkte mit neuem Geld fluten. Abe hofft, den Yen-Kurs entscheidend zu drücken, um Japans Exporte zu verbilligen. Auf Kosten der Konkurrenten in Asien.
Von der entgegengesetzten Richtung drückt die amerikanische Notenbank, weil die US-Konjunktur wieder anzieht. Fed-Boss Bernanke hat angedeutet, dass demnächst die »extrem expansive Geldpolitik« (Commerzbank) eingeschränkt wird. Zum Schrecken der Schwellenländer, denn allein durch die Ankündigung wurde der Dollar wieder attraktiver für Finanzanleger.
Und auch der Euro nimmt den Süden in die Mangel. Die »Austeritätspolitik« der Regierung Merkel, also die strenge Sparpolitik des Staates, habe den Eurokurs über den realen Wert des Euro hinausgetrieben. Das mache Euro-Anleihen trotz niedriger Zinssätze ungewöhnlich attraktiv, während in Vietnam, Argentinien oder Südafrika Staat und Wirtschaft horrende Zinssätze zahlen müssten, um frisches Kapital ins Land zu holen. Das wird aber dringend für den weiteren wirtschaftlichen Aufbau benötigt. Stattdessen suchten innerhalb weniger Tage laut Medienberichten acht Milliarden Dollar aus den Schwellenländern das Weite. Das ist zwar noch keine »Kapitalflucht«, wie einige Analysten posaunen, aber es könnte der Vorbote sein.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. September 2013
Krisenwarner
Raghuram Rajan neuer Zentralbankchef Indiens
Die größte Demokratie der Welt steckt tief in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Da herausholen soll sie der international anerkannte Ökonom Raghuram Rajan. Er trat jetzt als Gouverneur der Notenbank in Mumbai seinen Dienst an und musste gleich reisen – zum G20-Gipfel in Russland.
An Ortswechsel ist er gewohnt, denn als Sohn eines indischen Diplomaten wuchs Rajan in Indonesien, Sri Lanka und Belgien auf. Seinen fast schon legendären Ruf in Finanzkreisen erwarb sich der heute 50-Jährige 2005 beim Treffen der Zentralbankchefs aus aller Welt, als der Abschied von Fed-Chef Alan Greenspan gefeiert werden sollte. Rajan, damals Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, wies auf die Risiken der Geldpolitik der US-Zentralbank hin. Ein Affront, denn die Nadelstreifenszene glaubte damals, den Kapitalismus elegant im Griff zu haben. Gab es mal Probleme, griff Greenspan ein und überhäufte Banken, Wirtschaft und Immobilienkäufer mit billigem Geld. Die Folge waren Spekulationsblasen. Und da die riskanten Kredite, als Wertpapiere »verbrieft«, weltweit verkauft wurden, drohe ein Dominoeffekt, warnte Rajan. Die Finanzkrise ab 2007 gab ihm Recht.
All das könne sich wiederholen, »weil die zugrunde liegenden Verwerfungslinien eher noch tiefer geworden sind«, schreibt der Professor an der University of Chicago in seinem Standardwerk »Verwerfungen«. Dazu zählt der Ökonom, der in Delhi und Ahmedabad studiert sowie am MIT promoviert hatte, auch Klimawandel und Bevölkerungsalterung, überforderte Bildungssysteme, zunehmende Ungleichheit und die Exportfixierung Chinas und Deutschlands.
In seiner Heimat trifft Rajan auf weitere Probleme: Die Industrieproduktion sinkt, die Landeswährung Rupie hat seit Mai ein Fünftel ihres Wertes verloren. Wodurch die lebenswichtigen Importe von Rohstoffen und Energie immer teurer werden. Als Zentralbankboss könnte er den hohen Leitzins von 7,25 Prozent senken und der Regierung bei der Finanzierung neuer Konjunktur- und Sozialprogramme unter die Arme greifen. Im Alleingang wird Rajan das kränkelnde Indien aber nicht retten.
Hermannus Pfeiffer
Exklusive Gesellschaft
Krise wertet G20 auf ***
Sie sind ein relativ neuer Termin im politischen Kalender: Treffen auf Staats- und Regierungsebene der Gruppe der 20 (G20). Das erste G20-Treffen fand erst im November 2008 in Washington statt, um die Auswirkungen der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September desselben Jahres zu erörtern. 2009 wurde die G20 zum »obersten Forum für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit« aufgewertet.
Die Aufwertung der G20 ist der Einsicht der G8, jenes exklusiven Clubs aus Frankreich, Deutschland, den USA, Japan, Großbritannien, Italien, Kanada (seit 1976) und Russlands (seit 1998), zu danken, der seit 1975 und bis dahin in weltwirtschaftlichen Fragen allein die Marschroute vorgab. Nach der Lehman-Pleite sollten jedoch die wirtschaftlich potenten Schwellenländer rund um Brasilien, Indien, Südafrika und allen voran China ins Boot geholt werden, um der weltwirtschaftlichen Turbulenzen Herr zu werden.
Die G20 setzen sich aus der EU und 19 Staaten zusammen: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und last, but not least die USA.
Die Gruppe steht für zwei Drittel der Weltbevölkerung, rund 90 Prozent der globalen Wirtschaftskraft und vier Fünftel des weltweiten Handels.
G20-Treffen auf Ebene der Finanzminister und Zentralbank-Präsidenten gibt es allerdings schon seit 1999 als Reaktion auf die Finanzkrisen in Asien (1997), Russland (1998) und Brasilien (1999). Im Kern der G20-Beratungen stehen wirtschaftliche Fragen, allerdings spielen bei so hochrangig besetzten Treffen auch aktuelle Probleme der Weltpolitik immer eine große Rolle – dieses Mal Syrien. ML
*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. September 2013
Palaver an der Newa
Streitpunkte satt: In Sankt Petersburg treffen sich Vertreter der 19 führenden Industriestaaten und der EU zum G-20-Gipfel. Zurückschwappende Dollarschwemme kein Thema
Von Rainer Rupp ****
Es ist wieder »Summit«-Zeit. Am heutigen Donnerstag finden sich in Sankt Petersburg Vertreter der 19 stärksten Volkswirtschaften und der EU zum G-20-Gipfel zusammen. Das Treffen steht unter der Schirmherrschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin und endet Freitag nachmittag.
Die informelle Gruppierung sieht sich gerne als eine Art Weltwirtschaftsrat. Traditionell konzentrieren sich die 1999 erstmals in dieser Form abgehaltenen Zusammenkünfte auf die Bewältigung wichtiger Herausforderungen für die globale Ökonomie. Die im Vorfeld des Petersburger Treffens festgelegten Ziele umfassen offiziell eine »Reihe von Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen, integrativen und ausgewogenen Wachstums und zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt« (www.g20.org/docs/g20_russia/priorities.html). Auf der Tagesordnung stehen: Die Schaffung eines Rahmens für ein starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum, Jobs und Beschäftigung. Nachhaltige Energie. Entwicklung für alle. Reform der internationalen Finanzarchitektur. Verbesserung des multilateralen Handels. Verstärkte Regulierung der Finanzmärkte und Bekämpfung der Korruption.
Allerdings brennt den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern (E&S-Länder) derzeit ein ganz anderes Problem unter den Nägeln. Es geht um die fatalen Auswirkungen der von der US-Notenbank Fed in den zurückliegenden Jahren in Gang gesetzten gigantischen Geldschwemme (QE1 bis QE4; »Quantitative Easing«) auf die Volkswirtschaften der E&S-Länder. Seit 2008 hat die Fed so für viele Tausende Milliarden Dollar das hohe US-Haushaltsdefizit finanziert. Zugleich bewahrte sie so die maroden heimischen Geschäftsbanken vor der Pleite und hielt die immer noch sieche Wirtschaft über Wasser. Dabei half nicht zuletzt, daß sowohl der Staat als auch die Banken die Billionensummen zu quasi null Prozent Zinsen von der Fed erhielten. Ein Teil dieses Dollar-Tsunamis hat dann über Zockerbanken auch seinen Weg in die E&S-Länder gefunden. Dort wurden damit die Finanzmärkte unkontrolliert überschwemmt und die Preise in die Höhe getrieben, sowohl bei Aktien und anderen sogenannten Finanzprodukten, als auch bei Immobilien und in der Realwirtschaft.
War diese Dollarschwemme bereits ein Problem für die von dem Kapitalzufluß betroffenen Länder, droht nicht nur ihnen bei einem plötzlichen Zurückschwappen der Billiggeldwelle eine wirtschaftliche Katastrophe. Auch starke Industriestaaten wie Südkorea gerieten in die Bredouille. Dessen Staatschefin Park Geun-hye hat sich bisher vergeblich in Washington bemüht, die dort laut diskutierte Kehrtwende der US-Geldpolitik mit Rücksicht auf den Rest der Welt behutsam zu gestalten. Ob die von Frau Park – aber auch von Indien und Brasilien – gewünschte Diskussion zu diesem Thema in St. Petersburg stattfinden wird, ist angesichts der vollen Tagesordnung und der aktuellen Syrien-Krise fraglich. Vielmehr scheint Ankündigungen westlicher Staatschefs zufolge das Nahostthema den Gipfel zu dominieren. Denn von den Herren Obama über Cameron und Hollande bis Frau Merkel wollen sie alle Präsident Putin, dessen chinesischen Amtskollegen Xi und die anderen, eine militärische Interventionen ablehnenden Staatschefs von der Klugheit ihrer Bombenpläne gegen Syrien überzeugen.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß das für die E&S-Länder brennendste Problem an der Newa nicht einmal zur Kenntnis genommen wird. Einen Vorgeschmack über die immens zerstörerischen Auswirkungen der gigantischen Investitionssummen haben viele dieser Länder bereits im Mai bekommen, als innerhalb kurzer Zeit ein – wenn auch nur kleiner – Teil der Dollar abgezogen wurde. Urplötzlich brachen die Finanzmärkte in weiten Teilen Asiens und Lateinamerikas ein. Besonders traf es Indien, Indonesien und Brasilien, Länder, die kurz zuvor den Finanzjongleuren noch als weltweite Spitzenreiter gegolten hatten. Der Geldentzug führte auch zum Absturz des Wechselkurses der lokalen Währunge. So hat z.B. die indische Rupie seit Mai fast ein Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar und dem Euro verloren. Das macht die Importe lebenswichtiger Nahrungsmittel und Brennstoffe entsprechend teurer – und für die Massen der Armen nicht mehr bezahlbar.
Ausgelöst wurde dies alles durch die sogenannte »taper down« Diskussion der führenden US-Notenbanker Mitte Mai. Angesichts des zunehmenden Widerstands auch innerhalb der Fed gegen die monatliche Geldvermehrung um 85 Milliarden Dollar hatte Fed-Chef Ben Bernanke laut darüber nachgedacht, ob die Gelddruckmaschinen langsam zurückgefahren werden sollten – wozu er den englischen Begriff »taper down« benutzte, der seither in Finanzkreisen in aller Munden ist. »Taper down« aber würde das Ende des billigen Geldes bedeuten – und sofort brachen weltweit die Börsenkurse ein. Der Fed-Chef versicherte flugs, daß der Geldhahn weiterhin offen bleibe. Dennoch begannen Spekulanten damit, einen Teil ihrer Dollar aus den E&S-Ländern abzuziehen, mit den entsprechenden Folgen.
Washington macht sich nun Sorge um die Rolle des US-Dollar als Weltwährungsreserve. So haben viele Überschußländer den Kauf von US-Schatzbriefen (T-Bonds) zurückgefahren und China ist als bisheriger Chef-Financier der USA in den letzten Monaten sogar zum Nettoverkäufer der Staatsanleihen geworden. Zugleich wurde Washington aufgeschreckt weil die Öffentlichkeit die T-Bonds nur noch zu höheren Zinsen annimmt. Für Schatzbriefe mit zehn Jahren Laufzeit haben die sich innerhalb kurzer Zeit auf fast drei Prozent verdoppelt. Wann und wie die Fed die Druckerpressen abstellt, wird jedoch weiterhin aus rein US-innenpolitischen Erwägungen geschehen. Es schert Washington derzeit nicht, wenn die zurückfließenden Gelder dann die E&S-Länder in den Abgrund reißen.
**** Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. September 2013
Gegengipfel arbeitet an Alternativen
In der Syrienfrage mit Moskau einig
Von Bernhard Clasen *****
Noch vor dem G20-Gipfel wurde am Montag in St. Petersburg der zweitägige Gegengipfel eröffnet. Teilnehmer der von der Post-Globalisierungsinitiative organisierten Veranstaltung kommen von allen Kontinenten: aus Brasilien, Venezuela, China, den USA, Russland, Südafrika, China, Ägypten ...
»Heute stehen wir vor den Ruinen des desorganisierten internationalen Finanzsystems«, erklärte Boris Kagarlitzki, Direktor des russischen Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen, auf einer Pressekonferenz. Gesellschaften und Welteliten hätten durchaus begriffen, dass sie sich in einer Sackgasse befinden. Nun gelte es, dem Neoliberalismus, der diese Krise hervorgerufen hat, eine Absage zu erteilen und neue Lösungen zu erarbeiten. Auf dem Gegengipfel, heißt es in einer Erklärung der Post-Globalisierungsinitiative, werde man an einer alternativen Strategie für eine Weltwirtschaft arbeiten, die frei von der Hegemonie der USA und transnationaler Konzerne sei. Finanzmärkte, die Politik des Weltwährungsfonds, Schuldenkrise, Nahrungsmittelsicherheit, Umweltschutz, soziale Rechte, die Umwälzungen im Energiewesen und die Rolle des Staates in der Wirtschaft gehören zu den Themen.
Fast jeder zweite Redebeitrag bezog sich auf die Situation in Syrien. In seinem Abschlussdokument plant der Gegengipfel eine scharfe Verurteilung der angekündigten Intervention. Russlands Regierung kommt das gelegen, spiegelt diese Haltung doch weitgehend Moskaus offizielle Position wieder.
Diesmal hat der Gegengipfel auch keine Probleme mit Russlands Polizei zu befürchten. Anders war das 2006, als russische Aktivisten, die sich auf den Weg nach Petersburg gemacht hatten, schon im Zug vorübergehend festgenommen und an der Weiterreise gehindert worden waren. Manchen Teilnehmern stößt in diesem Jahr jedoch die starke Präsenz russischer Referenten auf, die ihre Regierung an der Spitze der Globalisierungsgegner sehen. Kurz nach der Eröffnung war es unter einheimischen Rednern zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen. Georgi Fjodorow, Mitglied der russischen Gesellschaftskammer, hatte ausgeführt, dass in Russland inzwischen Politiker an der Macht seien, die sich dem weltweiten Kapital entgegenstellen. Jaroslaw Nikitenko, langjähriger Aktivist für den Wald von Chimki, warf ihm daraufhin vor, nicht für Russlands Zivilgesellschaft zu sprechen, sondern vom Staat organisierte Institutionen zu vertreten. Und als eine thailändische Umweltschützerin fragte, welche russische Nichtregierungsorganisation sich mit ökologischen und sozialen Folgen der Tätigkeit russischer Ölkonzerne in Afrika beschäftige, herrschte im Saal Schweigen.
***** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. September 2013
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