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Stärke aus Bündnissen

Ein Nachruf zum Tod von Horst Bethge

Von Wolfgang Gehrcke *

Ich schiebe das Blatt Papier von mir, mein Gefühl rebelliert gegen die Nachricht: Horst Bethge ist am Donnerstag, den 12. Mai, im Alter von 76 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg gestorben. Sterben Moral und Gewissen? Stirbt Geschichte? Horst Bethge hat sich in sie eingeschrieben, er bleibt.

Ich kannte Horst über 50 Jahre. In diesen Jahrzehnten personifizierte er die Bewegungen für Frieden und zur Verteidigung der Demokratie. Ihm gingen auch dann die Ideen nicht aus, seine Tatkraft versiegte nicht, auch wenn andere schon müde geworden waren vom Kampf, der doch nur selten und manchmal kaum erkennbar Fortschritte brachte. Und dabei war und blieb er ein warmherziger, hintersinniger und ungeheuer humorvoller Mensch.

Horst Bethge live auf der Ostermarsch-Matinée 2010

Im April 2010 fand auf Einladung des "Friedensratschlags" in Kassel eine Matiné anlässlich des 50-jährigen Geburtstages der Ostermärsche statt. In dieser Veranstaltung wurde auch Horst Bethge über seine Erfahrungen befragt. Heraus kam eine außerordentlich lebendige Schilderung seiner Erlebnisse mit der Friedensbewegung, mit Parteien und Verbänden. Lebendig wie - Horst Bethge!





In den 50er Jahren gehörte Horst Bethge zur Bewegung Kampf dem Atomtod. Das war die Zeit, als der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den deutschen Zugriff auf Atomwaffen wollte und die SPD ein Plakat druckte mit der Aufschrift: »Wir werden so lange nicht ruhen, wie der Atomtod unser Volk bedroht«. Das nahm Horst ernst und wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Die schwenkte kurze Jahre später um, der junge Sozialist Horst Bethge blieb seinen Überzeugungen treu. Dafür wurde er 1959 aus der SPD ausgeschlossen. Er organisierte die Freigeistige Jugend, die Junge Aktion gegen Atomtod, er gehörte zu den Gründern der Deutschen Friedensunion (DFU) und war Mitglied in ihrer Leitung. Ohne ihn hätte es die Ostermarschbewegung kaum in dieser Form gegeben, ebenso wenig 1980 den Krefelder Appell gegen den NATO-Dopppelbeschluß. Vorher hatte Horst Bethge mit guten Argumenten nachgewiesen, daß die Notstandsgesetze die demokratische Substanz des Grundgesetzes gefährdeten und im »Bundeskomitee gegen Notstandsgesetze« wie im Hamburger Arbeiter- und Studentenkomitee Unterschriftensammlungen organisiert, Sternmärsche, die riesige Kundgebung im Bonner Hofgarten. Leidenschaftlich wie in allem, war Horst Bethge auch in seinem Beruf, er war Lehrer und aktiv in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Wohin du auch kamst in demokratischen Bewegungen – Horst Bethge war schon da mit seinem sprühenden Verstand und seiner aus Erfahrung gewonnenen tiefen Überzeugung. Wenn einzelne oder politische Gruppen nur für sich allein kämpfen, bleiben sie schwach; Stärke kann aus Bündnissen erwachsen. Und die konnte er schmieden, weil er weitsichtig war und ein Menschenfreund. Von Anbeginn an hat ihm das den Vorwurf eingebracht, mit Kommunisten zusammenzuarbeiten, gar selbst einer zu sein.

Als Willy Brandt 1969 versprach, mehr Demokratie zu wagen, mündete dieser kurze Aufbruch im Radikalenerlaß, den Berufsverboten. Willy Brandt hat sie später bedauert. Für die Opfer dieser Politik hat Horst Bethge als einer der Sprecher des Arbeitsausschusses »Weg mit den Berufsverboten« gekämpft, für alle zusammen und für jeden und jede.

Mit anderen zusammen etwas auf die Beine zu stellen, das war Horsts Stärke, und gleichzeitig gibt es Scharen von Linken, die gestöhnt haben unter seinem Arbeitstempo und seiner Umtriebigkeit. Keiner konnte wie er ums große Ganze kämpfen, was jedes Komma, jeden Halbsatz einschloß. Keiner hat wie er so viel Papier gesammelt und beschrieben und konnte doch unter tausend Blatt genau das eine herausziehen, das jetzt benötigt wurde. Keiner konnte so lachen wie Horst und einen im selben Moment auf eine Diskussion festnageln. Er schrieb und sprach ein blendendes Hochdeutsch und konnte geradewegs ins Plattdeutsche wechseln: »Hamborg hol di stiev und die CDU vom Liev.« Und: Horst war ein leidenschaftlicher Tänzer. Auch das war eine der starken Gemeinsamkeiten von ihm und seiner Frau Irmi.

Eigentlich war Horst kein »Parteientyp«, doch er gehörte zu den aufrichtigen Menschen, die an ihren Parteien leiden und gleichzeitig für sie durchs Feuer gehen. 1990 war er eines der zwölf Gründungsmitglieder der Hamburger PDS. In der Linken sah er die historische Chance zur Aktionseinheit der Arbeiterklasse und zu umfassenden Bündnissen, um der großen gesellschaftlichen Ordnung einen Schritt näher zu kommen. »Werd mal ein bißchen ruhiger«, hat mir Horst in den letzten Jahren mehr als einmal geraten, und gleichzeitig hatte ich den Eindruck, er wurde immer unruhiger; vielleicht hat er gespürt, die Zeit läuft uns weg und ihm auch. Eigentlich müßte Hamburg ihm ein Denkmal setzen und von den Pfeffersäcken bezahlen lassen. Aber so wie ich Horst kenne, wäre er der erste, der zum Denkmalsturz aufriefe.

* Aus: junge Welt, 18. Mai 2011


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