Echelon: Die größte Abhöranlage der Welt und die EU
Relikt aus dem Kalten Krieg - auch gut für den Wirtschaftskrieg?
"Die geheimnisvollen Radaranlagen, die wie riesige weiße Pilze etwa im oberbayerischen Bad Aibling stehen, haben lange Zeit vor allem Verschwörungstheoretiker beschäftigt." So beginnt Nicolas Richter einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 30. Mai 2001, in dem es um das ins Gerede gekommene US-amerikanische Abhörsystem "Echolon" geht. Echolon wurde nicht nur von den USA, sondern auch von Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien getragen. Es bestand (und besteht) aus einem weltumspannenden Satelliten-Abhörnetz, dem man in jüngster Zeit auch die Fähigkeit zusprach, Wirtschaftsunternehmen auszuspionieren. Auf diese Weise, so die Befürchtung vor allem in Europa, könne sich die Konkurrenz aus Übersee Vorteile im globalen Wettbewerb erschleichen.
Ein Ausschuss des Europäischen Parlaments, der im Juli 2000 eingesetzt worden war, um solchen Spekulationen nachzugehen, hat nun einen Abschlussbericht vorgelegt. Die Ergebnisse sind - gelinde gesagt - widersprüchlich. Tenor des Artikels in der Süddeutschen Zeitung: "EU-Bericht bestätigt Bestehen des globalen Abhörsystems Echelon und relativiert zugleich dessen Gefährlichkeit". An der Existenz des Abhörsystems könne nicht länger gezweifelt werden, aber es handle sich doch nur um einen "Papiertiger".
Der Ausschuss kommt zum Ergebnis, dass die beteiligten Staaten Telefonate belauschen und Faxe und e-mails lesen, die über Satelliten gesendet werden. Da aber die meisten Telefongespräche in Gebieten mit hoher Kommunikationsdichte über Leitungen in der Erde und über Funk transportiert werden, sind diese vor Echelon meist sicher. Die Echelon-Anlagen können in der Regel nur ins Weltall horchen. Die Süddeutsche Zeitung: "Deshalb glaubt der Ausschuss, dass Echelon nur auf einen kleinen Teil der Kommunikation Zugriff hat und auch davon nur wenig auswerten kann. Das Filtern von Telefongesprächen durch Computer und nach bestimmten Schlüsselbegriffen ist beispielsweise noch immer fast nicht möglich."
Dennoch ist die Affäre um Echelon ein Politikum. Einmal weil die US-Administration und ihre Geheimdienste die Untersuchungen der EU konsequent und brüsk behindert haben und zum Anderen weil (Wirtschafts)Spionage beim Verbündeten eben doch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. in der Süddeutschen liest sich das dann so:
"Das Parlament hat letztlich nichts Neues herausgefunden. Was
Echelon betrifft, ist man so schlau wie früher. Das liegt daran,
dass das Europäische Parlament kein Recht hat, Geheimdienste
zu kontrollieren – die der EU-Staaten nicht, und die der USA
schon gar nicht. Außerdem boykottierten die USA die
Untersuchung aus Straßburg demonstrativ. Die
US-Geheimdienste CIA und NSA wiesen die Parlamentarier in
Washington wie Bettler ab. Der Ausschuss sieht seine Leistung
darin, dass er alle Indizien, die öffentlich zugänglich aber überall
verstreut waren, zusammengetragen hat, und schließt aus dem
Gesamtbild zwei Dinge: Dass an Echelon nicht mehr zu zweifeln
ist, und dass es weniger leistet als viele vermuteten. Außerdem
bestätigte der Bericht, dass Lauschen mit Echelon keinerlei
rechtsstaatlichen Garantien unterliegt, wie das etwa beim
Abhören durch deutsche Dienste Vorschrift ist."
Ein Trost ist das alles nicht. Vor allem der letzte Punkt lässt aufhorchen. Die US-Abhörpraktiken ŕ la Echolon entziehen sich rechtlicher "Garantien", bewegen sich also in einem rechtsfreien Raum. Wie beruhigend, dass das "Abhören durch deutsche Dienste" rechtlich geregelt sind!
Die Süddeutsche Zeitung findet es aber auch beruhigend, dass bisher "kein einziger Fall von Wirtschaftsspionage durch Echelon lückenlos belegt" werden konnte. Wie auch, wenn die US-Geheimdienste keine Akten und Daten heraus rücken!? Und kann den Schwüren der US-Behörden Glauben geschenkt werden, sie spionierten nur mit dem Ziel, "dass Wirtschaftsembargos eingehalten und bei internationalen Ausschreibungen Bestechungsversuche aufgedeckt werden"? Abgesehen davon: Wer mittels Echolon Firmen soweit kontrollieren kann, dass bei Ausschreibungen "Bestechungsversuche aufgedeckt" werden können, kann natürlich auch jede andere Art von Wirtschaftsspionage betreiben. Echolon hat also doch das Zeug zu mehr als nur zu einem "Papiertiger"! So sieht es denn wohl auch der Ausschuss des EU-Parlaments. Er empfiehlt nämlich den europäischen Unternehmen, die Kommunikationswege zu schützen, auf denen "sensible Informationen" übermittelt werden. Auch Privatpersonen wird "dringend" zur Verschlüsselung von E-Mails geraten.
Eine andere Sichtweise
Einen anderen Aspekt verfolgt der Kommentar, den wir von Rainer Rupp, der sich in solchen Dingen bestens auskennt, erhalten haben. Wir dokumentieren seinen Artikel zum EU-Bericht im Folgenden:
Ein vertraulicher Bericht des Europäischen Parlaments, der einer britischen
Tageszeitung zugespielt wurde, geht davon aus, dass für die EU kein Weg an
einer eigenen Spionageorganisation vorbei führt. Nur so könnte die
Unterstützung der schnellen europäischen Eingreiftruppen im Falle von
Interventionen in fremden Ländern mit dringend benötigten militärischen und
politischen Aufklärungsergebnissen gesichert werden. Dies berichtete
gestern der konservative „The Telegraph“ aus London. Bei dem Bericht
handelt es sich um das Ergebnis einer einjährige Untersuchung des
Spionageausschusses des Europa-Parlaments, in deren Zentrum das
amerikanische "Echelon-System" stand.
Bei „Echelon“ handelt es sich um ein auf 120 Satelliten basierendes,
weltumspannendes Abhörsystem aus den Zeiten des Kalten Kriegs, das aber
immer noch funktioniert und ausgebaut wird und das wie ein riesiger
Staubsauger im All angeblich täglich bis zu zwei Milliarden Telefonate, Faxe
und E-Mail-Botschaften ausspähen kann. Großbritannien und seine ehemaligen
angelsächsischen Kolonien wie Kanada, Australien und Neuseeland sind am
Echelon-System mitbeteiligt. Sie erlauben auf ihrem Territorium
amerikanische Abhörstationen, die sie gemeinsam mit den Amerikanern bedienen
und von deren Abhörergebnisse sie zumindest zum Teil profitieren.
Die Europäer haben seit langem den nicht unbegründeten Verdacht, dass
Echelon auch für Wirtschaftsspionage gegen europäische Unternehmen
eingesetzt wird. Auch dieses Problem spricht der jetzt der dem „Telegraph
zugespielte Bericht der Euro-Parlamentarier an. In dem Entwurf des
Berichtes heißt es, dass auch die wirtschaftliche Integration Europas einen
eigenständige Spionagekapazität „notwendig“ mache. Außerdem wird die
britische Regierung gewarnt, dass sie sich nicht länger gemeinsam mit den
Amerikanern einen Nachrichtendienst betreiben kann, wo doch die EU dabei
ist, eigene militärische Ambitionen zu entwickeln. "Die
nachrichtendienstliche Sammlung von Informationen könnte genau der Punkt
sein, bei dem sich das Vereinigte Königreich entscheiden muß, ob seine
Zukunft in Europa oder jenseits des Atlantiks liegt”, heißt es in dem
Bericht. (“Britain on the spot in EU report on spy net”, By Ambrose
Evans-Pritchard in Brussels, The Telegraph, Monday 28 May 2001)
Entgegen der gebetsmühlenhaft wiederholten Zusicherungen der britischen
Regierung an die Adresse Washingtons, daß die NATO durch die Entwicklung
einer „unabhängigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität
nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, geht der Bericht der
Euro-Parlamentarier davon aus, daß die Schaffung der 60.000 Mann starken
EU-Eingreiftruppe die bisherigen Beziehungen zwischen der EU und der NATO
fundamental verändern wird. Und deshalb – so “The Telegraph” -
heißt es in
dem EU-Bericht, dass die Existenz einer multinational EU-Eingreifarmee
„unabdingbar die Entwicklung einer autonomen nachrichtendienstlichen
Fähigkeit erfordert.
Trotz der zu erwartenden amerikanischen Verärgerung über den Bericht der
EU-Parlamentarier, dürfte der Bericht auf anderen Gebieten für Entspannung
zwischen Brüssel und Washington sorgen. Die EU-Parlamentarier kommen
nämlich zum gleichen Schluß, wie die „junge Welt“ bereits vor einem
Jahr in
ihrem Artikel „Echelon – ein riesiger Staubsauger im Äther“
(j.W. 4.3.2000),
dass nämlich die Fähigkeit des „Echelon-Systems“, alle Faxe, e-mails
und
insbesondere Telephongespräche mit Hilfe von Stichwörtern in Suchmaschinen
oder Sprach- und Stimmerkennungsprogrammen abzuhören, in den Medien und
entsprechenden Büchern stark übertrieben wurde. Trotzdem – so der
Bericht - verstoße Großbritannien durch seine Beteiligung an „Echelon
(durch die britische Abhörstation Menwith Hill in Yorkshire) gegen Artikel
8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die jedem Bürger der
Mitgliedstaaten der EU seine Privatsphäre und die seiner Familie und den
Schutz seinen Korrespondenz garantiert.
Der Spionageausschuss des Europaparlaments konnte jedoch keinen Beweis dafür
finden, daß die amerikanische Regierung "Echelon" dazu benutzt, europäische
Firmen zum kommerziellen Vorteil der amerikanischen Konkurrenten
auszuspionieren. Allerdings hatte der frühere CIA-Chef James Woolsey
öffentlich zugegeben, daß das System dazu benutzt worden sei, um
europäische Firmen bloßzustellen, die im Ausland versucht hätten, mit Hilfe
von korrupten Methoden Großverträge für sich zu sichern. Die Untersuchungen
des EU-Ausschuß bei seinem Besuch in Washington Anfang Mai dieses Jahres
waren jedoch stark behindert worden, so dass die EU-Parlamentarier dieser
Frage nicht richtig nachgehen konnten. Erbost über die Behandlung durch
US-Regierungsstellen, hat die EU-Delegation den Besuch abgebrochen und die
USA vorzeitig verlassen.
Reiner Rupp, Saarburg, den 29.05.01
Klage abgewiesen
Die Frankfurter Allgemeine berichtete ergänzend am 31. Mai davon, dass die
Bundesanwaltschaft sowie die Münchner und Berliner
Staatsanwaltschaft eine gegen die Bundesregierung gerichtete
Strafanzeige wegen Tolerierung und Betrieb des Echelon-Systems abgewiesen habe. Die Kläger der Grünen Liste Erlangen hatten vorgetragen, dass weithin
vertrauliche Kommunikation von Bürgern abgehört werde, was gegen
Datenschutzgesetze der EU verstoße. Der EU-Bericht hatte diese
Möglichkeit jetzt bestätigt. Während die Münchner Staatsanwaltschaft
auf die "völkerrechtliche Genehmigung" des Echelon-Systems durch die
Bundesregierung hinwies, hob die Berliner Staatsanwaltschaft hervor,
daß für die Aufnahme von Ermittlungen keine "zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte" vorlägen. Die Bundesanwaltschaft teilte jedoch mit, "künftig im Auge behalten" zu wollen, ob "die Tätigkeit der NSA", Hauptbetreiber des Echelon-
Systems, "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit
wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit begründet". Die NSA
unterhält nahe Bad Aibling einen ihrer weltweit größten Horchposten.
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