Information Warfare: Ein Thema für den deutschen Geheimdienst
Bericht von einer Tagung in Pullach
Im Dezember 2000 fanden wir in der Neuen Zürcher Zeitung einen Bericht über eine bemerkenswerte Tagung in Pullach: Der dezutsche Auslandsgeheimdienst BND ließ über die Kriege der Zukunft, über virteuelle Kriegsführung, also über "Information Warfare" diskutieren. Wir dokumentieren im Folgenden den Bericht gekürzt.
Zwischen Information und Propaganda
Der deutsche Geheimdienst und «Information Warfare»
...
Es geschieht selten, dass ein Geheimdienst öffentliche Tagungen veranstaltet,
doch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hat kürzlich bereits zum
zweiten Mal ein Symposium organisiert. «Information Warfare» lautete das
Thema, nachdem man im letzten Jahr über illegale Migration debattiert hatte. Der
deutsche Auslandgeheimdienst sucht neuerdings die Öffentlichkeit und
verschanzt sich nicht länger hinter den Mauern seines Dienstsitzes vor den
Toren Münchens. «Der Kalte Krieg ist vorbei. Geheimhaltung ist nicht im gleichen
Maß wie früher erforderlich, zugleich stehen neue Themen auf der
Tagesordnung», erläutert der Präsident des BND, August Hanning, die Änderung
der Strategie. Das Aufgabenspektrum des Dienstes verschiebt sich; die
Spionage in Osteuropa hat seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion an
Bedeutung verloren, während die Überwachung des internationalen Datenverkehrs
wichtiger und zugleich aufwendiger geworden ist. Allmählich betreibt die
Bundesrepublik auch eine aktivere und nicht mehr nur auf Washington, Moskau
und Brüssel ausgerichtete Aussenpolitik ...
Aktive Öffentlichkeitsarbeit
Das Ende des klassischen Ost-West-Gegensatzes versetzte den BND unter
Legitimationsdruck, zumal in den politischen Eliten Deutschlands die
Geringschätzung des Dienstes seit je zum guten Ton gehört. Das Budget
stagniert seit 1990 bei 660 Millionen Mark, zugleich wurde Personal abgebaut.
Die Zahl der Mitarbeiter schrumpfte um 1.000 auf nunmehr 6.000. In Pullach
beklagt man sich, dass man zwar laufend qualifizierte Bewerbungen erhalte, aber
nicht die Stellen besitze, um neue Leute in boomenden Bereichen wie
Kryptographie anzustellen. ...
Inzwischen ist es ruhiger geworden um den Geheimdienst. Dies ist auch das
Verdienst des 1998 von der rot-grünen Bundesregierung berufenen neuen
Präsidenten August Hanning. Der promovierte Jurist kommt nicht aus dem BND,
sondern hat eine Karriere in der Verwaltung durchlaufen, zu deren Etappen die
nordrhein-westfälische Finanzverwaltung ebenso gehört wie das
Bundesinnenministerium, die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in
Ostberlin und schließlich der Posten des Leiters der für die Koordination der
Geheimdienste zuständigen Abteilung im Kanzleramt. Er setzte die schon unter
seinem Vorgänger eingeleitete Öffnung des Dienstes gegenüber der Außenwelt
fort. Mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit gelang es ihm, die Zahl der in der
Berichterstattung über den BND üblichen hämischen Artikel zu reduzieren - und
dies gerade in Situationen, in denen der Dienst kritisiert wurde. So legte man
ausführlich die Gründe für die umstrittene Reise Hannings nach Tschetschenien
auf Einladung des russischen FSB dar ...
Näher am politischen Zentrum
Zu dieser neuen Strategie gehört es auch, dass der Dienst die Nähe zu den
"Abnehmern" seiner Arbeit, den diversen Stellen der Bundesregierung, sucht. Im
Jahr 2003 werden der Präsident, der Leitungsstab und die für Auswertung
zuständige Abteilung 3 mit insgesamt 1.000 Mitarbeitern von Pullach nach Berlin
umziehen. Der Rest der Belegschaft verbleibt in der Nähe Münchens.
Das gewachsene aussenpolitische Gewicht Deutschlands, die Beteiligung der
Bundeswehr an internationalen Militäreinsätzen, aber auch die stärkere
allgemeine internationale Verflechtung (bis hin zu den Touristenströmen und der
Geiselnahme deutscher Touristen wie auf den Philippinen) erforderten, so heißt
es in Pullach, mehr Detailkenntnisse über das Ausland. Politikberatung geht
heute über die klassische nachrichtendienstliche Tätigkeit hinaus. Zusammen
mit der direkten Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist sie Bestandteil des
Kampfes um und mit Informationen. ... An der Tagung in Pullach beschrieb der deutsche Luftwaffengeneral und frühere militärische Sprecher der Nato, Walter Jertz, die Praxis anhand des Kosovokriegs. "Bilder sind Waffen", sagte Jertz, und die Nato habe im Umgang
mit diesen Waffen in den ersten Wochen erhebliche Fehler begangen. Zunächst
habe es für diese Aufgabe in Brüssel an Finanzen und Personal gefehlt. Auf
Grund der mangelhaften Öffentlichkeitsarbeit habe die Gefahr eines
Stimmungsumschwungs in der Bevölkerung und bei den politisch
Verantwortlichen in den Nato-Staaten existiert. Es habe die Möglichkeit
bestanden, dass die Kampfhandlungen hätten abgebrochen werden müssen.
Mängel in der Nato-Strategie
Laut Jertz tat sich die Nato schwer damit, eine Antwort auf die Bilder von zivilen
Opfern der alliierten Luftangriffe zu finden. Das Wort "Kollateral-Schaden" war
nicht nur eine unpassende Bezeichnung für Tote und Verletzte, zugleich fehlte es
an Bildmaterial, um den emotionalisierenden serbischen Fernsehaufnahmen
Gleichwertiges entgegensetzen zu können: Bilder des albanischen
Flüchtlingselends etwa, aber auch eine positive Stimmung erzeugende
Schnappschüsse spielender albanischer Kinder. Außerdem ertönte in diversen
Hauptstädten der Vorwurf, Brüssel informiere zu spät über die militärischen
Operationen. Einen Monat nach Kriegsbeginn war die Nato gezwungen, ein
Media Operation Center einzurichten, um professioneller zu agieren.
Dabei doktert die Allianz bereits seit Erfahrungen in Bosnien Mitte der neunziger
Jahre an Konzepten für eine Informationsstrategie herum. Im Februar 1999 wurde
eine Richtlinie zur "Information Operation Policy" verabschiedet. Diese definierte
man als Gesamtheit aller Aktionen zur Erreichung der Informationsüberlegenheit
im politischen und militärischen Kontext und zur Bewahrung der eigenen
Informationsbasis wie Satelliten und Aufklärungsflugzeuge. "Information
Operations" setzen mit politischen, diplomatischen, zivil-militärischen Mitteln
und Öffentlichkeitsarbeit lange vor einem bewaffneten Konflikt ein und dauern
auch danach an. Damit unterscheiden sie sich von "Information Warfare", der die
Kampfkraft des Gegners reduzieren soll durch Angriffe auf dessen Systeme zur
Gewinnung und Verbreitung von Informationen. Allerdings überlappen sich beide
Bereiche, und der schillernde wie modische Begriff "Information Warfare" wird
auch in nichtmilitärischem Sinn verwandt.
Eine im Sinn der Urheber gelungene "Information Operation" ist die Kampagne
gegen Geldwäscherei in Liechtenstein. Der BND beobachtet Geldwäscherei rund
um den Globus, doch nur ein Bericht über die Lage im Fürstentum gelangte
durch ein Leck, angeblich im Kanzleramt, in die Medien - und dies zu einem
Zeitpunkt, als die Öffentlichkeit wegen der CDU-Spendenaffäre und der von der
Partei in Liechtenstein gegründeten Stiftungen für das Thema sensibilisiert
war. Vaduz geriet unter Druck und sah sich zur Überprüfung seiner Usanzen
genötigt. ... Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen bleibt
jedoch festzuhalten, dass die Bundesrepublik früher nicht mit
nachrichtendienstlicher Hilfe so unverhohlen Politik machte wie heute.
"Information Warfare" findet vor allem dann Beachtung, wenn es um hoch
technisierte Aspekte geht, bei denen man nicht immer weiß, wo die Realität
aufhört und Science-Fiction beginnt. Ein bereits etablierter Zweig ist die
Überwachung des internationalen Datenverkehrs, wie ihn die amerikanische
NSA, die russische Agentur Fapsi und in geringerem Umfang der BND betreiben.
An der Tagung in Pullach traten Experten der verbreiteten Meinung entgegen,
offizielle Stellen in den USA gäben das dabei gewonnene Wissen an
amerikanische Firmen weiter, um diesen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber
ausländischen Konkurrenten zu verschaffen. Im Einzelfall würden
Wirtschaftsinformationen etwa bei der Verfolgung von Korruptionsvorwürfen
verwendet, aber nicht zur umfassenden Wirtschaftsspionage, lautete die
allgemeine, auch im deutschen Außenministerium geteilte Auffassung.
Das Internet als Propagandawaffe
Ein Novum ist der Einsatz des Internets. Zu Beginn des Kosovokriegs gelang es
der serbischen Seite, für zwei Stunden einen Nato-Server durch Überlastung
lahmzulegen. Neben solchen "Denial-of-Service"-Attacken kam es zu mehreren
fehlgeschlagenen Eindringversuchen in geschützte Computersysteme. Die
Konfliktparteien nutzten erstmals in einem Krieg das Internet als Medium zur
Selbstdarstellung. In Spitzenzeiten des Kosovokriegs wurde die Homepage der
deutschen Bundeswehr bis zu 255.000 Mal pro Tag abgefragt - eine
Verdreifachung gegenüber Friedenszeiten. Zudem prägen laut General Jertz die
ins Netz gestellten Artikel, Dokumente und Bilder die öffentliche Sichtweise des
Krieges bis heute. (Auch wir hoffen, mit unserer Homepage hierfür einen kleinen Beitrag leisten zu können. Anmerkung der Macher der Hompage des Friedensratschlags.)
Manche Experten warnen vor einer Unterschätzung der im Computer lauernden
Gefahren. Douglas Perritt, stellvertretender Direktor des National Infrastructure
Protection Center der amerikanischen Regierung, meinte gar, erst ein
"elektronisches Pearl Harbor" werde die Öffentlichkeit aufrütteln. Der Schaden
durch das "Love-Letter-Virus" wird in diesem Zusammenhang ebenso genannt
wie die "Denial-of-Service"-Attacken auf mehrere Internet-Dienstleister im
Februar, ferner Hackerangriffe auf Anlagen der Nasa, des Pentagons oder den
Computer eines amerikanischen Flughafens, dessen Luftraumüberwachung
deswegen vorübergehend ausfiel.
Laut Perritt erforscht vor allem die chinesische Armee die Möglichkeiten der
elektronischen Kriegsführung, die von der Täuschung über das Ausspionieren
und Verändern von Daten bis zu deren physischer Vernichtung mittels
elektromagnetischer Impulse reichten. Er forderte staatliche Regulierung und
internationale Absprachen zum Schutz der IT-Systeme. Dies klang dann doch
sehr nach Zukunftsmusik und dem Werben für mehr Budgetmittel ...
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 19. Dezember 2000
Zurück zur Themenseite "Geheimdienste"
Zurück zur Homepage